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Erstmals in über 30 Jahren kein „Cordon sanitaire“: In Ranst Koalition mit rechtsextremem Vlaams Belang

20.10.2024, Belgien, Ranst: Christel Engelen (l, Vlaams Belang), Bart Goris (M, PIT) und Tim Peeters (r, Vrij Ranst) bei einer Pressekonferenz der neuen Mehrheit. Engelen wird die erste rechtsextreme Schöffin in Belgien. Foto: Belga

Bisher war Ranst vor allem bekannt als die Heimatstadt der Radsportlegende Herman Van Springel, der bei der Tour de France 1968 am letzten Tag das Gelbe Trikot verlor und Zweiter wurde. Ansonsten war von der 20.000-Einwohner-Stadt in der Provinz Antwerpen nur selten die Rede. Bis jetzt.

Nach der Gemeinderatswahl von Sonntag, dem 13. Oktober, wurde zum ersten Mal der sogenannte „Cordon sanitaire“ gerissen. Der „Cordon sanitaire“, in der Bundesrepublik als „Brandmauer“ bezeichnet, wurde in Belgien vor über 30 Jahren von den etablierten Parteien eingeführt, um die extreme Rechte daran zu hindern, in eine Koalition einzutreten, egal auf welcher Ebene der Macht sie sich befindet.

In Ranst ist der „Cordon sanitaire“ jetzt obsolet geworden, nachdem die lokale PIT-Liste des ehemaligen liberalen Bürgermeisters Lode Hofmans beschlossen hat, ein Abkommen mit der rechtsextremen Partei Vlaams Belang und der Liste Vrij Ranst zu besiegeln.

Blick auf die Stadt Ranst in der Provinz Antwerpen. Foto: Shutterstock

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte kommt die nationalistische und fremdenfeindliche Partei an die Macht, indem sie sich mit anderen Parteien verbündet.

Am 13. Oktober war PIT (der unter anderem drei CD&V-Abgeordnete angehören) mit 25 Sitzen stärkste Kraft im Gemeinderat von Ranst geworden. Damit lag sie vor der N-VA des amtierenden Bürgermeisters Johan De Ryck (10 Sitze). Die Grünen (Groen), die in den letzten Jahren mit der N-VA die Stadt regierten, fielen auf 3 Sitze zurück. Genauso viele Mandate haben der Vlaams Belang und die liberale Liste Vrij Ranst, der Abgeordnete der Open VLD angehören. Die CD&V und Open VLD haben inzwischen ihre Mitglieder von PIT bzw. Vrij Ranst wegen Missachtung des „Cordon sanitaire“ aus ihrer Partei ausgeschlossen.

Bart Goris, der die PIT-Liste anführte, wird voraussichtlich in den nächsten sechs Jahren mithilfe der Stimmen des Vlaams Belang die Bürgermeisterschärpe tragen. Damit wird die extreme Rechte erstmals an einer Koalition beteiligt sein. Die 58-jährige Christel Engelen vom Vlaams Belang wird die erste rechtsextreme Schöffin in Belgien sein.

Der „Cordon sanitaire“ ist eine belgische Besonderheit. In Flandern ist er ausschließlich politisch, während er auf der französischsprachigen Seite sowohl politisch als auch medial ist. Er geht auf den Beginn der 1990er Jahre zurück.

Bei den Parlamentswahlen vom 24. November 1991, der als „schwarzer Sonntag“ in die belgische Geschichte eingegangen ist, hatte der Vlaams Blok, der nach einer gerichtlichen Verurteilung wegen Rassismus in Vlaams Belang umbenannt wurde, einen großen Wahlsieg errungen mit 12 Sitzen in der Abgeordnetenkammer. Als Reaktion darauf verpflichteten sich die fünf etablierten Parteien Flanderns, die extreme Rechte aus allen politischen Koalitionen auszuschließen.

27.05.2019, Belgien, Brüssel: Tom Van Grieken, Vorsitzender der Partei Vlaams Belang, spricht bei einer Pressekonferenz. Foto: Virginia Mayo/AP/dpa

Der designierte Bürgermeister von Ranst, Bart Goris von der PIT-Liste, gab der N-VA die Schuld dafür, dass erstmals mit dem „Cordon sanitaire“ gebrochen wird, weil sich die Partei des föderalen Regierungsbildners Bart De Wever geweigert habe, mit PIT und Vrij Ranst eine Koalition zu bilden. „Ich habe mehrmals versucht, Mitglieder der N-VA zu kontaktieren, bis zu sechs Mal, aber sie haben nicht geantwortet“, so Goris. Die N-VA bestreitet diese Darstellung des künftigen Gemeindeoberhaupts von Ranst.

Außerdem gab Goris als Begründung an, dass PIT und Vrij Ranst lokale Listen seien, während man es beim Vlaams Belang mit einer nationalen Partei zu tun habe. „Es gibt Punkte im Programm des Vlaams Belang, mit denen wir nicht einverstanden sind, aber in Ranst sind diese Punkte nicht relevant“, argumentierte Goris. „Ich denke, es ist wichtig, hier in Ranst eine stabile Mehrheit zu haben, anstatt sich an Prinzipien zu halten“, rechtfertigte er sich gegenüber der RTBF. Auf nationaler Ebene wäre es deutlich „schwieriger“, mit dem Vlaams Belang zusammenzuarbeiten.

Unterdessen herrscht große Genugtuung bei den Rechtsextremen. „Vor Ihnen steht ein sehr glücklicher Vorsitzender des Vlaams Belang. Der 19. Oktober ist ein großer Tag für den Vlaams Belang und ein fantastischer Tag für die Demokratie: Es gibt keine A- und B-Wähler mehr“, jubelte der Vorsitzende der rechtsextremen flämischen Partei, Tom Van Grieken, als Reaktion auf den Bruch des „Cordon sanitaire“ in Ranst.

Der Vorsitzende des Vlaams Belang hofft, dass dies anderen Parteien in anderen Gemeinden „Mut“ macht, dasselbe zu tun und „auch mit dem Vlaams Belang zusammenzuarbeiten“. Filip Dewinter, eine historische Figur der Partei, sagte, er hoffe sogar, dass Ranst „eine Kettenreaktion“ auslösen werde. (cre)

15 Antworten auf “Erstmals in über 30 Jahren kein „Cordon sanitaire“: In Ranst Koalition mit rechtsextremem Vlaams Belang”

  1. Gerd Henkes

    Wieso sollen diese Parteien nicht auch in die Verantwortung dürfen, wenn sie ganz legal eine doch höhere Anzahl an Stimmen bekommen haben? In Deutschland wird die AFD links liegen gelassen, obwohl sie 30% der Wählerstimmen bekommen. Dann kommt wieder die Keule mit den Rechtradikalen, aber die Linkradikalen dürfen tun und walten wie sie wollen!! Das ist natürlich kein Problem.

  2. Wenn man sich die „pro-palästinensischen“ Demonstrationen und Aktionen (z.B. in den Unis..) in den Belgischen Städten ansieht könnte man auf den Gedanken kommen dass Parteien wie VB nicht das Problem sondern womöglich die Lösung sind….

        • Die Bürger haben aber auch im Juni eine neue Regional- und Föderalregierung gewählt, wenn letztere auch noch in der Mache ist. Auch in Holland, England, Italien, Polen und anderen Ländern gab es Regierungswechsel. Die USA und Deutschland könnten folgen. Der Bürger hat also sehr wohl die Macht, Veränderungen herbeizuführen.

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