Politik

Ninove schreibt Geschichte: Guy D’haeseleer ist der erste rechtsradikale Bürgermeister in Belgien

Guy D'haeseleer (Vlaams Belang) bei seiner Eidesleistung als neuer Bûrgermeister von Ninove. Foto: Belga

Guy D’haeseleer wurde am Donnerstag als Bürgermeister von Ninove in Ostflandern eingesetzt. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat der rechtsradikale Vlaams Belang ein Gemeindeoberhaupt in seinen Reihen. Die Liste Forza Ninove erreichte am 13. Oktober die absolute Mehrheit der Sitze im Gemeinderat.

Ninove wurde in der Zeit des Ersten Weltkriegs zu einem Zentrum der flämischen Streichholzindustrie. Die Bevölkerung der Stadt wuchs von 4.400 im Jahre 1834 auf 12.000 im Jahre 1970. Nach 1945 erlebte die lokale Streichholzindustrie ihren Niedergang und der letzte Betrieb schloss in den 1970er Jahren.

27.09.2020, Belgien, Brüssel: Demonstranten halten zwischen Autos flämische Flaggen während eines Protestes der rechtspopulistischen Regionalpartei Vlaams Belang. Foto: Nicolas Maeterlinck/BELGA/dpa

Neben Betrieben der metallverarbeitenden und pharmazeutischen Industrie sind heute vor allem Dienstleistungsbetriebe wie das große Einkaufszentrum in der Stadtmitte bedeutend. Außerdem sind viele der insgesamt fast 40.000 Bewohner Pendler, die im nahe gelegenen Brüssel arbeiten.

Die Mehrheit des Vlaams Belang im Gemeinderat von Ninove ist allerdings hauchdünn: nur 18 von 35 Sitzen. D’haeseleer versuchte, die N-VA, die nur einen Sitz hat, für sich zu gewinnen, aber die andere flämisch-nationalistische Partei lehnte es ab, sich ihm anzuschließen

Der neue Bürgermeister hatte sich vorgenommen, den „Cordon sanitaire“ um die extreme Rechte zu durchbrechen, was obsolet geworden ist, weil seine Liste die absolute Mehrheit hat. In anderen Gemeinden haben lokale Listen den Schritt gewagt: Izegem, Ranst und Brecht.

Der „Cordon sanitaire“ ist eine belgische Besonderheit. Er geht auf den Beginn der 1990er Jahre zurück. Bei den Parlamentswahlen vom 24. November 1991, der als „schwarzer Sonntag“ in die belgische Geschichte eingegangen ist, hatte der Vlaams Blok, der nach einer gerichtlichen Verurteilung wegen Rassismus in Vlaams Belang umbenannt wurde, einen großen Wahlsieg errungen mit 12 Sitzen in der Abgeordnetenkammer. Als Reaktion darauf verpflichteten sich die fünf etablierten Parteien Flanderns, die extreme Rechte aus allen politischen Koalitionen auszuschließen.

27.05.2019, Belgien, Brüssel: Tom Van Grieken, Vorsitzender der Partei Vlaams Belang, spricht bei einer Pressekonferenz. Foto: Virginia Mayo/AP/dpa

In Ninove führten etwa 50 Einwohner, die Mitglieder des Kollektivs „054“ sind, eine Protestaktion durch. Sie verteilten Flugblätter, in denen sie ihre Besorgnis zum Ausdruck brachten und ein „offenes, sicheres und tolerantes“ Ninove forderten.

„Wir sind eine Gruppe besorgter Bürger, unabhängige Bürger, die nicht an eine politische Partei gebunden sind. Wir kommen heute, um ein Signal zu setzen, das Signal, dass wir besorgt sind“, erklärte einer der Mitglieder, Stijn De Decker. Es kam zu keinem Zwischenfall.

Guy D’haeseleer tritt die Nachfolge von Tanja De Jonge (Open Vld/Positief Ninove) an, die das Amt seit 2015 innehatte. Auch die anderen Mitglieder des neuen Gemeindekollegiums wurden eingesetzt. Das Team ist wenig erfahren. Nur Rudy Corijn, der über die N-VA, die Lijst Dedecker und die Open Vld kam, war bereits Finanzschöffe. Die Familie des Bürgermeisters ist vertreten: D’haeseleers Schwiegertochter Malika Sclacmender, eine 20-jährige Krankenpflegestudentin, wird für Jugend, Sport und Tierschutz zuständig sein.

Die Opposition setzt sich aus „Positief Ninove“ (11 Sitze), Vooruit-Groen (5 Sitze) und der N-VA (1 Sitz) zusammen. Derweil läuft noch eine gerichtliche Untersuchung wegen möglicher Betrugsfälle bei der Wahl in Ninove am 13. Oktiber. Sie ist noch nicht abgeschlossen. (cre)

20 Antworten auf “Ninove schreibt Geschichte: Guy D’haeseleer ist der erste rechtsradikale Bürgermeister in Belgien”

  1. Es mag der erste sein , aber bestimmt nicht der letzte.
    Veränderungen zugunsten der Bevölkerung , anstelle zugunsten der Selbstbediener*rinnen .-) sind dringend notwendig .
    Zweifeln darf man trotzdem , ob rechts , den halb versunkenen Karren wieder aus dem Sumpf bekommt .
    Es müssen wohl auch andere Parteien über das Schiebedach in den Karren steigen und kräftig aufs Gas drücken , um aus dieser festgefahrenen Situation wieder herauszukommen
    Es fehlt wie immer die Zusammenarbeit , um Probleme zu lösen .
    Wenn natürlich von oben, sprich Brüssel und Straßburg nur Befehle kommen , die wie eine Erpressung auf kleinere Parteien wirken , muss man sich auch nicht wundern , wenn diese mit anderen nichts zu tun haben wollen .
    Kompromisse sind natürlich ein friedliches Zeichen .
    Bestehen diese Kompromisse nur aus ähnlich wirkenden befehlen , oder Abmachungen mit den Spitzen Funktionären kleinerer Parteien , dann fühlen sich die Anhänger kleinere Parteien natürlich auch nur betrogen.
    Wenn man sich nicht irgendwann einig wird , passiert das gleiche wie in den Ländern , wo sich die Einfalls Pinsel ihre Amtszeit selber verlängern und Wahlen damit ausgeschlossen sind.

    • Und Sie glauben wirklich, dass es sich hier nicht um Selbstbediener handelt. Egal welche Couleur oder Gesinnung das Ruder an sich reisst und große Versprechungen macht, läuft es am Ende immer auf das Gleiche aus. Da sind Sie aber sehr naiv.

    • Peter S.

      Das ist schon bizarr, wenn ausgerechnet Sie andere als Einfaltspinsel bezeichnen. Sie schwadronieren immer über ein Verschwörung von denen da oben gegen ein ominöses Volk unten. Aber ihr Frustrierten seid nicht das Volk.

        • @ – Peter.S 16:33 – Die frustrierten sind nicht das Volk ?
          Das stimmt aber nur teilweise und wenn Sie noch etwas Geduld haben , dann stellt das frustrierte Volk die überwiegende Mehrheit dar .
          Und ganz besonders leute wie Sie , werden dann enttäuscht und frustriert sein .
          Denn führt man die derzeitige Politik in diesem Stil weiter , dann heißt es irgendwann :
          Alle Alle . Es wird dann kein Geld mehr geben , für den bis dahin großen Anteil an Arbeitslosen , aufgrund von falscher Politik .
          Es wird dann kein Geld mehr geben , für Leute die ihr Leben lang geschuftet haben , um eine Rente bzw Pension zu erhalten .
          Die wenigen die dann noch gut leben können , sind die Leute aus den Selbstbedienungsläden, oder der Rüstungsindustrie, die sich Milliarden auf Seite Schaufeln konnten.
          Eine große Schuld an dieser Misere , haben dann auch Leute , die vermutlich das gleiche in der Vergangenheit gemacht wie sie und sich den Film Rambo , als er in den Kinos Premiere feierte , zu oft angesehen 🥴

  2. Bei 18 von 35 Sitzen bringt auch der „cordon sanitäre“ nichts mehr! Langsam sollten sich die Parteien „der sogenannten Mitte“ mal Gedanken machen, was sie falsch machen – wenn sie überhaupt dazu in der Lage sind, sie sind nämlich für dieses Resultat verantwortlich.

    • @Na ja. Die Parteien machen nichts falsch, aus deren Sicht. Sie vertreten die Interessen ihrer Auftraggeber und das sind nicht unbedingt ihre Wähler.
      Kolatteralschäden interessieren die doch nicht. Zum Glück, so scheint es zumindest, wacht ein größer werdender Teil des Volkes langsam auf.

  3. Marcel Scholzen Eimerscheid

    Hier passiert nur das, was in einer Demokratie üblich ist.

    Diese Brandmauer ist kein Schutzmauer für die Demokratie sondern für die schönen Pöstchen. Man will keine Konkurrenz an der Tränke.

  4. Marcel Scholzen Eimerscheid

    Die große Probleme des belgischen Staates (flamischer Nationalismus, Wirtschaft und Finanzen) zu lösen, ist nicht möglich im Rahmen des aktuellen politischen Systems. Zu viele politische Parteien machen das unmöglich. Langfristig fährt sich das fest und die aktuelle Demokratie schafft sich selbst ab. Macht so Platz für ein neues System.

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