Politik

„Postenjäger“ Charles Michel zieht seine Kandidatur für die Europawahlen zurück – „Verletzende Angriffe“

27.03.2023, Rumänien, Bukarest: Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, gestikuliert während eines Gesprächs mit dem rumänischen Präsidenten Iohannis im Präsidentenpalast Cotroceni. Foto: Andreea Alexandru/AP/dpa

AKTUALISIERT – „Ostbelgien Direkt“ hatte ihn als „Belgiens bekanntesten Postenjäger“ bezeichnet. Auch andere Medien hatten die Absicht des Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, sein Amt vorzeitig aufzugeben und für die Europawahlen zu kandidieren, scharf kritisiert. Jetzt hat der ehemalige belgische Premierminister beschlossen, seine Kandidatur für die Europawahl zurückzuziehen und sein Mandat wie ursprünglich geplant zu beenden, wie er am Freitag der Nachrichtenagentur Belga mitteilte.

„Ich möchte nicht, dass Kontroversen uns vom Wesentlichen ablenken und der Institution, der ich vorstehe, und damit dem europäischen Projekt schaden“, erklärte Michel und räumte ein, dass er das „Ausmaß und die Radikalität einiger negativer Reaktionen“ auf die Ankündigung seiner Kandidatur unterschätzt habe.

„Ich stelle fest, dass verletzende Angriffe immer mehr an die Stelle sachlicher und objektiver Argumente treten. Dies beeinträchtigt meiner Meinung nach die Entwicklung des demokratischen Lebens. Auf persönlicher Ebene führt es dazu, dass ich mich nach dem Sinn und der Wirkung frage, die ein Wahlkampfeinsatz, dem ich seit dreißig Jahren mein Leben gewidmet habe, nicht nur für mich, sondern auch für meine Angehörigen hat“, fügte der ehemalige belgische Premierminister hinzu, ohne die Bedeutung dieser Äußerungen näher zu erläutern.

29.03.2023, Belgien, Brüssel: Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, hält eine Rede während einer Plenarsitzung im Europäischen Parlament. Foto: Virginia Mayo/AP

Der Rückzug erfolgte 20 Tage nach der Bekanntgabe seines Platzes als Spitzenkandidat der MR-Liste für die Europawahl am 9. Juni. Seine wahrscheinliche Wahl hätte ihn dazu gezwungen, vor Ablauf seines Mandats – voraussichtlich am 30. November – und spätestens bei der Vereidigung vor dem Europäischen Parlament während der Plenarsitzung Mitte Juli zurückzutreten.

Kritiker hatten Michel schnell vorgeworfen, seine persönlichen Interessen über das allgemeine Interesse zu stellen. Es wurde auch die Gefahr gesehen, dass der ungarische Premierminister Viktor Orban den Vorsitz des Europäischen Rates als Regierungschef des Mitgliedstaates, der die halbjährliche EU-Ratspräsidentschaft innehat, übernehmen könnte, wenn sich die EU-27 vor dem Rücktritt des Belgiers nicht auf einen Nachfolger einigen könnten. Beobachter halten dies jedoch für unwahrscheinlich.

Charles Michel wiederholt, dass er in seiner Kandidatur „eine Übernahme von Verantwortung – und auch eine Risikoübernahme – sah, die darauf abzielte, die demokratische Legitimität des europäischen Projekts, ausgehend vom Europäischen Parlament, zu stärken.“ Er war der Ansicht, dass die frühzeitige Bekanntgabe seiner Entscheidung den Staats- und Regierungschefs genügend Zeit ließ, um den Übergang vorzubereiten. Und dass der Wahlkampf mit der Ausübung eines zu Ende gehenden politischen Mandats vereinbar sei.

„Meine Wahl hat heftige Kontroversen in den Medien ausgelöst. Einen Teil davon hatte ich angesichts des neuartigen – kühnen, wie manche sagen würden – Aspekts meines Vorgehens vorausgesehen. Aber ich habe das Ausmaß und die Radikalität einiger negativer Reaktionen – nicht innerhalb, sondern außerhalb des Europäischen Rates – auf die Aussicht, dass ich an der europäischen Kampagne teilnehmen würde, unterschätzt. Und auch auf die Tatsache, dass das Ende meiner Amtszeit und der Amtsantritt der Person, die meine Nachfolge antreten wird, um einige Monate vorgezogen wurden.“

Charles Michel (links) und sein Parteikollege Didier Reynders. Foto: Belga

Michel verpflichtet sich daher, „meine Verantwortung mit voller Entschlossenheit bis zu ihrem Ende wahrzunehmen“. Am Ende dieses Mandats „werde ich mir Zeit nehmen, um über die Art und die Ausrichtung meines künftigen Engagements nachzudenken“.

Der Rückzug des Liberalen vom ersten Platz der MR-Liste für die Europawahlen lässt im Übrigen die Mutmaßungen über den Namen seines Nachfolgers auf dieser Liste wieder aufleben. Der Vorsitzende der MR, Georges-Louis Bouchez, drückte am Freitagabend seinen „Respekt“, aber auch seine „Enttäuschung“ aus, nachdem bekannt wurde, dass Charles Michel sich von den Europawahlen, für die er als Spitzenkandidat nominiert worden war, zurückziehen würde. Sein Nachfolger werde „zu gegebener Zeit“ bestimmt, kommentierte Bouchez auf X (ex-Twitter).

Auch der heutige EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte auf den Spitzenplatz auf der Europa-Liste der frankophonen Liberalen gehofft. Weil aber Michel für diesen Posten festzustehen schien, hatte Reynders den Posten des Generalsekretärs des Europarates ins Visier genommen, für den die amtierende belgische  Regierung von Alexander De Croo (Open VLD) ihn unterstützen sollte. (cre)

47 Antworten auf “„Postenjäger“ Charles Michel zieht seine Kandidatur für die Europawahlen zurück – „Verletzende Angriffe“”

  1. Jobs ohne Ende

    Fürwahr, eine tolle Branche, die Politik! Nichts hält die auf. Nicht umsonst sind die Leute nicht so gut gelitten?! So u a auch der Reynders von der MR. Was mögen die Leute wohl für eine dicke Rente einstreichen? Kein Wunder bei den Posten alle!? Und diese Kassen sind fast leer. Da bleibt zum Schluss nicht mehr viel übrig, zumal die Einzahlerzahl stark sinkt und noch mehr runter gehen wird? Was könnte man dagegen tun, grosse Frage? Wo bleibt da die gerechtigkeit?

  2. der heilige josef

    Er und Frau von der Leyen führen die einst so bewunderte EU in die Bedeutungslosigkeit. Früher gab es noch umfassend gebildete Politiker die wussten wie man Europa gestaltet auf dem Weg in die Zukunft die Ideen hatten für unser aller Wohlergehen in einer schon damals schwierigen Welt.

    • Nicht zu vergessen: die Frau Direktorin der EZB! Ein ähnlicher Fall: als Finanzministerin von einem französischen Gericht verurteilt, dann aber als Hüterin der Europäischen Zentralbank eingesetzt.

  3. Robin Wood

    „…sein Mandat als Präsident des Europäischen Rates vorzeitig niederzulegen, gibt denjenigen, die ‚Europa‘ als einen teuren Rettungsanker für abgehalfterte Politiker betrachten, wieder Munition.“

    Genau so ist es. Manchen Politikern reicht es nicht mehr, am Futtertrog zu sitzen. Sie suchen sich auch noch den besten Futtertrog aus.
    Solche Politiker denken nur an sich selbst, die Bürger sind ihnen egal.
    Von der Untersuchung gegen einige korrupte EU-Politiker und VdL hört man auch nichts mehr…

    • „sein Mandat vorzeitig niederzulegen“ … um ein anderes Politisches Amt anzustreben. Das hat auch schon der Umweltkomissar und Vizepräsident der EU-Kommission am 21/7/2023 gemacht! Der gebürtige Maastrichter ist bei den vorgezogenen Neuwahlen, im November 2023, versucht neuer Ministerpräsident der Niederlande zu werden. Es hat aber wahrscheinlich nicht so geklappt wie er es sich erwartet hat. Die Niederlande haben immer noch keine neue Regierung … und die nächsten Wahlen, für die EU, stehen bevor. Dreht der Herr Timmermans dann noch einmal sein Mäntelchen? Ach nein, er muss ja nicht antreten um erneut in die EU-Kommission zu kommen…

      • Walter Keutgen

        Haha, schlimmer war was Timmermans 2019 gemacht hat. Und das führt die ganze vom EU-Parlament gewünschte „Kanzlerwahl“ ins Absurde. Er war Nr. 1 der niederländischen sozialdemokratischen Liste und die Sozialdemokraten haben getönt: Wenn wir gewinnen, wollen wir Timmermans als Kommisionspräsident. Als die Wahl um war, ist er sofort zurückgetreten. Das war ein schlauer Schachzug! Die niederländische Regierung konnte es nicht wagen, obwohl die Sozialdemokraten in den Niederlanden in der Opposition waren, einen anderen Kommissar vorzuschlagen, denn das EU-Parlament hätte diesen abgeblockt. So hat Timmermans das gesamte grüne Programm der EU aufbauen können, nicht von der Leyen.

  4. Zahlen zählen Fakten

    Sos, er will also mehr dazu beitragen, die EU zu gestalten.
    Er hatten den verdammt höchsten Posten! Und da kann er nicht gestalten?

    Vielleicht will er ja der neuen EU Idee, praktisch alle Wagen, die älter sind als 30 Jahre als Schrott zu deklarieren, entgegentreten?

    Unser Arimont wird doch sicher dagegen angehen, oder? (Haha,….er hat noch NIE gegen seine Fraktion gestimmt, nicht ein einziges Mal.).

  5. Die MR hat schon fähige Politiker auf Führungsebene. Die PFF wird dies nicht schaffen denn es wird nicht gelingen Regierungsverantwortung zu ergattern. 20 Jahre Weykmanns ist das Resultat und nun verlässt die das Boot…

  6. Kasperle

    Der Glaube am ewigen Leben scheint in dieser Branche besonders groß zu sein.
    Wie klein muss deren Selbstbewusstsein sein, sich immer in den Mittelpunkt zu drängen.
    Ich empfinde großes Mitleid über soviel Armseligkeit.

  7. Politiker sind meistens besonders gepolte Menschen….
    Dies Parteiübergreifend !
    Leider kaum mehr Menschen mit Überzeugung, nur noch auf gutes Geld aus ….
    Unser aller Verderb, da Sie uns alle ruinieren werden

  8. Die Seeleute in früheren Zeiten wussten, wenn die Ratten von Bord gehen ist das Schiff verloren. Michel und die unfähige UvL waren nur Marionetten von Merkel und deren Zeit ist vorbei. Die neuen Mehrheiten in der EU werden die beiden vor die Türe setzen und Michel versucht jetzt schon durchs Fenster wieder rein zu kommen. Ich hoffe der Postenjäger wird für immer in die Wüste geschickt….

  9. Diese Postenjäger sind einfach nur ekelhaft.
    Vor allem wenn sie auf ihren Posten nichts auf die Reihe bekommen.
    Das einzige, das sie interessiert, ist der eigene Geldbeutel und die Anbetung der Macht. Was ist das für eine Haltung als Politiker. Arme Welt.

    • Foto Anneliese

      @ Kuckucksnet, @ Hat er den Job denn schon ?
      Ich möchte Sie beide nochmal daran erinnern, dass ich hier die Einzige bin, der es, schon gemäß dem Namen,
      zusteht Fotoanalysen zu machen.
      Trotzdem muss ich Ihnen ausnahmsweise doch Recht geben, dieser Schulze und Schutze- Verschnitt kuckt wie ein kleines Kind unter dem Weihnachtsbaum.

  10. ….
    Der Vorsitzende der MR, Georges-Louis Bouchez, drückte am Freitagabend seinen „Respekt“, aber auch seine „Enttäuschung“ aus, nachdem bekannt wurde, dass Charles Michel sich von den Europawahlen, für die er als Spitzenkandidat nominiert worden war, zurückziehen würde. Sein Nachfolger werde „zu gegebener Zeit“ bestimmt, kommentierte Bouchez auf X (ex-Twitter).
    //////
    Dabei hat Bouchez ihn höchstwahrscheinlich – zu recht – selbst abgeschossen. So geht Politik….😁

  11. Aufdeckung

    Da haben wir es wieder! Die Kuh sucht sich immer den tiefsten Trog aus!? Das sind die Benefissiäre en Bloc der unwissenden und dummen Steuerzahlern! In Belgien laufen deren masseweise hrerum! Sogar nicht so weit von uns entfernt! Nutzen ihre Posten köstlich aus, indem: „Arbeiten“ bis über 70, Rente in Menge für alle Posten usw usw!
    Daher muss sich was ändern! Einschränkung der Amtsdauer, Rente wie jeder Normalbürger, Löhne angepasst, keine Nebenpöstchen, usw!
    Der Bürger ist es satt, Steuern en gros, Schulden en masse!
    Schluss mit Garten Eden. Genug ist genug!

  12. Ferdinand

    So geht das bei der Politik. Man pikt sich die fettesten Happen raus, und das zum xten mal. Gut das sowas aufgedeckt wird. Mit solchen Methoden muss Schluss sein! Wir sind überfüllt von denen. Kein Wunder bei all den selber erbauten Futterkrippen. Zum Schluss beziehen die auch noch Renten von x mal der normalen Bürgerrente. Auch damit muss ein Ende her, die säubern die jetzt schon maroden Kassen. Wo bleibt da die Normalität?

  13. Peter Müller

    Wisst ihr eigentlich, dass ihr mit daran Schuld seit. Wer will denn, dass man ûber seine Kinder positiv strunzen kann ?, wir Eltern. Wir unterstûtzen sie doch, und wollen, dass sie studieren ,um später ans grosse Geld zu kommen, egal wie, und was, Hauptsache viel Geld. Das ist es ja , was in der heutigen Zeit nur zählt. Und kein Elternteil wird nein sagen ,wenn es in die Politik geht. da wird noch gross mit der Nachbarin drüber gesprochen was ihre Kinder erreicht haben, einen tollen Job machen,und viel Geld verdienen. .und man ist auch noch Stolz auf die Kinder, was ja gut ist.
    Und hier wird über jeden der mehr Geld verdient, besonders Politiker hergezogen. Oder sind es nur die, die im Leben nichts erreicht haben?.

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