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Auch 60 Jahre nach der Unabhängigkeit des Kongos ringt Belgien mit seiner kolonialen Vergangenheit

19.06.2020, Belgien, Gent: Ein Paar steht vor der Statue des belgischen Königs Leopolds II., die bei Protesten der „Black Lives Matter“-Bewegung mit Graffiti und Zement beschmiert worden ist. König Leopold herrschte von 1865 bis 1909 und war an der Kolonialisierung Afrikas beteiligt. Foto: Virginia Mayo/AP/dpa

Am 30. Juni 1960 wurde die Republik Kongo unabhängig. Auch 60 Jahre nach der Unabhängigkeit seiner ehemaligen Kolonie hat Belgien seine koloniale Vergangenheit nicht aufgearbeitet. Rassismus spaltet das Land bis heute.

Vor dem Königspalast in Brüssel hat Leopold II. noch seinen Ehrenplatz. Doch an vielen anderen Orten in Belgien ging es dem früheren König in den vergangenen Wochen an den Kragen: Denkmäler wurden beschmiert oder entfernt. 60 Jahre nach der Unabhängigkeit des Kongos befeuern Anti-Rassismus-Demonstrationen den Streit um Belgiens koloniale Vergangenheit.

Im späten 19. Jahrhundert hatte Belgien den Kongo besetzt. König Leopold II. verwaltete das Land, das etwa 70 Mal so groß war wie Belgien, von 1885 bis 1908 als Privatbesitz und regierte mit brutalsten Methoden.

06.12.2018, Belgien, Tervuren: Die Skulptur „Centres fermés, rêves ouverts“ (etwa: Zentren geschlossen, Träume geöffnet) vom kongolesischen Künstler Freddy Tsimba an der Außenfassade des Afrikamuseums. Foto: Sabine Glaubitz/dpa

Acht bis zehn Millionen Kongolesen sollen nach Schätzungen von Historikern unter seiner Herrschaft ums Leben gekommen sein – knapp die Hälfte der damaligen Bevölkerung. Noch bis zum 30. Juni 1960 gehörte das Land zum belgischen Kolonialreich.

„Die belgische Kolonialisierung zerstörte die kongolesische Gesellschaft“, sagt Bienvenu Matumo, ein Mitglied der zivilgesellschaftlichen Organisation Lucha im Kongo. Heute finden sich Statuen von Leopold II. in Kongos Hauptstadt Kinshasa nur noch in Museen. Doch gibt es Ausbeutung, wenn auch unter kongolesischer Herrschaft – von wertvollen Mineralien, Gold, Diamanten, Kobalt und Coltan und von Menschen noch immer. Korrupte Regierungen, Milizen und in- und ausländischen Bergbaufirmen verdienen daran gut. Bei Kobalt und Coltan etwa stehen am Ende der Kette Kunden auch in Europa, die Laptops oder Handys nutzen.

Die Kolonialzeit war in Belgien lange ein Tabuthema. Das Land habe diese Zeit nie wirklich überwunden, sagt eine Aktivistin vom Dekolonisierungskollektiv „Mémoire Coloniale“ der Deutschen Presse-Agentur. „Auch heute ist das Narrativ der Kolonialzeit noch sehr präsent: im öffentlichen Leben, in Schulbüchern, in den Köpfen der Menschen.“

Das Cover von „Tim im Kongo“.

Sie ist sich sicher, dass koloniale Denkmuster bis heute Diskriminierung und Rassismus in Belgien fördern. Bisher sei auch nicht viel dafür getan worden, diese Strukturen zu überwinden, kritisiert die ehrenamtliche Mitarbeiterin von „Mémoire Coloniale“. Für große Diskussion sorgt beispielsweise seit Jahren der „Zwarte Piet“ (Schwarzer Peter), der in Belgien und den Niederlanden der böse Helfer des Nikolaus ist.

Auch die berühmten Comics „Tim und Struppi“ sind politisch umstritten. Vor allem die frühen „Tintin“-Folgen – darunter „Tim im Kongo“ aus dem Jahr 1931 – spiegeln das rassistische Weltbild dieser Zeit. Trotz des zweifelhaften politisch-ideologischen Hintergrunds sind die Comics von Autor Hergé in Belgien aber bis heute Kult.

UN-Menschenrechtsexperten warnten in einem Bericht vergangenes Jahr, Bürger afrikanischer Herkunft erlebten in Belgien Rassismus und Diskriminierung. Es sei bewiesen, dass dies auch in belgischen Institutionen verbreitet sei. Schon damals übten die UN-Experten Kritik an den Denkmälern von Leopold II. und anderer Personen aus der Kolonialzeit. Sie fordern das Land auf, sich seiner Vergangenheit zu stellen und diese aufzuarbeiten. Eine Forderung, die viele Kongolesen und Menschenrechtler seit Jahren vergeblich stellen – bis jetzt.

Der gewaltsame Tod des Afroamerikaner George Floyd in den USA hat auch in Belgien heftige Proteste ausgelöst. Dabei geht es nicht nur um strukturellen Rassismus, sondern eben auch um die Kolonialzeit. Die Politik hat reagiert.

10.06.2020, Kongo, Kinshasa: Statuen von Sklaven aus der Kolonialzeit (r) sind neben einer Statue von König Leopold II. von Belgien auf einem Pferd reitend (l) im Institut der Nationalmuseen des Kongo zu sehen. Foto: John Bompengo/AP/dpa

Mitte Juni votierte das belgische Parlament für eine Expertenkommission, die die Gräueltaten des eigenen Herrschers aufarbeiten soll – zum ersten Mal in der Geschichte des Landes. Initiiert wurde das vom Fraktionsvorsitzenden der flämischen Liberalen, Patrick Dewael (Open VLD). Es reiche nicht, sich für die Vergangenheit zu entschuldigen, sagte Dewael. Nötig sei Wiedergutmachung.

Genau das will auch die zivilgesellschaftlich Organisation Lucha im Kongo. Junge Kongolesen wünschen sich nicht nur von der eigenen Staatsführung eine Veränderung. Sie wollen, dass Belgien zu seiner Historie steht und für die Verbrechen um Vergebung bittet. Außerdem müsse Belgien gestohlene Kunstwerke zurückgeben, sagt der 30-jährige Matumo.

Er will, dass der Kreislauf von Ausbeutung und Korruption gestoppt wird. Dafür sollte aus seiner Sicht die nächste Generation von Belgiern ihre Vergangenheit kennen: „Belgien muss den Mut haben, seinen Töchtern und Söhnen an Schulen und Universitäten die wahre Geschichte seiner Kolonialisierung im Kongo beizubringen.“ Die Kolonialgeschichte soll zukünftig ausführlich auf dem Lehrplan stehen. Das seien gute Nachrichten, sagt auch die Aktivistin von „Mémoire Coloniale“. (dpa)

Zum Thema siehe auch folgende Artikel auf OD:

20 Antworten auf “Auch 60 Jahre nach der Unabhängigkeit des Kongos ringt Belgien mit seiner kolonialen Vergangenheit”

  1. Piersoul Rudi

    Schon 60 Jahre Unabhängigkeit…aber die Bevölkerung hat noch immer kein Trinkwasser…und Vieles mehr…
    Zu den Satz;…“Er will, dass der Kreislauf von Ausbeutung und Korruption gestoppt“…usw…
    Dann soll der Herr Matumo mal damit anfangen…bei den viele heutige und vergangenen Politiker des Kongo´s…Zaire…RDC…

    • Carola Magna

      Hier im Artikel geht es aber nicht darum, was das Opfer tun sollte, sondern darum, was der Täter tun kann und muss. Ob Völkermörder, Totschläger oder Vergewaltiger: Wer seine Schuld nicht eingesteht, bereut und sich ernsthaft und dauerhaft anstrengt um sich zu ändern, der kann nicht gleichberechtigt wieder in die menschliche Gesellschaft eingegliedert werden. Und wer dann noch von irgendeiner Schuld des Opfers faselt oder sich noch einmal in dessen Leben einmischt indem er ihm zum Beispiel ungefragt Ratschläge mit Grüßen vom in allen Lebenslagen erfahrenen Massenmörder erteilt (so wie Sie), der macht sich erneut schuldig an dem, dem er unermesslichen Schaden zugefügt hat. Unermesslichen Schaden. Mörder können nicht so tun als hätten sie immer alles richtig gemacht und aus dieser Position heraus irgend etwas besser wissen wollen als ihr Opfer. Nicht das Opfer muss sein Leben im Sinne des Täters kontrollieren, sondern der, der schon einmal extrem außer Kontrolle geraten ist. Hören Sie auf, Kongolesen vorzuwerfen, dass sie nicht perfekt sind. Kehren Sie vor der eigenen Tür und erkennen Sie sich selbst. Und handeln Sie dann danach.

      • Piersoul Rudi

        Liebe Frau Carola Magna(29/06/2020 14:18);
        Ich glaube Ihnen sagen zu „dürfen“…das ICH MICH für NICHTS(!!!!!) bei irgend jemandem zu entschuldigen habe.
        Wenn Sie meinen „schuldig“ zu sein(sein zu müssen) an „Dem was in der Geschichte mal passiert“ sei…dann haben Sie noch viel Arbeit vor sich…
        MG(Das „Freundlich gewollt weggelassen)

      • Populist

        An Carola Magna
        Sie haben Recht. Ich sollte den Afrikanern das geklaute Geld zurückgeben, vielleicht indem ich mein Haus verkaufe oder sonst was Wertvolles und das Geld dann überweise. Es findet seinen Weg bestimmt zu den Richtigen. Und wegen der Morde und Verstümmelungen wäre wohl eine Selbstanzeige angebracht. Nur so kann das Unrecht gesühnt werden.

      • Hausmeister

        Erzählen Sie Ihre Schuld und Sühne-Gedanken der Banque Générale de Belgique oder deren Nachfolger; die haben sich damals bereichert auf Kosten der Toten und Verstümmelten; ebenso das „volksnahe“ Königshaus, das bis heute seine Schlösser, Parks und Museen ( z.b.“Königliche Museum für Zentral-Afrika“ bei Brüssel ) aus dieser Zeit besitzt und die keinem normalen Belgier etwas nutzen.
        Wenden Sie sich an die Richtigen mit Ihrer Anklage und lassen Sie die Bevölkerung damit in Ruhe!

      • CM,eigentlich sollten Sie den Kolonialherrn dankbar sein, es ist auch vor Ort viel Infrastruktur entstanden u man hätte viel lernen können, jedoch hat man nichts gelernt und mittlerweile ist auch jegliche Infrastruktur im Arsch, und dafür können die Europäer nichts….

      • Piersoul Rudi

        @ Carola Magna(29/06/2020 14:18);
        Es geht mir in meinem Kommentar darum das man sich die Frage stellen kann/darf was die da unten aus dem/mit dem, 60 Jahre Unabhängigkeit „gemacht haben.
        Mein Bsp. mir dem Trinkwasser ist nur eines von…Vielen…
        Wie viele Miljarden Franken/Euro´s sind schon überwiesen worden???
        Und was haben die „Einheimischen und Unabhängigen“ damit gemacht???
        Wissen Sie es…
        Nein, wahrscheinlich nicht aber viel kann es nicht gewesen sein wenn man am heutigen Tage die Außenbezirke betrachtet.
        Können Sie Frau Magna mir/uns darauf eine Antwort geben???
        Wahrscheinlich nicht…das ist nämlich ein „Faß ohne Boden“ und wird es immer sein…
        Vielleicht kann man den Spieß mal umdrehen…
        MfG.

  2. Ermittler

    Wir Lebende können uns nicht entschuldigen was andere getan haben aber es Leben noch viele Kongolesen die heute noch ihr Landsleute verklaven oder warum wollen die nach Europa ,scheint als der weisse Man doch nicht so schlecht war mit ihnen anders kann ich mir dies nicht erklären

    • Ohne den „weißen Mann“ läuft dort nicht viel. Nur Korruption u Willkür, sehen Sie sich nur in Kinshasa um. Die wollen nach Europa weil man hier auch ohne was zu tun gut „durchkommt“. Klingt böse, ist aber so.

  3. Hausmeister

    Die ewige Diskussion um den „Tim und Struppi“-Rassismus kann schon nerven. Der Rassimus, wenn es denn einer ist, geht ja in beide Richtungen: So werden auch die Weißen als überlegen und besserwisserisch dargestellt; ein typisches rassistisches Vorurteil. Ebenso kommen sie als doof (Schulze und Schultze), als Alkoholiker ( Kapitän Haddock) oder als Verbrecher (Jörgen oder so, Wolff, Doktor Miller,….) daher.
    Alle sind irgendwie Karikaturen, und Kunst darf das.

  4. L'Afrique et l'Asie conquises par elles-mêmes

    “ L’Afrique n’a pas été conquise par les Européens, [mais] par ses esclaves et ses paysans “
    (A. Clayton: Histoire de l’armée française en Afrique, p. 484). Auch im Kapitel “ L’Afrique et l’Asie conquises par elles-mêmes “ in „La possession du monde. Poids et mesures de la colonisation“ (2000) von Bouda Etemad, zitiert.
    Des questions?

    • Vous confondez colonisation et conquête.
      Bien entendu que les Européens ont manipulés, entretenus et parfois payé les autochtones comme des mercenaires.
      Si je veux conquérir un pays, rien de mieux que laisser s’entretuer ceux qui sont déjà sur place …

  5. Friedrich Meier

    Ich werde mein Iphone nicht wegwerfen, weil in China die armen Arbeiter bei der Produktion ausgebeutet werden.
    Ich werde Österrerreich nicht als Urlaubsland boykottieren, weil früher die Ungarn sich mal von den Österreichern ausgebeutet fühlten.
    Ich werde weiterhin Serrano-Schinken essen obwohl die Spanier einen Portugiesen nach Amerika schickten um neue Länder zu erobern.
    ich werde sogar weiterhin Tim im Kongo lesen.
    … es sei denn die Italiener entschuldigen sich bei uns, weil die alten Römer unsere Gegend damals unterworfen haben.
    Philippe bleibt auch mein König, wenn er nicht vor den Afrikanern auf die Knie fällt.

  6. Rob-Otter

    „Millionen Tote während Leopolds Herrschaft im Kongo

    Zudem mussten die Soldaten über jede verschossene Patrone Rechenschaft ablegen, indem sie die rechte Hand des Getöteten vorlegten. Da die Waffen aber auch oftmals zur Jagd benutzt wurden, hackten die Soldaten auch vielen Menschen bei lebendigem Leib die Hand ab.“

    Ist schon Wahnsinn, was da alles gemacht wurde. Hat mit George Floyd in den USA aber nichts zu tun.

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