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Zwischen Tragik und Toren: „Die zwei Leben“ von Kölns Ex-Torjäger Dieter Müller

Bild links - 30.05.1977, Niedersachsen, Hannover: Kölns Trainer Hennes Weisweiler (r) umarmt seinen Stürmer Dieter Müller, der im Niedersachsenstadion in der Wiederholung des DFB-Pokalendspiels gegen Hertha BSC Berlin das siegbringende 1:0 erzielte. Bild rechts - 17.03.2014, Hessen, Frankfurt/Main: Der ehemaliger Fußball-Nationalspieler Dieter Müller. Foto: picture alliance / dpa

Dieter Müller hat in einer Saison mal 34 Bundesliga-Tore für den 1. FC Köln geschossen. Die anrührende Biografie des gebürtigen Offenbachers ist weit mehr als nur ein Fußballbuch.

Heute wäre Dieter Müller vielleicht ein Stürmer der Kategorie Robert Lewandowski. Sein Marktwert? „O je! 100 Millionen vielleicht? Ich weiß nicht, was meinen Sie?“, sagt der zweimalige Torschützenkönig der Bundesliga und lacht. „Das waren ja ganz andere Zeiten bei mir.“

Nicht, dass sich der 66-Jährige deswegen grämt und gerne später geboren worden wäre. Dieter Müller hat so viel erlebt, dass jetzt eine Biografie über ihn erscheint: „Meine zwei Leben“. Man könnte seine Vita auch verfilmen – mit seinen unfassbaren Schicksalsschlägen, Triumphen und Anekdoten.

30.06.1975, Hessen, Grünberg: Der Trainer des 1. FC Köln, „Tschik“ Cajkovski (hinten), bereitet im Juli 1975 in der Sportschule des Hessischen Fussball-Verbandes in Grünberg seine Mannschaft auf die 13. Bundesliga-Saison vor. Vorn macht Dieter Müller noch gut Mine zum harten Training. Foto: DB/dpa

„Es war ein bisschen Aufarbeitung. Und mein Ziel ist es, ein paar Menschen zu berühren“, erklärt Dieter Müller die Beweggründe des Buchs, das er mit dem früheren „Kicker“-Reporter Mounir Zitouni geschrieben hat.

Es ist die Geschichte eines sensiblen Fußballer-Riesen mit einem scharfen Bruch: Am 30. September 2012 erlitt er einen Herzinfarkt, wurde von seiner Frau Johanna gerettet und lag fünf Tage im Koma. Davon hat Dieter Müller schon öfter erzählt, nicht aber so anrührend von seiner harten Kindheit und dem Tod seines damals 16-Jährigen Sohnes Alexander.

„Das Leben kann ein mieser Verräter sein und manche Dinge kann und muss man vielleicht auch nicht verstehen“, schreibt Dieter Müller im Epilog des 236-Seiten-Werks. Und doch ist es auch die Story eines Lebemanns: Der frühere Profi der Offenbacher Kickers, des 1. FC Köln und VfB Stuttgart hatte bis heute 18 Porsche und wurde zu seiner Zeit bei Girondins Bordeaux zum Wein-Experten.

Seine beste Zeit erlebte Dieter Müller in Köln: 1977 war er mit 34 Treffern Torschützenkönig der Liga, 1978 gemeinsam mit Gerd Müller (beide 24), im gleichen Jahr deutscher Meister und DFB-Pokalsieger mit den Rheinländern. Beim 7:2 gegen Werder Bremen traf er gleich sechs Mal – das schaffte bisher nicht einmal Bayern-Star Lewandowski.

Von seiner wilden Zeit beim FC mit Stars wie Wolfgang Overath und Heinz Flohe und dem verrückten Trainer „Tschik“ Cajkovski hat Dieter Müller viel zu berichten. So absolvierten die Kölner 1974 ein Testspiel gegen Offenbach: Die Mannschaft reiste im Bus an, vom frischgebackenen Weltmeister Overath nichts zu sehen.

20.06.1976, Serbien, Belgrad: Der Kölner Stürmer Dieter Müller (vorn) erzielt den 1:2-Anschlußtreffer für die deutsche Fußballnationalmannschaft am 20.06.1976 in Belgrad im Europameisterschaftsfinale gegen die CSSR. Abwehrspieler Jan Pivarnik (l, hinten) hat das Nachsehen. Foto: Karl Schnörrer / dpa

15 Minuten warteten beide Teams, dann pfiff der Schiedsrichter auch ohne ihn an. Weitere 15 Minuten später traf Overath endlich ein. „Doch bevor er den Platz betrat, lief er erst noch rüber zu Marika Kilius, der bekannten Eiskunstläuferin und Sängerin, die am Spielfeldrand stand, und begrüßte sie mit Küsschen. Und posierte anschließend für Fotos.“ So beschreibt Dieter Müller die Szenerie damals.

Dieter Müllers Nationalmannschafts-Karriere dauerte nur zwölf Länderspiele, mit Bundestrainer Helmut Schön gab es öfter Ärger. Aber er war 1976 Vize-Europameister und EM-Torschützenkönig und für zumindest kurze Zeit der Nachfolger von Gerd Müller. Franz Beckenbauer traf Dieter Müller in der DFB-Auswahl erstmals in einer Hotel-Sauna – splitterfasernackt. „Guten Tag, Herr Beckenbauer, ich bin Dieter Müller.“ Der „Kaiser“ lachend: „Ja mei, kannst scho Franz zu mir sogn, i kenn di jo ah. Machst ordentlich Tore.“

Dieter Müller erlebte bei der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien die Schmach von Córdoba, das 2:3 gegen Österreich. Das WM-Quartier in einer Kaserne war wahrlich in der Pampa, der Anfang vom Ende der WM-Mission des Titelverteidigers.

17.03.2014, Hessen, Frankfurt/Main: Der ehemaliger deutsche Fußball-Nationalspieler Dieter Müller. Foto: picture alliance / dpa

Sepp Maier, erinnert sich Dieter Müller, kaufte sich in Ascochinga für 6.000 Mark einen Oldtimer der Marke Hupmobile, den es nach Aussage des Torhüters nur 30 Mal auf der Welt gegeben habe. „Er musste sich um die Papiere und die Frachtverschiffung nach Deutschland kümmern, und das alles, während wir um den WM-Titel kämpften“, so Müller.

Das Kapitel „Alexander“ hat der frühere Fußballstar ganz alleine geschrieben. Sein Sohn stirbt an einem Gehirntumor, und noch heute stockt Dieter Müllers Stimme manchmal, wenn er darüber spricht. „Ich denke oft an Alexander, er ist immer bei mir. Heute wäre er 38 Jahre alt, hätte vielleicht eine Familie, Kinder, und er würde mit meinen Enkeln öfters vorbeischauen. Es ist nicht so, und das ist sehr, sehr traurig.“ Seine Fußballschule, die er in Maintal für Kinder und Jugendliche betreibt, habe ihm geholfen, das alles zu verarbeiten.

Das Gefühl von schmerzhaften Verlusten hat Dieter Müller schon als Kind erlebt: Wenige Tage nach seiner Geburt ließen seine Eltern ihn bei den Großeltern mütterlicherseits in Offenbach und zogen nach Herne. Sein Vater Heinz Kaster, von dem er seinen ursprünglichen Nachnamen hat und der einst bei Eintracht Frankfurt kickte, stahl sich ganz aus seinem Leben. 42 Jahre lang sah er ihn nicht mehr.

Zehn Jahre lang wuchs Dieter Müller in bescheidenen Verhältnisse bei den Großeltern auf. Später starb sein Stiefvater Alfred Müller, bei dem das Talent erstmals Wohlstand und – trotz so mancher Alkoholexzesse – die entscheidende Unterstützung für seine Fußballkarriere erfuhr.

„Es gibt bessere Starts im Leben“, schreibt Müller. Seine Frau Johanna habe ihm gezeigt, „dass Lieben alles Verstehen und alles Verzeihen heißt“. (dpa)

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