Gesellschaft

Vor 10 Jahren der Amoklauf von Winnenden: Jugendlicher erschießt 15 Menschen und sich selbst

20.03.2009, Baden-Württemberg, Winnenden: Ein Holzkreuz mit 16 weißen Tulpen steht vor der Albertville Realschule in Winnenden. Foto: Bernd Weiflbrod/dpa

Zehn Jahre ist es her, dass ein Jugendlicher nahe Stuttgart in seiner ehemaligen Schule 12 Menschen erschießt und auf der Flucht drei weitere Leben sowie sein eigenes beendet. Der Amoklauf vom 11. März 2009 ließ eine große Frage zurück: Warum?

Am Morgen jenes Tages setzt sich der 17-jährige Tim K. zu seiner Mutter an den Frühstückstisch. Er isst ein Stück Rührkuchen und trinkt Kakao. Sein letztes Mahl. In viereinhalb Stunden wird er nicht mehr leben – wie 15 andere Menschen auch.

Er nimmt die Pistole aus dem Schlafzimmerschrank seines Vaters, eines Sportschützen. Munition aus dem Nachttisch: 285 Kugeln. Er verlässt das elterliche Haus in der 11.000-Einwohner-Gemeinde Leutenbach mit der Waffe und steuert seine ehemalige Schule an, die Albertville-Realschule.

11.03.2009, Baden-Württemberg, Winnenden: Polizeibeamte gehen vor der Albertville-Realschule in Winnenden zur Spurensicherung. Foto: Bernd Weissbrod/dpa

Um 9.30 Uhr dringt der junge Mann in das Gebäude ein und erschießt acht Schülerinnen, einen Schüler, drei Lehrerinnen sowie auf der Flucht weitere drei Menschen. Um 12.30 Uhr erschießt Tim K. auch sich.

Die lange vorbereitete Tat des Jungen aus bürgerlichem Hause jährt sich am Montag – am 11. März – zum zehnten Mal.

Nach der Bluttat von Winnenden und Wendlingen (Baden-Württemberg) bildete sich ein nationaler Forschungsverbund – auch ein Expertenkreis wurde berufen und ein Sonderausschuss im Parlament des Bundeslandes. Er stellte Fragen, etwa: Was muss anders sein, damit sich eine solche Tat nicht wiederholt? „Man kann Amoktaten verhindern, das ist ein ganz klares Ergebnis unserer Forschung“, sagt heute die Kriminologin Britta Bannenberg von der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Nach der Bluttat fragten viele nach den Gründen

Was hat sich nach der Gewalttat vom 11. März 2009 getan? In den Schulen seien Krisenteams eingerichtet worden, sagt Bannenberg. Ihnen komme schon vor einer Tat eine zentrale Aufgabe zu. „Das Wichtigste ist: Wie geht man mit dem Verdacht um, dass eine Person eine Amoktat planen könnte?“ Immer gebe es Anzeichen: „Die Täter sind psychisch hoch auffällig, befassen sich intensiv mit Tod, Töten, Terror. Das fällt dem Umfeld auf.“

Eltern, Mitschüler oder Lehrer müssten daher einen direkten Ansprechpartner haben – denn die Hemmschwelle, mit einem möglicherweise falschen Verdacht zur Polizei zu gehen, sei hoch. „Das funktioniert aber nicht in ganz Deutschland. Manchmal an manchen Schulen“, so das Fazit von Bannenberg.

27.02.2019, Baden-Württemberg, Winnenden: Ein Denkmal, das an die Opfer des Amoklaufs von Winnenden erinnert, steht unweit der Albertville-Realschule. Foto: Marijan Murat/dpa

Im Bundesland Baden-Württemberg gibt es laut Kultusministerium an jeder Schule ein Krisenteam, bestehend aus einem Vertreter der Schulleitung und zwei weiteren Mitgliedern. Sie sollen bei Hinweisen mögliche Gefährdungen einschätzen und die Polizei informieren – doch dafür müssen sie geschult sein.

„Bei den knappen Ressourcen gibt es auch immer Bauchschmerzen, wenn man Lehrer auf Schulungen schicken muss“, sagt der stellvertretende Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Michael Gomolzig. Gleichzeitig lobt er, dass die Anzahl der Schulpsychologen aufgestockt worden sei.

Nach der Bluttat fragten viele nach den Gründen für den Schützen, zur Waffe zu greifen und zum mehrfachen Mörder zu werden. „Mobbing spielte keine Rolle“, erklärt Bannenberg. Ebenso wenig wie bei den meisten anderen Amoktaten junger Menschen – 20 Taten waren es laut der Wissenschaftlerin seit 1992 in Deutschland. „Sie fühlten sich vielleicht gemobbt, das hat aber nichts mit der Realität zu tun.“ Im Gegenteil, es gebe häufig keine rationalen Motive. „Die Täter sind schwer psychisch gestört.“ Getrieben von Hass auf eine Gruppe oder die Gesellschaft, suchten sie den großen Abgang.

Verhalten der Medien in der Kritik

Häufig nehmen sich junge Amoktäter andere zum Vorbild. Vom Schützen in München ist bekannt, dass er vor seinem Amoklauf im Sommer 2016 die Tatorte in Winnenden besuchte und fotografierte. Eine Tat mit großem Medienecho erhöht die Gefahr von Nachahmung.

Udo Andriof, der Vorsitzende des 2009 eingerichteten „Expertenkreis Amok“, sieht das Verhalten der Medien in Winnenden sehr kritisch: „Klassenkameraden wurden von Journalisten sogar gebeten, ein Klassenfoto mit dem Täter zu besorgen.“ Auch das wurde in den 83 Empfehlungen im Abschlussbericht des Gremiums berücksichtigt – mit Erfolg, wie Andriof findet. „Der Presserat hat in seine Richtlinien die Empfehlung aufgenommen, die Täter nicht herauszustellen und auf die Opfer und ihre Angehörigen mehr Rücksicht zu nehmen.“

27.02.2019, Baden-Württemberg, Winnenden: Sven Kubick, Rektor der Albertville-Realschule, steht im Gedenkraum der Schule. Foto: Marijan Murat/dpa

Der Expertenkreis schlug auch Alarmsysteme extra für Amok und sichernde Drehknöpfe in Schulen vor – so dass Türen nicht mehr von außen geöffnet werden können. Weil das Handy-Netz damals unter einer Vielzahl von Anrufen zusammenbrach, sollten Schulleiter künftig Funkruf-Geräte (Pager) bei sich tragen. Die Pager sind in einer Verwaltungsvorschrift in Baden-Württemberg seit 2012 verbindlich vorgeschrieben – Türverschlusssysteme dagegen zum Beispiel nicht.

Angehörige der Opfer gingen damals mit dem „Aktionsbündnis Amoklauf“ in die politische Offensive. Sie forderten auch ein schärferes Waffengesetz. „Unsere Maximalforderung ist nicht durchgegangen, und das wird sie auch nie: das Verbot großkalibriger Waffen“, sagt Gisela Mayer, Vorsitzende der „Stiftung gegen Gewalt an Schulen“ – dem Nachfolger des Bündnisses. Als Reaktion auf Winnenden wurden aber verdachtsunabhängige Kontrollen bei den rund 960.000 registrierten Waffenbesitzern (Stand 31.12.2018) in Deutschland ermöglicht.

Waffenkontrollen oder Alarmübungen seien eine Daueraufgabe, mahnt Udo Andriof. Aber künftige Taten ließen sich nicht komplett ausschließen. So sieht es auch Kriminologin Bannenberg: „Ein Amoklauf ist sehr selten und kann überall passieren.“ An ihrer Uni Gießen gibt es seit 2015 eine Telefonberatung für diejenigen, die eine Amoktat fürchten. Rund 200 Anrufe seien dort bislang eingegangen. (dpa)

Nachfolgend ein VIDEO mit einer Dokumentation des SWR „Winnenden zehn Jahre danach“:

13 Antworten auf “Vor 10 Jahren der Amoklauf von Winnenden: Jugendlicher erschießt 15 Menschen und sich selbst”

  1. Ungläubiger Thomas

    Das kann nicht sein. Es ist unglaublich, dass vor 10 Jahren ein solches Verbrechen durch einen Deutschen verübt wurde. Das Verbrechen, vor allem in dieser Dimension, ist doch – zumindest nach Auffassung einiger Kommentatoren hier – erst durch Angela Merkel und ihre Flüchtlinge zu uns gekommen!

    Wie? Es gab schon früher furchtbare Verbrechen und Irre bei uns? Das glaube ich nicht!

    • WAHRHEIT

      Setzen Sie ihre Brille auf und sehen Sie sich bitte die deutschen Kriminalstatistiken genauer an. Dann können Se vielleicht auch die Auffassung einiger Kommentatoren hier im Forum teilen…

    • Wahrlich ich sage dir Thomas, noch ehe der Tag vorüber ist, hat man dich aus dem Dorf gejagt.

      Vertraue unbeirrt auf deinen Humor und die Aufrichtigen. Meide die Verlockungen der Pharisäer, die sich rechtgläubig nennen. Ertrage die dir bevorstehenden Qualen geduldsam. Bitte den Herrn in den nächsten Stunden die Worte Frau, Klima, Jugend, EU zu meiden. Der Herr wird dir verzeihen, wenn du jegliche Sympathie zu Politikern verleugnest und gegebenenfalls den Antipolitkern frönst.

      Erfreue dich an der Wohltat, die du diesem Forum beschert hast. Nach dem Durchlutschen des Thema Karnevals und seiner menschlichen Schwächen, trotz bevorstehender Wahlen und Kandidatennominierungen, herrschte grosse Dürre, die einen befürchten ließ, dass in dieser beschaulichen Fastenzeit Einkehr gehalten wurde.

  2. Was gibt es hier zu zelebrieren?

    Was gibt es hier zu zelebrieren? Das war vor 10 JAhren und es war ein Einzelfall.
    Heute werden besonders in D, FR, UK, Schweden vor allem junge Frauen blutigst verprügelt, vergewaltigt und getötet. Und man liest hier nichts davon.

    • Deutsches Opferlamm

      Ich lebe 3 Kilometer von einem der größten Flüchtlingslager Deutschlands entfernt (Gießen). Massenvergewaltigung, Verbrechenshochburg, blutigste Frauen, getötete Frauen? Fehlanzeige. Sorry, Sie schreiben von Dingen, die Sie nicht kennen. Ich fühle mich sicher, meine Frau auch. Wir hatten noch nie Probleme. Zwischen dem Lager und unserem Haus liegen keine drei Kilometer Bundestraße.

      • Märchen

        Klar doch, und alle Probleme überall in Schland sind nur von RT auf Befehl von Putin erfunden. Klar doch. In Worms kann mannicht einmal für eine vom MUSEL getötete Abschiedsmesse in Frieden zelebrieren ohne, daß einer von denen seinen omnösen Schrei in der Kirche brüllt.
        Sie erzählen Märchen.

  3. Mir fällt da schon einiges ein.

    – 15 unschuldige Tote. Korrekt: Unschuldige wie bei jedem anderen Attentat auch.
    – In Winnenden handelte es sich um einen Täter, der mit sich und seinem Umfeld nicht zurecht kam (subjektiv). Andere Attentate haben zumindest eine objektivere Zielsetzung. Ob diese nun wahrhaftig ist bleibt dahingestellt. Ob diese rechtmässig ist (m.M. nein), braucht man gar nicht zu diskutieren.

    Jedes Opfer eines jeden Verbrechens ist beklagenswert. Da bedarf es keiner Relativierung, weder in die eine noch in die andere Richtung.

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