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Prozess um die Vergabe der WM 2006 an Deutschland: Schweizer Richterin rügt die deutschen Angeklagten

09.03.2020, Schweiz, Bellinzona: Urs Linsi (2.v.r), ehemaliger Generalsekretär des Fußball-Weltverbandes FIFA, und seine Anwälte kommen ins Bundesstrafgericht. Foto: Samuel Golay/KEYSTONE/Ti-Press/dpa

Eine kompromisslose Richterin, erboste Anwälte und ein kämpferischer Ex-DFB-Chef: Der Prozess um dubiose Millionen-Zahlungen im Rahmen der Vergabe der Fußball-WM 2006 an Deutschland startet mit ungewöhnlich klaren Ansagen. Die Schweizer Richterin legt es auf einen Showdown mit den deutschen Angeklagten an.

Diese Schlappe zum Start im Sommermärchen-Prozess wollte Theo Zwanziger nicht einfach so hinnehmen. „Unentschuldigt nicht erschienen!“

Diese kompromisslose Ansage von Richterin Sylvia Frei veranlasste den früheren Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes am Montag zur nächsten Breitseite gegen die aus seiner Sicht im Verfahren um die dubiosen WM-Millionenzahlungen schlampige Schweizer Justiz.

Die Entscheidung von Frei, sein Fehlen im Stile einer strengen Oberlehrerin am ersten Verhandlungstag als unbegründet zu bewerten, habe ihn „nicht überrascht“, sagte der 74-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Die „jahrelange Fehlbeurteilung wichtiger Sachverhalte“ in dem Verfahren habe sich nun fortgesetzt. Er werde in Kürze seine Sichtweise detailliert darstellen, kündigte er fast wie eine Drohung an.

13.08.2019, Rheinland-Pfalz, Diez: Theo Zwanziger, ehemaliger Präsident des DFB, gibt eine Pressekonferenz. Foto: Boris Roessler/dpa

Zwanziger war der Verhandlung vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona aus gesundheitlichen Gründen ferngeblieben, wie die ebenfalls angeklagten früheren DFB-Funktionäre Wolfgang Niersbach (69) und Horst R. Schmidt (78). Als Angeklagter war nur der frühere Generalsekretär des Fußball-Weltverbandes FIFA, Urs Linsi (70), anwesend.

Nach ein paar Minuten schloss die vorsitzende Richterin die Verhandlung und lud das Trio für Mittwoch erneut vor. Notfalls werde die Verhandlungsfähigkeit etwa von Schmidt in einem Krankenhaus in Zürich überprüft, drohte sie.

„Ich bin nicht zufrieden, sondern im Gegenteil konsterniert, weil das Gericht zum Beispiel über diverse ärztliche Zeugnisse einfach hinweg gegangen ist“, sagte Schmidts Anwalt Nathan Landshut. „Es macht den Eindruck, dass das Gericht rechtsstaatliche Prinzipien über Bord wirft für ein Schnellverfahren.“ Er könne seinem herzkranken Mandanten jedenfalls nicht raten, angesichts der Coronavirusgefahr am Mittwoch zu kommen. Niersbach wollte sich auf Anfrage zum Ablauf des ersten Prozesstages zunächst nicht äußern.

Weshalb wurden 6,7 Millionen Euro an FIFA überwiesen?

Die Funktionäre sollen laut Anklage ein Jahr vor der WM in Deutschland, im Jahr 2005, eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro an den Fußball-Weltverband FIFA als Beitrag für eine Gala verschleiert haben. In Wirklichkeit seien damit persönliche Schulden beglichen worden.

Hier kommt Franz Beckenbauer ins Spiel: Als WM-Organisationschef hatte er dieselbe Summe 2002 von dem Unternehmer Robert Louis-Dreyfus geliehen. Das Geld landete auf dem Konto einer Firma des mittlerweile lebenslang gesperrten ehemaligen FIFA-Vizepräsidenten Mohamed bin Hammam in Katar.

18.11.2005, Hessen, Frankfurt/Main: Das Präsidium des Organisationskomitees für die Fußball-WM 2006 in Deutschland (l-r): Horst R. Schmidt, Theo Zwanziger, Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach im Waldstadion. Foto: DB Kunz/-/dpa

Wofür das Geld bestimmt war, ist eine Kernfrage des Skandals, aber gar nicht Gegenstand dieses Prozesses. Bestechung bei der WM-Vergabe 2000? Nachzahlung für Provisionsausfälle geplatzter TV-Deals? Die offizielle Version mit der Gala oder dass es eine Abschlagszahlung für eine spätere Millionenzuwendung war, überzeugt wenige.

Beckenbauer könnte die Hintergründe kennen, schweigt aber wie bin Hammam und auch Joseph Blatter, als damaliger FIFA-Chef, der als Zeuge geladen ist. Beckenbauer ist auch angeklagt, doch wurde das Verfahren gegen ihn abgetrennt, weil er gesundheitlich angeschlagen ist. Er soll aber auch als Zeuge aussagen. Alle Angeklagten sagen, dass sie sich nichts haben zu Schulden kommen lassen.

Richterin Frei war am Montag kompromisslos: Anträge auf Befangenheit der Staatsanwaltschaft? Abgelehnt. Anträge auf Aussetzung des Verfahrens? Abgelehnt. Auch bei den ärztlichen Attesten ließ sie nichts gelten. Auch herzkrank könne man an einem Verfahren teilnehmen, beschied sie. Eine Augenoperation wie bei Zwanziger? Wer nicht gut sehen könnte, könne sich ja herfahren lassen. Ein Risiko wegen des im nahen Italien grassierenden Coronavirus? Das Gericht habe alle Vorkehrungen getroffen, um Ansteckungen zu vermeiden.

Öffentlichkeit wegen Coronavirus ausgeschlossen

Das Verfahren begann am Morgen vor dem Gebände mit Fiebermessen: jedem Eintretenden hielt ein Mitarbeiter ein Infrarot-Fiebermessgerät auf die Stirn. Die Öffentlichkeit ist wegen der Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 ausgeschlossen.

09.03.2020, Schweiz, Bellinzona: Blick auf das Bundesstrafgericht. Der erste Verhandlungstag im Schweizer Sommermärchen-Verfahren dauerte nur ein paar Minuten. Foto: Samuel Golay/KEYSTONE/Ti-Press/dpa

Staatsanwälte und Verteidiger saßen mit gehörigem Abstand voneinander auf den Stühlen, auch Richterin Frei hielt zu Richterin Miriam Forni und Richter Adrian Urwyler zwei Meter Abstand. Dass bei der Taschenkontrolle am Eingang dann ein dichtes Gedränge herrschte, brachte Linsi auf die Palme: „Wie soll ich da zwei Meter Abstand halten?“, fragte er genervt.

Das Gericht hat es eilig. Das vermeintliche Delikt – die Überweisung – verjährt am 27. April 2020. Wenn es bis dahin kein Urteil gibt, wird das Verfahren eingestellt. Die Anwälte weisen es zurück, dass sie auf Verzögerung setzen. Die Angeklagten hätten die schleppenden Ermittlungen nicht zu verantworten, sagt Anwalt Landshut. Auch Zwanzigers Anwalt Beat Luginbühl weist das von sich. Es gebe aber genügend Gründe für ein abruptes Ende. „Ein korrektes Verfahren kann bedeuten, dass der Prozess abgebrochen wird“, sagt er.

Für Donnerstag und Freitag sind Zeugen geladen: Beckenbauer und der mit dem damaligen Darlehensgeber Louis-Dreyfus eng vernetzte Ex-Profi Günter Netzer sowie der frühere FIFA-Präsident Blatter. Dessen Sprecher sagte der dpa, Blatter werde per Videolink aussagen. (dpa)

4 Antworten auf “Prozess um die Vergabe der WM 2006 an Deutschland: Schweizer Richterin rügt die deutschen Angeklagten”

  1. Groteske Story

    Das sind diese „Freifahrtstypen“! Die meinen sie hätten überall Vorfahrt. Solche Brüder gibt’s zur genüge bei uns hier! Besonders in der Politik. Aber leider ist noch kein einziger von denen so richtig hinter die Schwedischen Gardinen gelandet?!
    Hoffentlich bleibt die Richterin hart, und nimmt sie so richtig in die Mangel.
    Auch hier sieht man so richtig den Klassenunterschied.
    Grosse Namen, grosse Fortünen?
    Woher wohl?
    Hier sollte mal so richtig ein Exempel statuiert werden.
    In dem FIFA Dschungel stinkt es ja von Millionen und Milliarden. Auf ein paar weniger oder mehr kommts auch nicht mehr an.
    Aber „sitzen“ müssten sie schon, ob Gross oder nicht! Gerechtigkeit ist nicht nur beim kleinen Mann Gesetz, sondern gerade bei den Hohen Leuten!

  2. Ein Junger Raerener

    Hier scheint ein „älterer Eupener“ nicht sehr viel von verstanden zu haben? Kein Wunder bei dem Wirrwar an Überweisungen! Es war sicher so gedacht damals, von den sogenannten „hohen Herren“? Die meinten sicher dabei: da teilen wir uns mal die Knete untereinander, der Fussballfan wird sicher davon nichts merken!? Es ist hier wie bei vielem! Wo grosse Summen, Quantitäten zirkulieren, da fällt schon mal was „unterm Tisch“, (Nethys und Publifin lassen grüssen!), wo dann keiner mehr was merkt? Und schliesslich ist ja noch die Verjährungsfrist, die hilft ja ganz sicher noch, ungeschoren ins Freie zu kommen!? Da sind wir mal sehr gespannt auf die Reaktion des „alten Eupeners“, ob er wohl jetzt alles verstanden hat?

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