Gesellschaft

Trauer und Wut bei den Aktivisten im Hambacher Forst am Tag nach dem tragischen Tod eines Journalisten

20.09.2018, Nordrhein-Westfalen, Kerpen: Aktivisten haben an einer Mahnwache am Hambacher Forst ein Transparent mit der Aufschrift "ohne Räumung gäbe es hier keinen Toten" aufgehängt. Foto: Christophe Gateau/dpa

AKTUALISIERT – Nach einer Räumaktion im Hambacher Forst vor zwei Wochen riefen die Aktivisten den „Tag X“ aus. Für den nun eingetretenen Zustand gibt es keinen Namen. Ein 27-Jähriger ist aus einer Baumhaussiedlung in den Tod gestürzt. Es ist eine Zäsur im Ringen um den Wald.

Der Hambacher Forst klingt an diesem Donnerstagmorgen anders als in den vergangenen Tagen. Keine schweren Laster mit Hebekränen bahnen sich ächzend ihren Weg, keine „Hambi bleibt!“-Rufe schallen aus den Untiefen des Waldes.

Stattdessen hört man ganz leise ein Lied. „Bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao ciao“ singt eine Gruppe junger Menschen. Sie sitzen vor einem improvisierten Schrein, auf dem sie Kerzen angezündet und Zweige abgelegt haben. Ein Mann fängt heftig an zu schluchzen. Ein anderer umarmt ihn.

Für die Besetzer war er ein Freund

Es ist die Stelle, an der am Tag zuvor ein Journalist aus rund 15 Metern auf den Waldboden stürzte und starb. Er war zu den Besetzern geklettert, die zum Teil seit Jahren hoch oben in Baumhütten leben. Sie wollen verhindern, dass der Forst gerodet wird, um dort Braunkohle zu baggern.

Viele hier kannten den 27-Jährigen, weil er die Besetzung des Waldes mit Kameras dokumentierte. Die Besetzer bezeichnen ihn als Freund.

20.09.2018, Nordrhein-Westfalen, Kerpen: Aktivisten trauern an der Unfallstelle im Hambacher Forst. Foto: Oliver Berg/dpa

Seit dem Sturz ist alles anders im Hambacher Forst. Die Räumung der Baumhäuser wurde von der Landesregierung bis auf weiteres gestoppt. Die Polizei hält sich zurück. Die Aktivisten trauern. Es ist eine Zäsur im schier endlosen Ringen um den Wald, den der Energiekonzern RWE im Herbst zu einem großen Teil weiter abholzen will. Nach einer Räumaktion vor zwei Wochen riefen die Aktivisten den „Tag X“ aus. Für den nun eingetretenen Zustand gibt es keinen Namen.

„Wir fordern, dass jetzt erstmal ein Moment der Ruhe und des Friedens für den Wald und alle Menschen, die beteiligt sind und sich betroffen fühlen, einkehrt“, sagt eine junge Frau, die sich Lykke nennt und immer wieder um Worte ringt. „Und dass der Irrsinn dieses Einsatzes nicht einfach so weitergeführt werden kann.“ Einen Toten habe es in sechs Jahren Besetzung noch nicht gegeben. Man dürfe das Unglück aber auch nicht politisch instrumentalisieren, sagt sie.

Das dürfte ein frommer Wunsch bleiben. Auch Lykke selbst verweist bei der Frage nach den Umständen für das Unglück schnell auf den Polizeieinsatz im Wald.

Die Diskussion um den Forst wird emotional geführt, es geht um die großen Fragen: Klima, Kohle, Konzerne. Auch zwei junge Männer, die lange vor dem Schrein für den Toten gekniet haben, deuten an, wen sie für den Schuldigen halten: „Ohne RWE gäbe es hier keine Besetzung.“ Und damit, so sehen sie es, keinen Toten.

“Er war immer an der Frontlinie“

Die Aachener Polizei spricht dagegen von einem tragischen Unglück und betont, es habe zum Zeitpunkt des Sturzes keine Polizeimaßnahmen an dem Baumhaus gegeben, in dessen Nähe sich der 27-Jährige aufhielt. Er soll durch die Bretter einer Hängebrücke gebrochen sein. Die Waldbesetzer selbst sind in der Regel stets an Seilen gesichert. Was genau passierte, wird nun untersucht.

19.09.2018, Nordrhein-Westfalen, Kerpen: die Absturzstelle im Hambacher Forst. Latten fehlen in einer Brücke zu einem Baumhaus. Ein Mann ist während der Räumungsarbeiten von dem Baumhaus gefallen. Foto: Christophe Gateau/dpa

Im Wald wird der Twitteraccount des 27-Jährigen herumgezeigt. Auf einem Video sieht man ihn hoch oben in einem Baumhaus. Ein Besetzer – er nennt sich Jos und spricht Englisch – sagt, er werde den Journalisten immer mit Kamera in Erinnerung behalten. Stets habe er Equipment dabei gehabt. Damit habe er alles dokumentiert, durchaus im Sinne der Besetzer. Jos nennt das „sympathische Medien“ und sagt: „Er war immer an der Frontlinie.“

Weit über ihm quietschen die Baumhäuser. Ein anderer Besetzer ruft, Jos solle nicht mit der Presse reden, es gebe Anwälte. Jos erwidert brüllend: „Stille ist auch ein Statement!“ Die Gefühlslage im Hambacher Forst ist an diesem Tag diffus. Trauer, Wut, Widerstand – alles mischt sich. Dass die Rodung nun einfach abgesagt wird, daran glaubt aber kaum jemand.

Er und die anderen seien im Hambacher Forst, um Aufmerksamkeit für etwas zu erzeugen, das größer sei als sie selbst, sagt Jos – und auch größer als das, was am Mittwoch passiert sei. „Das ist, warum wir hier alle unser Leben riskieren.“ (dpa)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

22 Antworten auf “Trauer und Wut bei den Aktivisten im Hambacher Forst am Tag nach dem tragischen Tod eines Journalisten”

  1. Ostbelgien Direkt

    AKTUALISIERT – Im späten Nachmittag wurde bekannt, dass der Journalist, der das Leben in den Baumhäusern dokumentieren wollte, verstorben sei. Zu schwer waren seine Verletzungen.

      • Walter Keutgen

        Es gibt geschätzt 3 Billionen Bäume, 422 pro Mensch. Bäume sterben natürlichen Todes oder werden gefällt. Umgekehrt entstehen Bäume durch natürliche Saat oder Anpflanzen durch den Mensch. Spricht man nicht von nachhaltigem Rohstoff?

  2. Politiker ohne Rückgrat die davor in die Knie gehen. Das sind abenteuerliche Konstruktionen die die Baumschützer da gebaut haben, wer darin herumturnt muss wissen welches Risiko er eingeht. Wäre ein Polizist zu Schaden gekommen, die „Aktivisten“ wären sicher nicht deswegen abgezogen…..

  3. Pensionierter Bauer

    Ohne Waldräumung gäbe es dort keinen Toten, dass stimmt. Aber warum bringen diese Typen sich denn auch in eine solch riskante Situation? Ganz einfach weil er mir der Story auf Seiten der illegal Waldbesetzenden ganz einfach viel Kohle verdienen wollte!
    Die sgn. Aktivisten dürfen sich jetzt auch ruhig mal am Kopf fassen, denn deren Konstruktion war ja wohl alles andere als mit dem Baurecht vereinbar.

  4. Sockenschuss

    Bei dem jungen Mann handelte es wohl selbst um einen Aktivisten,wenn er als Blogger unterwegs war. Nicht falsch verstehen! Schade um das junge Leben. Aber das zeigt doch nur,dass das die Räumung und das Durchgreifen der Polizei mehr als überfällig und gerechtfertigt ist. Schon zum Schutz dieser jungen verwirrten Aktivisten. Die merken gar nicht,dass ihre Jugend und Unbedarfheit nur von etablierten grünen-öko-Fädenziehern benutzt und ausgenutzt wird.

  5. Nicht umsonst besteht die wichtigste Ausrüstung aller Baumhäusler in ihren überall gespannten Stahlseilen und den reichlich vorhandenen Karabinerhaken, mit denen sie sich daran sichern. Dieser leichtsinnige Blogger meinte offenbar, sich völlig ungesichert durch die Bäume bewegen zu können. Als jemand, der die jetzt größtenteils zerstörten Baumhaussiedlungen aus eigener Anschauung kennt, bleibt mir da die Spucke weg.

  6. Aus Zeit online: Aktivistin Lykke behauptet aber, allein das massive Aufgebot der Polizei habe eine „heftige Stresssituation“ geschaffen, die das Unglück gleichsam provoziert habe.

    Das Narrativ einer erneuten „Hetzjagt“ hat also schon seinen Weg in die grünen Unterstützermedien gefunden. Mal sehen wann die SPD die Absetzung des Aachern Polizeipräsidenten fordert um dann seiner Beförderung zuzustimmen……

  7. Darwin in Action. Wenn man in der Höhe auf gespannte Frickelei rumwandert, sollte man schon ein Minimum für die eigene Sicherheit tun. Wenn man meint mit dem Cirque du Soleil konkurrieren zu können, und es dann schiefgeht, da bleibt meine Anteilnahme eher aus.

    • Gar nicht sooo falsch, an Darwin zu denken. Auch hier geht es um Anpassung an eine neue Lebenswelt, wenn auch auf der Ebene des Individuums und nicht, was Darwin interessiert hat, der Spezies.

      • @ Lionne

        Bedeutet für Sie „Anpassung an eine neue Lebenswelt“ das man sich alles gefallen lässt? Das man auf Protest gegen einen, in den eigenen Augn unhaltbaren Zustand verzichtet?
        Es ist das Vorrecht der Jugend zu protestieren, besonderst wenn „wir Alten“ schon so abgestumpft und aufgerieben sind das wir die Fehler im System gar nicht mehr sehen, oder sie, was noch schlimmer ist, gar nicht mehr sehen wollen.

        • Nein, „Anpassung an eine neue Lebenswelt“ bedeutet im konkreten Fall, dass man sich wie alle anderen in den Bäumen an den Stahlseilen sichert. — Der Protest ist wichtig, schließlich geht es darum, dass die Braunkohle dazu beiträgt, aus der Erde einen Planet zu machen, der menschliches Leben vernichtet.

  8. Christophe Nix

    Ihr seid ja drauf ey, jetzt mal alle tief durchatmen. Er war 27 und ist nun tot. Es war ein tragischer Unfall und für Spitzfindigkeiten ist später noch Zeit.
    Ich war in der Nacht danach vor Ort und die Stimmung war sehr gedrückt. Versetzt Euch mal in die Lage derer die ihn kannten.

    • Sockenschuss

      Die, die ihn kannten sollte sich mal an die eigene Nase fassen und sich und ihr Verhalten infrage stellen, statt zu versuchen mit dem Tod ihres „Freundes“ weiter Stimmung zu machen. Da soll man deren Trauer glauben und Mitgefühl entwickeln? Grund für den Unfall war, dass der junge Mann wohl möglich geile Aufnahmen von der bösen Polizei machen wollte und alle Sicherheitsmaßnahmen ausser acht ließ.Tragisch-ja, traurig -ja ,das war’s.

      Schlimm sind die Sesationstouristen die jetzt aus lauter Mitgefühl da hin pilgern um zu sehen wo er aufschlug.

  9. Zaungast

    „Ohne Räumung gäbe es hier keinen Toten“

    Was bis jetzt zum Unfallhergang bekannt ist: Zum Zeitpunkt des Unfalls gab es keine Polizeirazzia, vor der der Mann geflohen sein könnte. Er ist anscheinend ohne Sicherung über eine Seilbrücke gegangen und durchgebrochen.

    Wie man da der Polizei eine wie immer geartete Schuld zuweisen kann, ist mir schleierhaft.

    Schuld war zuerst das Opfer selbst, das sich leichtfertig in Gefahr begeben hat.
    Sodann träfe doch zuerst die Erbauer dieser Brücke eine Mitschuld. Gab es unter den ihnen keinen Studenten der Ingenieursfakultät an der RWTH, der da einige Berechnungen zur Belastbarkeit dieser Konstruktion hätte anstellen können?

    Ein typischer Fall von Suche nach Schuldigen um jeden Preis. genauso gut hätte man sagen können, dass es ohne diesen illegalen Besetzungen keinen Toten gegeben hätte.

    „Kausalitätsprinzip“ nennt man das im Versicherungsrecht. Die Frage ist nur, wie weit man die Kausalitätskette zurückverfolgen will. Das Bonmot dazu lautet: Im Grunde sind Adam und Eva durch ihren Sündenfall für alle Übel der Menschheit verantwortlich.

  10. my earth

    Einige unserer östlichen Nachbarn haben scheinbar nicht mehr alle Tassen im Schrank! Polemisieren was das Zeug hält! Zugegeben, es ist traurig dass da ein junger Mensch ums Leben gekommen ist. Aber so bitter dies auch sein mag, er war selbst schuld. Wer hoch klettert, kann auch tief fallen, und das im wörtlichen Sinne! Dass die rot/grüne Meute jetzt versucht, andere, wie beispielsweise die Polizei deswegen mitverantwortlich zu machen, ist einfach idiotisch und hysterisch! Aber das kennt man ja zur Genüge von diesen „Aktivisten“

  11. Sockenschuss

    Bleibt die Frage wie sich die Aktivisten finanzieren? Sind doch sichet nicht alles frustrierte Kinder von reichen Eltern? Wer bezahlt deren Leben/Protest. Mit anderen Worten, für wen halten diese Kinder den Kopf hin? Dann hätte man den Schuldigen am Tod des Bloggers

Antworten

Impressum Datenschutzerklärung
Desktop Version anfordern