Politik

Sieg der Demokratie? Erdogan noch einmal Präsident

28.05.2023, Türkei, Kahramanmaras: Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan feiern nach dem Ergebnis der Stichwahl. Foto: Hakan Akgun/Dia Images/AP/dpa

AKTUALISIERT – Die Opposition kam ganz nah an einen Machtwechsel in der Türkei heran. Doch Erdogan hat es nach 20 Jahren an der Macht wieder geschafft. Seine Feinde sind bereits ausgemacht.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt sich feiern. Er steht vor seinem Palast in der Hauptstadt Ankara, Tausende Menschen jubeln ihm zu mit türkischen Fahnen. „Unsere Demokratie hat gesiegt“, sagt er. Niemand der 85 Millionen Türken habe verloren, gibt er sich zunächst versöhnlich – und wirft der Opposition wenig später einmal mehr Verbindungen zu Terroristen vor.

Erdogan hat die Stichwahl gegen seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu gewonnen, und damit seine Macht nach 20 Jahren an der Spitze der Türkei noch einmal zementiert. Er erhielt nach vorläufigen Ergebnissen rund 52 Prozent der Stimmen, Kilicdaroglu rund 48 Prozent. Schon in der ersten Runde vor zwei Wochen lag er entgegen aller Voraussagen vorn, verfehlte aber die notwendige absolute Mehrheit.

28.05.2023, Türkei, Istanbul: Recep Tayyip Erdogan (M), Präsident der Türkei und Präsidentschaftskandidat der Volksallianz, steht inmitten seiner Anhänger vor einem Wahllokal. Foto: Shady Alassar/ZUMA Press Wire/dpa

Währungskrise, schlechtes Krisenmanagement nach der Erdbeben-Katastrophe im Februar und hartes Vorgehen gegen Regierungsgegner, all das konnte Erdogan am Ende nichts anhaben.

Die Opposition, die in einem Sechser-Bündnis angetreten war, beklagte einen unfairen Wahlkampf. Sie hatte gehofft, das Land nach einem Wahlsieg wieder demokratisieren zu können. Ihre Anhänger sind am Boden zerstört. Kilicdaroglu ist der Ansicht, die Wahl zeige trotz Erdogans Sieg, dass das Volk den „Wechsel einer autoritären Regierung“ wolle.

Beobachter befürchten, dass Erdogan in Zukunft noch autoritärer regiert, nachdem er seine Macht erneut legitimiert hat. Europa und die USA müssen sich nun weiter auf Verhandlungen mit einem schwierigen Nato-Partner einstellen. Seine Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg wird Erdogan wohl beibehalten.

Seinen Wahlerfolg hat Erdogan auch der Unterstützung einer islamistisch-nationalistischen Allianz zu verdanken. Das könnte in Zukunft seine Politik weiter prägen. „Erdogan hat den Charakter des Staates geändert. Er hat es geschafft, den türkischen Staat von einem laizistisch-nationalistischen in einen islamistisch-nationalistischen zu wandeln. Und das wird er weiter vorantreiben“, sagt Asli Hürcan Aksoy vom Centrum für Türkeistudien (CATS).

28.05.2023, Türkei, Istanbul: Recep Tayyip Erdogan (M), Staatspräsident der Türkei, winkt Anhängern vor seiner Residenz in Istanbul. Foto: Francisco Seco/AP/dpa

Nach Erdogans Sieg zelebrierten Innenminister Süleyman Soylu und Tausende Anhänger ihr Morgengebet in die Hagia Sophia in Istanbul. 2020 hatte Erdogan die einstige Kirche trotz internationalem Protest von einem Museum in eine Moschee umwandeln lassen – ein Geschenk an seine religiöse Klientel.

Ebenfalls symbolisch und ein Triumph für Erdogan: Sein Sieg fiel genau auf den 10. Jahrestag der regierungskritischen Gezi-Proteste. Im Frühjahr 2013 hatten sich landesweit vor allem junge Menschen gegen Erdogans immer repressivere Politik aufgelehnt. Erdogan, damals noch Ministerpräsident, ließ die Proteste niederschlagen.

Die Niederlage ist umso bitterer für die Opposition. Sie schaut mit Entsetzen auf Erdogans Partner. Mit der islamistisch-kurdischen Hüda Par und der islamistischen Yeniden Refah hat Erdogan zwei Parteien ins Parlament geholt, die LGBT-und frauenfeindliche Politik machen. Die Hüda Par etwa will den Schutz der «traditionellen» Familie vor „abweichenden“ Ideologien durchsetzen und Mädchen und Jungen getrennt unterrichten.

Die größte Herausforderung für Erdogan nach der Wahl wird die Wirtschaft sein. Die massive Inflation von rund 44 Prozent ist Experten zufolge auch hausgemacht, weil Erdogan entgegen gängiger wirtschaftlicher Logik an seiner Niedrigzinspolitik festhält.

28.05.2023, Türkei, Istanbul: Recep Tayyip Erdogan (r), Staatspräsident der Türkei, hält neben seiner Frau Emine Erdogan eine Rede. Foto: Francisco Seco/AP/dpa

Erdogan hat es dennoch geschafft, seine Anhänger davon zu überzeugen, dass er keine Schuld an der wirtschaftlichen Lage trägt. Die Wirtschaftsprofessorin Selva Demiralp schrieb in einem Beitrag, wenn Erdogan nicht zur konventionellen Wirtschaftspolitik zurückkehre, werde es sehr schwierig, den schon angerichteten Schaden wieder gut zu machen. Die Türkei erwarteten „sehr kritische Tage“.

Teil der Erfolgsgeschichte Erdogans sind auch die ungleichen Ausgangsbedingungen bei Wahlen. Der Wahlkampf, so attestierten es internationale Wahlbeobachter, war von Anfang an unfair. Der Großteil der Medien wird von Erdogan kontrolliert, die Opposition kam kaum vor und wenn, dann meist negativ.

Erdogan verteilte auch großzügig aus der Staatskasse bezahlte Wahlgeschenke. Und er zeigte manipulierte Videos. Er beschimpfte die Opposition als Terroristen, sein Innenminister wiederum übte Druck auf unabhängige Wahlbeobachter aus. Bei der Abstimmung wurden mehrere von ihnen angegriffen.

Die Sechser-Allianz um Kilicdaroglu wiederum hat es nicht geschafft, einer Mehrheit zu vermitteln, dass der Oppositionsführer die bessere Alternative zu Erdogan sei. In der ersten Runde setzte sie auf einen positiven Wahlkampf und versöhnliche Rhetorik.

Vor der zweiten Runde folgte dann die Kehrtwende. In einem verzweifelt anmutenden Versuch, ultranationalistische Wähler auf seine Seite zu ziehen, befeuerte Kilicdaroglu eine Antiflüchtlingsrhetorik. Er ging einen Pakt mit einem rechtsnationalen Politiker ein. Die 180-Grad-Wende kam auch in eigenen Reihen nicht gut an und vor allem nicht bei den kurdischen Wählern. Obwohl die prokurdische HDP noch mal zur Unterstützung Kilicdaroglus aufrief, lag die Wahlbeteiligung im kurdisch geprägten Südosten unter der von der ersten Runde.

28.05.2023, Türkei, Ankara: Kemal Kilicdaroglu, Vorsitzender der CHP-Partei und Präsidentschaftskandidat der Nationalen Allianz, spricht in der CHP-Zentrale in Ankara. Foto: Alp Eren Kaya/CHP/AP/dpa

Mit einer Lockerung von Repressalien oder gar mit einem Bemühen um eine Lösung im Kurdenkonflikt darf die Minderheit wohl nicht rechnen. Zudem ist auch das Parlament, in dem Erdogans Allianz eine Mehrheit hält, das nationalistischste in der Geschichte der Türkei. Erdogan machte bei seiner Siegesrede deutlich, der seit 2016 inhaftierte ehemalige HDP-Chef Selahattin Demirtas komme nicht aus dem Gefängnis „solange wir an der Macht sind“ – obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dessen Freilassung angeordnet hatte.

Zumindest die rund 3,4 Millionen Syrer im Land dürften nach Erdogans Sieg erstmal aufatmen. Zwar hat auch Erdogan, wie die Opposition, angekündigt, Flüchtlinge wieder nach Nordsyrien zurückzuschicken, mit größeren Umsiedlungen rechnen Beobachter jedoch nicht. Erdogan wisse genau, dass mittelständische türkische Unternehmer im südosttürkischen Gaziantep und Sanliurfa syrische Flüchtlinge als Arbeitskraft bräuchten, sagt Expertin Aksoy. „Diese Unternehmen sind das Rückgrat seines klientelbasierten Systems.“

Die Sechser-Allianz Kilicdaroglus steht nun vor einem Scherbenhaufen. Um einen Rücktritt wird der 74-Jährige, der seit 13 Jahren an der Spitzender größten Oppositionspartei CHP steht, wohl diesmal nicht herumkommen. (dpa)

33 Antworten auf “Sieg der Demokratie? Erdogan noch einmal Präsident”

  1. Ist nicht normal was da abgeht. Schaut man die Videos der feiernden Türken in Deutschland und Österreich- meist junge Männer. Die nehmen bei uns die Freiheit und Demokratie- und verhöhnen durch ihr feiern die Landsleute in der Türkei. Die sollen ihre Sachen packen und in die Türkei einwandern. Freiheit für Europa

  2. Der Zyniker

    Nach Corona, den Twitter-Affären, den gekauften Journalisten/Künstlern, den nachgewiesenen einseitigen öffentlichen Medien, der Habeck-Affäre, Geständnis des ukrainischen Geheimdienst von der Tötung russischer Zivilisten und des Angriffs auf die Krim-Brücke,… Die nächste „Prophezeiung“ der Querdenker … Verzeihung! … rechtsradikalen Nazis, die sich bewahrheitet. Hoffen wir mal, dass wir mit dem Rest nicht auch noch richtig liegen! (zyn.)

  3. Fassungslos

    Nichts gegen die Türkei & den Türken …
    Aber mal ganz ehrlich , die im Ausland lebenden Türken sollte es verboten werden zu wählen, besonders diejenigen, die hier geboren und aufgewachsen sind….
    Und andersrum sollen die Türken egal ob im eigenen Land oder im Ausland sich dann nicht mehr über die Handhabung vom Erdoğan beschweren… sind’s selber schuld wenn se dem immer wieder wählen 🤷🏼‍♀️

    • R.A. Punzel

      Kommentar aus „Spiegel online“: Sofuoğlu sagte weiter: »Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen hier in Deutschland sich nicht mit diesem Land identifizieren.« Sie hätten das Gefühl, nicht hierherzugehören…..<<.
      Finde ich auch. Zurück in das Land in dem Milch und Honig fließt.

    • Walter Keutgen

      Fassungslos, wer sollte es verbieten? Und was mit den Franzosen, US-Amerikanern und anderen? Diese fühlen sich auch noch als Franzosen, US-Amerikaner usw. Besonders die US-Amerikaner, die in der Regel nur so lange bleiben, wie es ihr Arbeitgeber will. Allerdings haben sie kein Wahlrecht in Belgien, außer eventuell bei den Gemeindewahlen. Bei den EU-Wahlen müssen sich EU-Ausländer für ein Land, wo sie wählen, entscheiden.

  4. „Özdemir wütend über Wahlverhalten von Türken in Deutschland: „Darüber wird zu reden sein“

    Özdemir interessiere, was in Deutschland los sei, wo die Anhänger von Erdogan feierten, „ohne für die Folgen ihrer Wahl einstehen zu müssen“, schrieb der Grünen-Politiker auf Twitter. Das müssten viele Menschen in der Türkei durch Armut und Unfreiheit.

    „Sie sind zurecht wütend. Darüber wird zu reden sein!“ Özdemir selbst ist türkischer Herkunft, hat aber eigenen Angaben zufolge keinen türkischen Pass.“

    Die Türken mit Doppelpass in Deutschland, können bei der Bundestagwahl wählen und ebenso in der Türkei?
    Wenn Ja, wer ist dafür verantwortlich?

  5. Der gute Özdemir nennt es eine Absage an unserer Demokratie….Wie nennt man denn das Handeln des Ministers, nachdem er eine demokratische Wahl heftig kritisiert und deren Wähler anpöbelt?
    Hatte Erdogans Konkurrent nicht damit geprahlt alle Migranten aus der Türkei zu entfernen ? Ist Özdemir jetzt enttäuscht das diese Flüchtlinge dank Erdogan, nun nicht in der BRD einwandern sondern in der Türkei bleiben ? oder ist Özdemir einfach nur ein Nazi?
    Apropos Özdemir….der verlangt nun ein Gesetz in dem man nur noch 10gr Fleisch pro Tag verzehren darf…Zum Glück aber darf der Pöbel jetzt Heuschrecken verzehren…Guten Appetit! ;D

    • 9102Anoroc

      Bleibt nur noch die Frage:

      Wenn die im Ausland lebenden , begeisterten Erdogan Türken , den Sieger der Wahlen so toll finden und ihn auch noch gewählt haben;
      Weshalb ziehen diese Leute nicht wieder in die Türkei ?
      Land und Wahlsieger sind doch so perfekt ;
      sollte man jedenfalls meinen nach den Feierlichkeiten außerhalb der Türkei.

  6. der heilige josef

    Die Türken haben hier im Westen unseren Wohlstand mit geschaffen sie haben 1000m unter Tage gearbeitet und am Hochofen bei Arcelor Mittal alles im Schichtbetrieb Frühschicht, Mittagsschicht, Nachtschicht. Deshalb verteidige ich jeden von Ihnen gegen die Stimmungsmache von Leuten die sich immer nur die körperlich leichteste Arbeit ausgesucht haben.

    • Walter Keutgen

      Neneewaa, das dürfte wohl Russland bestimmen. Was denken Sie? Als Belgien sein Wahlrecht auf im Ausland lebende Belgier ausgedehnt hat, hat es dann alle Länder um Erlaubnis gebeten?

  7. Die Türken wählen Erdogan, na und? Das Problem ist doch dass die „Eliten“ in Westeuropa glauben die Türken „umerziehen“ zu können, damit sie den „richtigen“ wählen und sind ganz aus dem Moralin-Häuschen wenn die Türken dann doch anders wählen wie von unseren Volkserziehern gewûnscht bzw. vorgegeben. Wir müssen den Türken nicht beibringen wen sie zu wählen haben sondern ihnen ganz klar und unmissverständlich klar machen was sie sich hier erlauben können – und vor allem, was nicht! So lange unsere Gäste nach unseren Regeln hier leben können sie in ihrer Heimat wählen wen sie wollen, nur sollen sie nicht versuchen hier ihre Regeln einzuführen. Das haben unsere „Gutmenschen“ irgendwie nicht verstanden….

    • Walter Keutgen

      Dax, die Moralinfraktion will halt Hundertprozent ihrer Moral. Von Realpolitik hält Sie nichts. Der Herausforderer hatte eine Mehrparteienkoalition hinter sich. Was wäre daraus geworden wenn? Sich uneinig wie unsere Regierung? Im Parlament hatte die Partei Erdowans und deren befreundete Parteien schon die Mehrheit beim ersten Wahlgang erreicht. Erdogan hat wohl in den letzten Jahren Fehler gemacht. Die hier lebenden Türken, meist schon lange ausgewandert, haben nur mitbekommen, dass er das Land modernisiert hat.

  8. Neneewaa

    @herr Keutgen. nach meinem Demokratieverständnis müsste es so sein wie Sie sagen, ABER glauben sie daß unsere Führung es billigen würde bei uns einen „Despoten“ ganz legal und demokratisch zu wählen ?? Niemals, Demokratie muss Grenzen haben

  9. Peter Müller

    Ja Herr Keutgen. Da wo man sie bräuchte findet man sie nicht. Die ersten Zuwanderer kamen noch um zu arbeiten ,egal was , oder wo. Ihre Kinder sind da schon anders. Sie wissen wo es lang geht, um nicht zu arbeiten, ! oder Geld zu verdienen. Im Baugewerbe, oder sonstigen Berufen sieht man nicht viel von den Leuten. Ist es weil sie nicht wollen, oder nicht die Ausbildung haben, weil sie in der Schule nicht aufgepasst haben. Selbstständig zu sein, wo man keine Ausbildung für braucht, diese Geschäfte sieht man ja überall,und an jeder Ecke, auch wenn man nicht soviel davon braucht. Und wird ein Geschâft geschlossen wird an der nächsten Ecke wieder eins eröffnet. Daran ist aber auch wieder die Politik schuld. Mal sehen wie lange die zwei neu eröfnetten Cafe’s an der Nikolauskirche überleben. ich nehme an bis zum Ende der Terrassensaison,oder wenn die Steuererklârung kommt. Ausnahmen bestätigen die Regel.

  10. Man kann den nicht in der Türkei lebenden Türken danken, dass Sie den Präsidenten gewählt haben unter dem Sie nicht leben müssen, sondern nur die Landsleute, die im Land geblieben sind. Feiernde Türken in Deutschland. Das ist einfach nur falsch. Aber ein Bärendienst erwiesen.

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