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Türkei beginnt Offensive in Nordsyrien – Erste Opfer

09.10.2019, Türkei, Akcakale: Mitglieder der von der Türkei unterstützten syrischen Nationalarmee formen ihre Hände zu einem Victory-Zeichen, als sie in einem Fahrzeug von einer Inspektion im Grenzgebiet in die Türkei zurückehren. Foto: Lefteris Pitarakis/AP/dpa

Mit Luftangriffen und Artilleriefeuer hat die Türkei ihre Militäroffensive gegen kurdische Milizen in Nordsyrien begonnen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bestätigte den Start am Mittwoch per Twitter. Der Einsatz stieß international auf scharfe Kritik.

Ziel der Operation ist die kurdische YPG-Miliz, die auf syrischer Seite der Grenze ein großes Gebiet kontrolliert. Die Türkei sieht in ihr einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit eine Terrororganisation. Erdogan schrieb am Nachmittag auf Twitter: „Unser Ziel ist, den Terrorkorridor, den man an unserer südlichen Grenze aufbauen will, zu zerstören und Frieden und Ruhe in die Region zu bringen.“

Am Abend gab es Berichte über erste Opfer. Der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel-Rahman, sagte der Deutschen Presse-Agentur, ein kurdischer Kämpfer sei getötet und 13 weitere Menschen seien verletzt worden, darunter fünf Zivilisten.

08.10.2019, Serbien, Sremska Raca: Recep Tayyip Erdogan, Staatspräsideint der Türkei, nimmt an einer feierlichen Einweihung einer von der Türkei finanzierten Autobahn teil, die Belgrad mit der bosnischen Hauptstadt Sarajevo verbindet. Foto: —/Pool Presidential Press Service/dpa

Der Sprecher der von der Kurdenmiliz YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Mustafa Bali, hatte zuvor getwittert, es seien bei einem türkischen Bombardement auf das Dorf Maschrafa zwei Zivilisten umgekommen. Einige andere Menschen seien verwundet worden.

US-Präsident Donald Trump kritisierte den Einmarsch der Türken in Nordsyrien. „Die Vereinigten Staaten befürworten diesen Angriff nicht und haben der Türkei deutlich gemacht, dass diese Operation eine schlechte Idee ist“, hieß es am Mittwoch in einer Stellungnahme.

In New York will sich am Donnerstagvormittag (Ortszeit) der UN-Sicherheitsrat mit dem Vorgehen der Türkei beschäftigen. Deutschland habe im Auftrag der fünf EU-Mitgliedsländer des Rates – neben Deutschland sind das Polen, Belgien, Frankreich und Großbritannien – beantragt, dass das Thema in einer Sitzung angesprochen werde, hieß es am Mittwoch aus Diplomatenkreisen.

Die Angriffe schienen sich zunächst vor allem gegen zwei, etwa 120 Kilometer von einander entfernt liegende Orte und deren Umland zu richten: Tall Abjad und Ras al-Ain. Ras al-Ain liegt gegenüber dem türkischen Ort Ceylanpinar in der südosttürkischen Provinz Sanliurfa. In Sanliurfa befindet sich die Kommandozentrale für die Offensive. Tall Abjad liegt nahe der türkischen Grenzstadt Akcakale.

Die Luftschläge und das Artilleriefeuer vom Boden begannen gegen 16 Uhr Ortszeit. Der Sprecher der SDF, Mustafa Bali, schrieb auf Twitter: „Türkische Kampfflugzeuge haben damit begonnen, Luftangriffe auf zivile Gebiete durchzuführen. Die Menschen in der Region sind in großer Panik.“ Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von einer Fluchtwelle aus Ras al-Ain und dem Umland.

Es droht eine weitere humanitäre Katastrophe

Viele Regierungen und internationale Institutionen drangen scharf auf einen sofortigen Stopp der Offensive. Bundesaußenminister Heiko Maas sagte in Berlin: „Die Türkei nimmt damit in Kauf, die Region weiter zu destabilisieren und riskiert ein Wiedererstarken des IS.“ Es drohe eine weitere humanitäre Katastrophe sowie eine neue Fluchtbewegung. „Wir rufen die Türkei dazu auf, ihre Offensive zu beenden und ihre Sicherheitsinteressen auf friedlichem Weg zu verfolgen.“

Auch die EU-Staaten haben die Türkei in einer gemeinsamen Erklärung zum Abbruch der Militäroffensive aufgefordert. „Erneute bewaffnete Auseinandersetzungen im Nordosten werden die Stabilität in der ganzen Region weiter untergraben, das Leiden der Zivilisten verschlimmern und zusätzliche Vertreibungen provozieren“, heißt es in dem am Mittwochabend veröffentlichten Text. Die Türkei gefährde zudem die Erfolge der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Als Beispiel wurde das Risiko genannt, dass durch die Kämpfe inhaftierte IS-Terroristen freikommen könnten.

09.10.2019, Hamburg: Kurden protestieren am Bahnhof Sternschanze gegen die türkische Militäroffensive in Nordsyrien mit einem Banner mit der Aufschrift „Rojava verteidigen“. Foto: Axel Heimken/dpa

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, die Türkei müsse sicherstellen, dass ihr Vorgehen verhältnismäßig und maßvoll sei. „Es ist wichtig, alle Handlungen zu vermeiden, die die Region weiter destabilisieren (…) und noch mehr menschliches Leid verursachen können.“ Er will am Freitag in Istanbul mit Präsident Erdogan zusammenkommen und auch über die Militäroffensive sprechen.

Die syrischen Kurden hatten am Morgen eine Generalmobilmachung ihrer Truppen verkündet. Alle seien aufgerufen, sich an die Grenze zu begeben, um in diesen „kritischen historischen Momenten“ Widerstand zu leisten, hieß es in einer Erklärung am Mittwoch. Kurden weltweit wurden aufgefordert, gegen die Offensive zu demonstrieren.

Der Einmarsch folgte auf widerstreitende Signale aus den USA. Diese hatten am Montag im Morgengrauen zunächst ihre Truppen aus der Grenzregion abgezogen – was auf grünes Licht für die türkische Offensive hinauslief. Die USA hatten die YPG vor einem Angriff aus der Türkei lange geschützt. Die von den kurdischen Milizen dominierten SDF waren im Kampf gegen die Terrormiliz IS lange ein enger Verbündeter der USA. Ihre Truppen gingen in Syrien am Boden gegen die Extremisten vor und konnten wichtige Gebiete einnehmen. Sie überwachen außerdem zahlreiche Lager mit gefangenen IS-Kämpfern.

Türkei will „Sicherheitszone“ für syrische Flüchtlinge

Nachdem Trump auch aus eigenen Reihen schwere Kritik hatte einstecken müssen für die Entscheidung, die Verbündeten im Stich zu lassen, vollzog Trump eine Kehrtwende. Er drohte mit schweren Konsequenzen für türkischen Wirtschaft, sollte die Türkei die Kurden angreifen.

Am Mittwoch sagte Trump, die Regierung in Ankara habe zugesagt, Zivilisten und religiöse Minderheiten zu schützen und sicherzustellen, dass es nicht zu einer humanitären Krise komme. Man erwarte von der Türkei, dass sie sich an diese Zusagen halte. Die Türkei sei nun außerdem verantwortlich dafür, dass die in Nordsyrien gefangen gehaltenen Kämpfer der Terrormiliz IS weiter in Gefangenschaft blieben. Die Türkei müsste außerdem sicherstellen, dass sich der IS nicht neu bilde.

09.10.2019, Türkei, Akcakale: Rauch steigt bei einer Militäroffensive gegen kurdische Milizen in Nordsyrien auf. Die Türkei hat eine Militäroffensive in Nordsyrien begonnen. Foto: Lefteris Pitarakis/AP/dpa

Senatoren im US-Kongress bereiteten unterdessen eine parteiübergreifende Resolution für Sanktionen gegen die Türkei vor. Der republikanische Senator Lindsey Graham schrieb auf Twitter, er werde die Bemühungen im Kongress anführen, den türkischen Präsidenten Erdogan „einen hohen Preis“ zahlen zu lassen. Der demokratische Senator Chris Van Hollen schrieb: „Der IS feiert Trumps Verrat.“

Die Türkei will die Kurdenmilizen aus der Grenzregion vertreiben und dort in einer sogenannten „Sicherheitszone“ Millionen syrische Flüchtlinge ansiedeln, die derzeit in der Türkei und Europa leben. Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland Syrien rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Mittlerweile kippt aber die anfangs von vielen gelebte Willkommenskultur, unter anderem wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage im Land.

Die Türkei warb in den vergangenen Wochen aggressiv für die Zone – und um Gelder für den Aufbau der Infrastruktur. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erteilte dem Anliegen am Mittwoch eine Absage: „Erwarten Sie nicht, dass die Europäische Union dafür irgendetwas zahlen wird.“ Er droht damit indirekt auch mit einem Stopp der EU-Zahlungen, die die Türkei derzeit für aufgenommene syrische Flüchtlinge erhält.

Die Türkei war zuvor schon zweimal auf syrisches Gebiet vorgerückt, beide Male aber westlich des Flusses Euphrat. Im Jahr 2016 hatte sie mit der Offensive „Schutzschild Euphrat“ in der Umgebung des syrischen Orts Dscharabulus den IS von der Grenze vertrieben, aber auch die YPG bekämpft. Anfang 2018 hatten von der türkischen Armee unterstützte Rebellen in einer Offensive gegen die YPG die kurdisch geprägte Grenzregion Afrin eingenommen. (dpa)

22 Antworten auf “Türkei beginnt Offensive in Nordsyrien – Erste Opfer”

  1. Pensionierter Bauer

    Das ist eine ganz große Schweinerei!
    Wie kann die westliche Welt hier nur einfach zusehen?
    Was hat dieser Idiot in Waschington sich dabei gedacht seine Verbündeten hier im Stich zu lassen? Wieder einmal hat der Mohr (die Kurden) seine Schuldigkeit getan.
    Der flämische Ministerpräsident Jan Jambon hat absolut Recht, wenn er die EU zu Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei aufruft.
    Ich selbst gehe hier noch einen Schritt weiter und fordere zudem, die Türkei hochkantig aus der NATO zu schmeißen, denn unter dem Tyrannen Erdogan ist die Türkei alles andere als ein verlässlicher Partner.
    Wie weit dieses Land inzwischen in den Islamismus abgetrieben ist, durften vor einigen Tagen auch die Fans von Borussia Mönchengladbach in Istanbul erfahren.
    Ich persönlich glaube auch, dass die Kurden vom Idioten aus Ankara jetzt wegen ihres erfolgreichen Kampfes gegen den Islamischen Staat abgestraft werden. Es war ja schließlich ein offenes Geheimnis, dass die Türken bei der Aufrüstung des IS aktiv beteiligt waren.
    Wenn Europa jetzt erneut wegschaut, dann ist das Abendland dem Untergang endgültig geweiht.

    • Der Idiot in Washington, Obama. Genau. Der hat in Syrien alles zu verantworten. Trump hat in seinem Wahlkampf angekündigt er würde US Soldaten nach Hause holen und damit aufhören, die USA als Weltpolizei agieren zu lassen.
      Obama war der kriminellste Präsident in der US Geschichte! Wir leiden jetzt richtig unter seinen Entscheidungen (uA ist DAESH seine Kreatur) und werden uns noch wundern.
      Sie glauben wohl auch, daß Trump an Greta schuld ist, nicht wahr?

      • Genau so ist es, Obama war der kriminellste Präsident in der US Geschichte…dabei sollte man nicht vergessen zu sagen das er die volle Unterstützung zum Aufbau seiner DAESH oder „IS Kreatur“ von der EU hatte, und das in der EU weiterhin die gleichen Verbrecher an der Macht sind die diese OBAMA-Kriegspolitik von Beginn an unterstützt haben, und diese weiterhin befürworten, betreiben und auch fördern! Das Kurdische Volk, genau wie das Armenische Volk, wird seit Jahrzehnten von den Türken unterdrückt und gemordet…aber das schert unsere EU Politiker wenig, Hauptsache die jetzt flüchtigen IS/DAESH Terroristen aus Syrien haben freien unkontollierten Zugang in die EU(übers Mittelmeer oder anders) um hier ihre Ideologie weiterhin frei zu betreiben und diese schlussendlich in der EU aufbauen können (als Beispiel die No-go Areas in Europäischen Metropolen)…Macht euch auf eine rosige Zukunft für unsere Kinder gefasst, die EU hat schon dafür gesorgt….

    • @PB

      Lieber PB, Sie haben vollkommen Recht, was wir als Moral und Anstand gelernt haben, ist heute nicht mehr „IN“ – leider.

      Was schon lange vorhersehbar war ist, dass die westliche Welt keinen Stellenwert mehr hat. Erdogan droht mit Flüchtlingen, Kim mit Langstreckenraketen und Atombomben, der Iran mit der Urananreicherung, … und der „Westen“ lässt alles laufen … bis es zu spät ist!

  2. PFF - Nein Danke

    Es ist zum Kotzen und unsere Politiker sitzen die Sache aus.
    Ich verstehe die Kurden und Syrer die fliehen und zu uns kommen.

    Erdogan ist ein Diktator der übelsten Sorte.
    Aber unsere ach so kleveren Politker sehen nur ihre Vorteile…

    Früher hätte man sie aufgekn….

    • Referent für Interpellationen und unzulässige Fragen

      „Aber unsere ach so cleveren Politiker sehen nur ihre Vorteile…“
      Die belgischen Politiker sind noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt; Belgien hat keine Zeit für so´n Zeug.
      Vielleicht kann behelfsweise unser Senator Miesen mal etwas gegen Erdogan oder Trump schimpfen. Der konnte das doch ganz gut.

  3. Polarlicht

    Und Onkel Putin lacht sich ins Fäustchen!
    Sobald er auf hört zu lachen, weil der Erdogan ein bisschen zu weit geht, schreit dieser wieder nach der NATO!
    Ja, Europa sollte sich tatsächlich Sorgen machen

  4. Hans Eichelberg

    Die Türkei verlangt angesichts ihrer umstrittenen Militäroffensive in Syrien von der Nato ein „klares und deutliches“ Bekenntnis der Solidarität. „Wir wollen diese Solidarität klar und deutlich sehen.“
    Seit Beginn der türkischen Offensive in Nordostsyrien sind nach Angaben humanitärer UN-Organisationen innerhalb von 48 Stunden mehr als 70 000 Menschen vertrieben worden.
    Ist die Nato ein Angriffsbündnis oder ein Verteidigungsbündnis des Westens?

  5. Polarlicht

    Ich finde, dass die Türkei viel verlangt, viel droht und noch mehr vesucht zu erpressen!
    Die Nato hat Erdogan bestimmt nicht um Erlaubnis gefragt,ob er das machen darf oder nicht. Man sollte die Türkei, solange dieser Egomane an der Spitze sitzt,aus der NATO entfernen!!

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