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Schuldzuweisungen nach dem Tod von 27 Migranten – Macron warnt: „Ärmelkanal darf kein Friedhof werden“

25.11.2021, Frankreich, Boulogne: Die französische Polizei blickt über die Küste bei Wimereux, nördlich von Boulogne in Nordfrankreich, auf einen Strandabschnitt, der vermutlich von Migranten genutzt wird, um den Ärmelkanal zu überqueren. Foto: Stefan Rousseau/PA Wire/dpa

Fast täglich versuchen große Migrantengruppen von Frankreich über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu gelangen. Viele geraten dabei in Seenot – nun ist ein Boot gekentert und 27 Menschen sind gestorben. Darunter befinden sich fünf Frauen und ein kleines Mädchen.

Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin hatte am Mittwochabend von 31 Toten gesprochen, jedoch wurde die Zahl der Opfer am Donnerstagmorgen auf 27 korrigiert, jedoch ist auch diese Zahl vorerst noch provisorisch.

Vier Schleuser, die möglicherweise an der gescheiterten Überfahrt beteiligt waren, sind laut Darmanin festgenommen worden. „Das ist das größte Drama, was wir bisher erlebt haben.“

25.11.2021, Großbritannien, Dover: Eine Gruppe von Menschen, bei denen es sich vermutlich um Migranten handelt, wird nach einem Zwischenfall mit einem kleinen Boot im Ärmelkanal nach Dover gebracht. Foto: Gareth Fuller/PA Wire/dpa

Nach der Tragödie im Ärmelkanal geben sich britische und französische Stellen gegenseitig die Schuld an der Katastrophe.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron rief zu einer Krisensitzung auf europäischem Niveau auf. Frankreich werde nicht zulassen, dass der Ärmelkanal sich in einen Friedhof verwandele und Schleuser Menschenleben in Gefahr brächten.

Der britische Premierminister Boris Johnson mahnte zwar eine Zusammenarbeit an, zugleich forderte er aber Frankreich zu schärferen Kontrollen auf. Der Vorfall zeige, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichten, um Migranten von der gefährlichen Überfahrt abzuhalten.

Hingegen warf die Bürgermeisterin der französischen Küstenstadt Calais, Natacha Bouchart, Johnson Feigheit vor. Der Premier übernehme keine Verantwortung, sagte Bouchart.

Nach französischen Angaben war es der bisher schlimmste Vorfall mit Migranten in der Meeresenge. Innenminister Darmanin sagte, das gebrechliche Schlauchboot ähnele eher einem aufblasbaren Swimmingpool für den Garten. Der Ärmelkanal zwischen Dover und Calais gilt als die verkehrsreichste Schifffahrtsstraße der Welt.

17.11.2021, Frankreich, Wimereux: Französische Polizisten patrouillieren am Strand auf der Suche nach Migranten. Foto: Louis Witter/AP/dpa

„Dies zeigt, dass die Banden, die Menschen in diesen gefährlichen Gefährten aufs Meer schicken, sich von nichts stoppen lassen“, sagte Premier Johnson. Er bot an, die französischen Beamten bei den Kontrollen am Kanal zu unterstützen.

In Nordfrankreich warten etliche Migranten unter widrigen Umständen auf eine Überfahrt nach Großbritannien. Wenn den Schleusern nicht deutlich gemacht werde, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniere, würden sie weiterhin die Leben von Menschen aufs Spiel setzen und „mit Mord davonkommen“, sagte Johnson.

Auch Darmanin pochte auf ein härteres Vorgehen gegen die Schleuser, die er mit Terroristen und großen Drogenbossen verglich. „Das ist ein internationales Problem“, sagte er. „Die Antwort muss auch aus Großbritannien kommen, wir müssen gemeinsam gegen Schleuser kämpfen.“ Nötig sei ein koordiniertes Vorgehen auch unter Einbindung von Belgien, den Niederlanden und Deutschland.

Frankreichs Staatschef Macron verwies auf die gemeinsamen Anstrengungen mit Großbritannien, seit Jahresbeginn seien an der französischen Küste bereits 1.552 Schleuser festgenommen und 44 Schleusernetzwerke zerschlagen worden. „Wenn wir nicht sofort unsere Anstrengungen verstärken, werden sich weitere Tragödien wiederholen.“

25.11.2021, Großbritannien, Dover: Der Hafen von Dover ist in den frühen Morgenstunden nach einem Zwischenfall mit einem kleinen Boot im Ärmelkanal zu sehen. Foto: Kirsty Wigglesworth/AP/dpa

Im laufenden Jahr haben bisher mehr als 25.700 Menschen illegal den Ärmelkanal überquert. Das sind mehr als dreimal so viele wie im gesamten Jahr 2020. Erst im Juli hatten London und Paris ein neues Kooperationsabkommen vereinbart, um die wachsende Zahl der Migranten, die mit kleinen Booten über den Ärmelkanal nach England kommen, in den Griff zu bekommen. London sagte dabei 62,7 Millionen Euro zu, um die französischen Behörden zu unterstützen.

Kritik schlug Johnson aber auch im eigenen Land entgegen. Die menschenfeindliche Politik seiner konservativen Regierung sei für die Tragödie verantwortlich, betonten mehrere Politiker der oppositionellen Labour-Partei am Mittwochabend. Anstelle scharfer Asylgesetze müsse die Regierung humane und sichere Wege nach Großbritannien bieten.

Vor allem die britische Innenministerin Priti Patel steht wegen der wachsenden Zahl an Migranten unter Druck. Konservative Kreise und Medien sprechen von einer „Krise“.

Allerdings ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Großbritannien Asyl beantragen, deutlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Patel hatte angekündigt, die Überfahrten zu beenden. Nach dem Brexit führte die Regierung scharfe Zuwanderungsregeln ein. Noch aber hat Patel kein Mittel gefunden, die Migration über den Ärmelkanal zu stoppen. Zuletzt kündigte sie erneut eine Verschärfung der Asylregeln an.

Am Mittwoch war das Wasser im Ärmelkanal recht ruhig, auch deshalb wagten nach Ansicht von Experten viele Migranten die Überfahrt. Der französische Innenminister Darmanian sagte, 255 Menschen hätten England erreicht, 671 seien noch in Frankreich gestoppt worden. In Frankreich seien 580 Polizisten an der Küste im Einsatz gewesen. (dpa)

10 Antworten auf “Schuldzuweisungen nach dem Tod von 27 Migranten – Macron warnt: „Ärmelkanal darf kein Friedhof werden“”

  1. Peer van Daalen

    OBdirekt: „Darunter befinden sich fünf Frauen“

    Was ist DAS! denn für eine sexistischer Affront und Seitenhieb gegen den Tod der Männer?

    Selbst wenn es nur einen dpa-Meldung ist, – sowas veröffentlicht man nicht, es sei denn mal will mit peinlichen „Clickbait“ Aufmerksamkeit erregen.

  2. Klar doch

    Genau, sie haben sich entschieden diesen Weg zu nehmen mit allen Konsequenzen.
    So wie impfbefürworter und impfverweigerer.

    Das Kernproblem aber wird weiter bleiben,so lange die Königin oder demnächst König, nicht ihr dummes veraltetes Gesetz ändern, solange werden die Leute es versuchen einen Fuß auf diese Insel zu setzen.
    Und die angrenzenden Länder haben weiter Kosten,Probleme ,Polizei Einsätze ,Diebstähle,Lkw Fahrer todesängste,beschädigte Ladungen etc etc etc.
    Gebt denen eine Fähre und sollen die Inselaffen schauen wie sie klar kommen,können denen ja den Lkw Führerschein bezahlen,fehlen ja 100000 ,2 Fliegen mit einer Klatsche.

  3. Torsten Ogertschnig

    Nette Doppelmoral der Franzosen wieder.
    Einerseits verlangen die, dass Belgien, Niederland und Deutschland sich beteiligen sollen – ich frage mich an was – denn es ist ein Problem auf Französischem Boden welches von illegalen Einwanderern ausgeht. Die Franzosen müssen lediglich die illegalen Einwanderer einsammeln und abschieben, was ihnen zu teuer ist. Ergo verschließen die Franzosen die Augen und lassen die Illegalen machen was die wollen. Wenn plötzlich eine ganze Menge der Illegalen ertrinken ist das Geschrei groß und dann kommen Forderungen die absolut daneben sind.

    Sollen sich mal die Franzosen um das Problem kümmern. Zumal dort Französisches Seerecht gilt, bis Britisches Gewässer kommt und das bedeutet das dort Vorschriften für die Seefahrt gelten, die nur kontrolliert werden müssten. Wenn nicht jeder der auf einem schwimmenden Untersatz unterwegs ist eine Schwimmweste hat, dann muss die Behörde eingreifen und die wieder an Land bringen. Dann kann keiner ertrinken. Aber dazu müssten die Franzosen die Augen auf machen.

    Alles nicht so schwer, wenn man will.

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