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Karl De Smedt hütet die einzige Sauerteig-Bibliothek der Welt in St. Vith – „Jeder Sauerteig ist einzigartig“

30.05.2023, Belgien, St. Vith: Karl De Smedt, Leiter der weltweit einzigen Sauerteig-Bibliothek, sitzt vor Kühlschränken mit Sauerteig-Gläsern. Foto: Birgit Reichert/dpa

Es ist eine ganz besondere Bibliothek. 144 Sauerteige aus 28 Ländern stehen hier in Kühlschränken. Der Forschung zuliebe. Aber auch als „Backup“ für Bäcker hat sie sich schon bewiesen.

Kein Sauerteig sieht aus wie der andere. Der eine ist weißlich-flüssig, der andere gelblich-klumpig und ein dritter hellbraun, mit Blasen durchsetzt. In Einmachgläsern und durchnummeriert stehen sie fein säuberlich hinter Glastüren in Kühlschränken in der weltweit einzigen Sauerteig-Bibliothek in St. Vith.

Exakt 144 Sauerteige aus 28 Ländern hat Karl De Smedt als Hüter der Teige bisher zusammengesammelt. „Jeder Sauerteig ist einzigartig“, sagt er.

Das liegt an den Ursprungszutaten, aber vor allem an den Mikroorganismen, die sich in den Sauerteigen entwickelt haben. Und zwar teils über Jahrhunderte.

30.05.2023, Belgien, St. Vith: Karl De Smedt, Leiter der weltweit einzigen Sauerteig-Bibliothek, zeigt auf ein Glas mit Sauerteig. Foto: Birgit Reichert/dpa

„Nummer 100 ist ein japanischer Sauerteig von 1875“, sagt De Smedt und holt das Glas heraus. „Er ist ziemlich flüssig. Er ist der einzige aus gekochtem Reis.“ Wie alle Teige, die es in den erwählten Kreis in der Bibliothek geschafft haben, hat er eine besondere Geschichte.

„Er stammt von einem der letzten Samurai in Japan“, erzählt der Bibliothekar, ein gelernter Konditor und Chocolatier. Kimura-san hatte damals quasi umgeschult und sich die Kunst des Backens von einem Westler erklären lassen. „Es gab damals keinen Zugang zu Hefe, also machte er Sauerteig-Brot und er fand den richtigen Geschmack.“ Noch heute werde in Japan mit dem Teig gebacken.

Zur Sammlung gehören Sauerteige aus Italien, Griechenland, China, Australien, Dubai, Singapur, der Türkei, der Schweiz und Brasilien. Aus Deutschland sind fünf Exemplare dabei, darunter einer aus Stavenhagen (Mecklenburg-Vorpommern) von 1941. „Wir erforschen die Biodiversität der Sauerteige. Es werden nur Teige aufgenommen, die durch spontane Fermentierung entstanden sind“, sagt De Smedt. Also keine auf Grundlage einer kommerziellen Starterkultur. „Bei den Starterkulturen wissen wir ja genau, was drin ist.“

30.05.2023, Belgien, St. Vith: In einem Kühlschrank in der weltweit einzigen Sauerteig-Bibliothek stehen Gläser mit Sauerteige. Foto: Birgit Reichert/dpa

In den Kühlschränken steht seit November 2022 auch der Sauerteig „Winfried Schmitz“ aus Daleiden in der Eifel. Er hat die Nummer 138. Der Sauerteig sei so alt wie die Bäckerei – also um die 125 Jahre, sagt Manuel Schmitz. „Wir machen heute noch unser Brot damit“, sagt der 42-Jährige.

Dass der Eifeler Teig in die Sauerteig-Bibliothek wenige Kilometer von der deutschen Grenze aufgenommen wurde, sei „eine Ehre“, sagt Schmitz. Es sei aber auch eine Absicherung für den Familienbetrieb. Wenn wegen einer Umweltkatastrophe oder eines anderen Unglücks die Backstube mal verschwinden sollte, könne man immer auf den Teig in St. Vith zurückgreifen. „Er ist dort sicher zu Forschungszwecken archiviert.“

Mit der Bibliothek los ging es vor fast zehn Jahren im Oktober 2013. Für die Backmittelfirma Puratos hatte De Smedt eine Studie über die Biodiversität von italienischen Sauerteigen gemacht. Dann kam ein Hilferuf von einem Bäcker aus dem Libanon. Er hatte Angst, dass sein Sauerteig, den er aus fermentierten Kichererbsen machte, verloren gehen könnte. Denn seine Söhne, die die Bäckerei übernahmen, wollten auf das Brotbacken mit Hefe umsteigen.

„Wir hatten schon 43 Sauerteige. Da kam uns die Idee, eine Bibliothek zu gründen, auch um die Teige zu bewahren“, sagt der 52-Jährige. Auch als „Backup“. Einmal habe sich das schon bewährt, erzählt De Smedt. Im Jahr 2021 hatte ein Bäcker aus Kopenhagen in Dänemark angerufen, weil aus Versehen der ganze Mutter-Sauerteig zum Backen benutzt worden war. „Ich schickte ihm dann ein Teil von seinem Teig. Er war sehr glücklich.“

Jeden Tag erreichen De Smedt Anfragen von Teig-Besitzern, die einen Platz in den zwölf Kühlschränken in St. Vith bekommen möchten. „Wir nehmen jedes Jahr 20 bis 25 neue auf.“ Ganz frisch dabei sind zwei aus einem Kloster auf dem Berg Athos in Griechenland – darunter einer aus Mehl, der nach einer 1.000 Jahre alten Tradition hergestellt werde. „Das ist ein besonderer Teig, weil der Ort isoliert ist.“

30.05.2023, Belgien, St. Vith: Ein Glas mit dem Sauerteig «Winfried Schmitz» aus der Bäckerei Schmitz in Daleiden in der Eifel steht auf einem Tisch in der weltweit einzigen Sauerteig-Bibliothek. Foto: Birgit Reichert/dpa

Die Vielfalt der Sauerteige fasziniert De Smedt, der an einer Roggenmehlallergie leidet, immer wieder. Es gebe griechische Teige, die mit basilikumgetränktem Wasser angesetzt worden seien. Einer aus Mexiko werde mit Bier, Eiern und Limetten gemacht. Ein Schweizer Rezept startete mit einem geriebenen Apfel. Und bei Nummer 108 aus Italien sei Wasser mit getrocknetem Kuhdung benutzt worden. In Kuhdung seien viele Mikroorganismen, die im gefilterten Wasser dazu beitragen, dass der Teig verdaulicher sei, sagt er.

Bei Neuzugängen von Teigen wird zuerst die Bakterienkultur an der Universität Bozen in Italien analysiert. „Wir konnten schon 1500 verschiedene Stämme identifizieren“, sagt der Experte. Diese würden bei minus 80 Grad sicher gelagert. „So wie in der Saatgutbank in Spitzbergen Samen von wichtigen Kulturpflanzen liegen“, sagt er.

Die je 500 Gramm in den luftdichten Gläsern in den Kühlschränken werden alle zwei Monate „gefüttert“. Dann entnehmen De Smedt und sein Helferteam aus jedem Glas 20 Gramm und frischen den Teig in drei Stufen mit Mehl und Wasser auf – bis es wieder 500 Gramm sind.

Die Tradition des Sauerteigs ist laut De Smedt wohl älter als 10 000 Jahre. „Woher es kommt, wissen wir nicht.“ Sicher wisse man aber, dass die alten Ägypter Sauerteigbrot hatten. „Sie schrieben mit Hieroglyphen auf, dass sie Bier und Brot fermentierten.“

Die Sauerteig-Bibliothek ist nicht öffentlich. Man könne sie aber virtuell besuchen, sagt De Smedt. „Es gibt keine Geheimnisse. Was wir finden, das teilen wir.“ Was er sich für die Zukunft wünscht? „Ich würde gerne mehr Zeit mit dem Sauerteig verbringen.“ Er denke darüber nach, jeweils 15 Sauerteige intensiv zu untersuchen. „Ich würde mit ihnen backen, ihre Entwicklung verfolgen und versuchen, so viel wie möglich über sie herauszufinden.“ Und sich dann die nächsten Teige vornehmen. (dpa)

24 Antworten auf “Karl De Smedt hütet die einzige Sauerteig-Bibliothek der Welt in St. Vith – „Jeder Sauerteig ist einzigartig“”

  1. Legendar

    Wie erfrischend! Endlich mal eine Medieninformation die ihren eigentlichen Sinn der Information erfüllt und nicht nur die vermeintliche political correctness in den Wind hält.
    Ich wäre auch äußerst gern bereit 8,-€ für ein Brot zu bezahlen wenn es denn Bäcker gäbe die noch backen können und nicht nur Mehlmischungen mit diversen Zutaten im Schnellverfahren durch den Ofen jagen. Kein heutiges Brot hat noch annähernd den Geschmack den ich von früher kenne und ist schon gar nicht dazu geeignet es nach 7 Tagen immer noch zu genießen. Da kann sich ein örtlicher „Bäcker“ auch gern den Titel Brotsomelier an die Türe kleben. Wenn man noch nicht mal ein anständiges Roggen- Natursauerteigbrot in der Auslage hat dann ist man eben kein Bäcker sondern nur ein Effekthascher! Und by the way, selbst die von diesem Bäcker angebotenen Brötchen haben in den letzten 15 Jahren extrem an Qualität verloren!

  2. @ Legenar: wenn der besagte Bäcker so schlechte Ware hat dann iss mal das Zeug eines anderen Bäckers welcher 2 Geschäfte in Eupen hat, dann bist Du schnell wieder bei den vor dir genannten.
    Wir sind auf dem Weg zu Bäckereiketten, weil es genug Leute gibt die solch ein Mist kaufen.
    Dies alles Dank Billigbrötchen von Aldi und Co.

    • Stand letztens im deutschen Aldi in Oberforstbach. Vor mir ein deutscher Raerener.
      Er kaufte 20 Aldibrötchen und erzählte der Kassierin, in Belgien ist nur Baguette essbar. Richtiges Brot kennen die gar nicht. Kann man alles nicht essen.
      Die Brötchen vom besagten Bäcker wären ok, aber zu teuer. Und Baguette könne man ja nicht dauernd essen. Das könne man in Frankreich machen, mit richtigem Baguette,…blablabla.
      Ich glaube es war ein Verwandter von Legendar

    • Walter Keutgen

      Somelier, belgische, königliche Beschlüsse sind in Belgien gültig. Darüber wacht eine Behörde. Das Salzgehalt ist schrittweise, besonders unter Magda Alvoet (Agalev), heruntergefahren worden. Sicher habe ich das geschmeckt.

      • @Lindscheid: Ach so, und warum schneiden Sie es nicht selbst?
        Ungeschnitten, hält meins immer lange und wenn es zu trocken ist, gibt es eine Brotsuppe! Es wird kein Gramm von diesem Brot verschwendet. Dafür ist es zu gut!
        Ich hoffe Herr Dahmen, backt dieses Brot noch lange, er ist inzwischen Ü80!

    • karlh1berens

      Roggen-(Misch)-Brot fängt schon beim Mahlen des Roggens an. Und zwei Wochen nach dem Backen ist die letzte Scheibe gegessen – die Zeit in der Tiefkühltruhe nicht mitgerechnet. Ich habe immer Vorrat für 6 Wochen.

  3. Brot mit Luftlöcher

    A propos Brot. Vergleicht mal das Dinkelbrot der Bäckerei Fonk mit dem der Bäckerei Halmes in Bütgenbach. Das Fonk-Brot ist fest und hat Geschmack. Das entsprechende Halmes-Brot ist voller Luftlöcher und nach 5 Schnitten ist man noch immer nicht satt, völlig unabhängig vom Belag.
    Ich stelle mir die Frage, wie ist so etwas möglich?
    Gut, Brot ist nicht gleich Brot, aber Dinkel gleich Dinkel. Und muss Brot nicht ein gesetzliches Gewicht nachweisen. Oder gilt nur ein grosses oder aber ein kleines Brot als Massgabe?
    Ich kaufe jedenfalls nur noch in Sankt-Vith, das schmeckt mir besser.

  4. Peter Müller

    Ein knuspriges Brötchen bekommt man heute nicht mehr. Alles nur noch Gummi und nach ein Paar Stunden nicht mehr zu geniessen. Aldi und andere Geschâfte bekommen ihr Material aus Deutschen Fabriken angeliefert, dass nur noch aufgebacken wird, genauso wie die Bäckereien die zu der Hauseter Fabrik gehören. Brot ist ein Grundnahrungsmittel und dürte nicht so teuer sein.

    • @Peter Müller: Aus Deutschen Fabriken? Dieser Tiefgekühlter Dreck wird aus Polen gebracht, dort in den Fabriken wird es speziell für den Westen zubereitet, mit gaaanz viel China Würze. Und alles nur, damit der wehrte Westen „länger lebt“ und einen „gesunden Darm“ hat.
      Alle die aufbacken verkaufen diesen Dreck, die Aufback-Bäcker, bestellen ihre Ware aus dem gleichen Katalog der selben Fabrik.

  5. Peter Müller

    Oh, da habe ich wohl einen auf den Fuss getreten. ZB. Nobis oder Moos um nur mal zwei zu nennen, haben eigene Fabriken in Aachen, und werden fertig gebacken angeliefert. was sie als Dreck bezeichnen ist in Plastick verpackt, und liegt im Regal ,und wird als Aufbackware verkauft. Die wird im Colruyt, Aldi oder in jedem anderen Lebensmittelgeschäft verkauft, ist aber nicht schlechter !!
    Essen sie nichts aus der Tiefkühltruhe ?. zb. Pizza, Fisch oderl Spinat,. alles Dreck !. Gibt es einen Unterschied ob ihr Französisches Auto in Asien vom Band läuft, oder in Frankreich ! Ich glaube, dass die Standards überall die gleichen sind.

    • @Peter Müller: Genau, ich esse nicht aus der Tiefkühltruhe, außer aus meiner eigenen.
      Ich spreche nicht von abgepackter Ware zum aufbacken, ich sprechen von Bäckereien die nicht backen sondern nur AUFBACKEN.
      Die Standards sind nicht die gleichen, jedenfalls nicht was die Bezahlung der Mitarbeiter angeht. Alles was zählt ist der Gewinn, welcher erwirtschaftet wird.

  6. Der Alte

    In einer kleinen Baeckerei entlang der Luetticher Strasse zwischen Henri-Chapelle und Thimister gibt’s noch Brot, dass wie vor 50 Jahren angefertigt wird. Ob mit oder ohne Sauerteig (levain), schmackhaft und bissfest und lange haltbar. Von Nordwesten der DG leicht zu erreichen.

  7. Brotsomelier

    Unser Brotsomelier aus Hauset, ist der Einzige, bei dem das Schneiden des Brotes nicht zum Service gehört, sondern mit 25 Cent berechnet wird.
    Brotsammelgier und nicht Kundensomelier?

    • Walter Keutgen

      Brotsomelier, im Kanton Eupen zumindest ist das überall so außer in Supermäkten. Ob es 0,25 EUR sind weiß ich nicht. Verlangt man das Brot ungeschnitten, dann vertun sich die Verkäuferinnen und zählen das trotzdem, weil es sehr selten ist.

  8. Uwe Chemnitz

    Ich wusste nicht, das es so etwas gibt.
    Seit Juni 2021 wird selbst gebacken…und nur mit der „Alten“.
    Den Ansatz bekam ich vom Pap…..bzw. dem seiner Mam.
    Man braucht viel Zeit und Verständniss für die ganze Sache.
    Und wie es duftet, wenn der erste Ansatz am nächsten Vormittag fertig ist…..
    Man braucht nicht viel Arbeit, aber sehr viel Zeit, bei Vollkornmehl dauerts noch länger.
    Man kann, wenn man arbeitet, es eigentlich nur am Wochenende machen ;-)
    Aber seitdem habe ich nie wieder Brot gekauft
    Und wenn das im Ofen ist, da habe ich Gedanken an den Bäcker bei uns im Dorf, vor 45 Jahren.

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