Politik

Russland: Vor 20 Jahren ging Jelzin und kam Putin

31.12.1999, Russland, Moskau: Der russische Präsident Boris Jelzin (l) und der russische Ministerpräsident Wladimir Putin unterhalten sich im Kreml. Jelzin hatte zuvor überraschend seinen vorzeitigen Amtsverzicht erklärt. Foto: -/Pool/dpa

In einer ungewöhnlichen Neujahrs-Ansprache erklärte Boris Jelzin vor 20 Jahren seinen Rücktritt – und machte Wladimir Putin über Nacht zum Präsidenten. Doch zum Jahrestag wächst der Druck auf den 67-jährigen Kremlchef. Immer mehr Russen wollen Veränderung.

Für Kremlchef Wladimir Putin ist Silvester dieses Jahr ein ganz besonders denkwürdiger Tag. 20 Jahre ist es am Dienstag (31. Dezember) her, dass er erstmals russischer Präsident wurde. Quasi über Nacht. Präsident Boris Jelzin (1931-2007) verkündete damals in der Neujahrsansprache an Silvester seinen baffen Landsleuten: „Meine Lieben (…) Ich trete zurück.“

Die Jahrtausendwende sei der richtige Zeitpunkt für eine neue Politiker-Generation, um Russland nach vorne zu bringen, meinte Jelzin damals mit der schweren Zunge eines Alkoholisierten. Vieles habe er nicht erreicht. Deshalb sollte Putin, damals Regierungschef, die Amtsgeschäfte übernehmen – bis zur Präsidentenwahl im März 2000.

27.03.2000, Russland, Moskau: Der frühere russische Ministerpräsident Boris Jelzin (l) gratuliert seinem Nachfolger Wladimir Putin (r). Am 09. August 1999 berief der damalige russische Präsident Boris Jelzin Wladimir Putin, damals noch Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB, zum neuen Regierungschef. Wenige Tage später bestätigte ihn die Staatsduma im Amt. 2000 überließ Jelzin Putin das Präsidentenamt, das er mit Ausnahme einer Zeit als Regierungschef, seither innehat. Foto: -/dpa

Der damals erst 47 Jahre alte Putin gewann die Abstimmung. Und Jelzin, den viele Russen trotz der wirtschaftlich chaotischen 1990er Jahre bis heute für seine demokratische Freiheitsliebe schätzen, verschwand von der Bildfläche.

In Kreml übernahm der Ex-KGB-Offizier, der sich bis zum Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB hochgearbeitet hatte, die Macht. Nur einmal von 2008 bis 2012 zog Putin vorübergehend aus, um auf den Posten des Regierungschefs zu wechseln. Die Verfassung lässt nur zwei Amtszeiten als Präsident infolge zu. Putin überließ deshalb Dmitri Medwedew das Amt, der damals für einen liberaleren Kurs sorgte. Dann aber kam Putin zurück. Für zwei weitere Amtszeiten – voraussichtlich bis 2024.

Doch nach 20 Jahren mit Putin macht sich nach Meinung vieler Experten in Russland zunehmend Ernüchterung breit. Die nationale Euphorie von 2014 über die von vielen Russen gefeierte «Heimholung» der zur Ukraine gehörenden Schwarzmeer-Halbinsel Krim ist verflogen. Damit wollte Putin wie schon bei seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 Stärke gegenüber dem Westen zeigen.

Seit der international verurteilten Annexion der Krim aber stehen die Zeichen auf Konfrontation wie im Kalten Krieg. Sanktionen der EU und der USA und geringes Wachstum setzen Russlands Wirtschaft zu. Viele ausländische Investoren meiden das Riesenreich. Längst ist auch bei vielen Russen angekommen, dass die außenpolitischen Muskelspiele der militärisch wieder selbstbewussten Atommacht im Syrien-Krieg und im Ukraine-Konflikt auf Kosten des Lebensstandards in Russland gehen.

Wunsch nach Veränderung wächst rasant

Der Wunsch nach Veränderung, nach wirtschaftlichen und sozialen Reformen wächst laut Umfragen von Meinungsforschern rasant. Verbreitet ist demnach der Frust über hohe Preise und Korruption, sinkende Löhne und hohe Arbeitslosigkeit. Viele klagen über eine miese medizinische Versorgung und große ökologische Probleme. Nach einer Umfrage des Moskauer Instituts Lewada finden 43 Prozent der befragten Russen, dass sich ihr Lebensstand 2019 verschlechtert habe.

Nach einer anderen Lewada-Umfrage wünschten sich im Juli dieses Jahres 59 Prozent der Befragten vor allem radikale Veränderungen – ein Plus von 17 Punkten im Vergleich zu Juli 2017 (42 Prozent). Interessant dabei aus Sicht der Soziologen: Der in der Vergangenheit meist gegen die Regierung und die dominante Partei Geeintes Russland gerichtete Unmut traf zuletzt auch Putin direkt.

16.07.2018, Finnland, Helsinki: Donald Trump (l), Präsident der USA, und Wladimir Putin, Präsident von Russland, geben sich die Hand bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz. Foto: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

Dabei konnte sich der Kremlchef viele Jahre dank hoher Rohstoffpreise auf Wachstum und Zufriedenheit in der Bevölkerung verlassen. „Da aber wirtschaftliche Probleme wachsen, sinkt nun die Autorität der Machthaber“, stellt die Moskauer Denkfabrik Carnegie Center fest. Der Luxus, mit dem sich Staatsbeamte und Mitarbeiter von Staatskonzernen umgäben, verärgere immer mehr Leute.

Nach Jahren der Konzentration auf außenpolitische Stärke sei es an der Zeit, sich um die Probleme im Land zu kümmern, schrieben viele Moskauer Kommentatoren zum Jahresende. Sie kritisierten, dass es an Ideen für die Zukunft fehle. Das Land mit seinem Stolz auf den Sieg der Sowjetunion über den Faschismus lebe zu sehr in der Vergangenheit. Den 75. Jahrestag des Sieges will Putin am 9. Mai 2020 mit Staats- und Regierungschefs aus aller Welt bei der größten Militärparade der russischen Geschichte in Moskau feiern.

Zwar räumte auch der Kremlchef zuletzt ein, dass die Unzufriedenheit im Land wachse. Den Start in die 2020er Jahre will er deshalb dem Kampf gegen die Armut in Russland widmen. Doch eine Bereitschaft, etwa mehr politische Freiheiten zuzulassen, sieht der Carnegie-Experte Andrej Kolesnikow auch nach den Oppositionsprotesten des Sommers nicht.

„Vielmehr hat polizeiliche Willkür die Machtlinie nur noch gefestigt, sich nur nicht auf einen Dialog mit der Bürgergesellschaft oder auf eine Demokratisierung des Systems einzulassen», meint er. «Das autoritäre Regime (…) ist zu intensiveren Repressionen übergangen.“

2024 letzte mögliche Amtszeit

Dabei war Präsident Jelzin bei seinem Rücktritt noch zuversichtlich, dass Russlands totalitäre Zeiten vorbei seien. Putin dankte damals Jelzin in seiner Anschlussrede für das Vertrauen. Und er beteuerte am Silvesterabend: „Die Freiheit des Wortes, des Gewissens, die Freiheit der Medien, die Eigentumsrechte, alle Elemente der zivilisierten Gesellschaft werden verlässlich geschützt.“ 20 Jahre später sehen Kremlgegner und Menschenrechtler all das weitgehend vernichtet.

Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Ansprache auf dem Roten Platz in Moskau im Mai 2015. Foto: dpa

Verbreitet ist vielmehr die Sichtweise, dass Putin ein System geschaffen hat, das schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb alles daran setzen wird, dass er Kremlchef bleibt. Militär, Geheimdienste, Kirche und systemtreue Oligarchen stehen fest an seiner Seite. Putin selbst lässt offen, wie die Machtfrage nach seiner laut Verfassung letzten möglichen Amtszeit 2024 gelöst wird.

Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Möglich ist aber, dass der 67-Jährige die Verfassung ändern lässt für ein Regieren ohne Ende. Im Parlament hat die ihm treu ergebene Partei Geeintes Russland dafür eine bequeme Zweidrittelmehrheit. Wladislaw Surkow, einer der führenden Ideologen im Kreml, rief in diesem Jahr den «Putinismus» zum Jahrhundertprojekt aus – als Beispiel auch für andere Länder. Die große politische Maschine Putins nehme gerade erst an Fahrt auf. Eine Maschine, die eine liberale Politik des Westens für tot erklärt hat.

Bei seiner traditionellen Pressekonferenz im Dezember räumte Putin – wie Jelzin vor 20 Jahren – zwar ein, dass das Land weiter viele schwere Probleme habe. Lösen will er sie aber selbst. Ob er trotzdem an Silvester freimacht und den 20. Jahrestag seiner ersten Amtsübernahme feiert? Kremlsprecher Dmitri Peskow bemerkte dazu unlängst nüchtern: „Der Präsident arbeitet wie ein Hochofen, der nicht stillzulegen ist, weil er ohne Pausen heizen muss.“ (dpa)

29 Antworten auf “Russland: Vor 20 Jahren ging Jelzin und kam Putin”

  1. Karli Dall

    Wahlergebnisse der CDUCSU seit der Kanzlerschaft Merkels:
    2005: 35,2 %
    2009: 33,8 %
    2013: 41,5,%
    2017: 32,9 %
    2019: 27 % (Zustimmung im Nov., wenn gewählt werden würde…, deshalb wird nicht gewählt)
    Wann schlägt die CDUCSU mit der Rautenkönigin auf?

    • Nun gilt zu erst einmal das historische Daten keine Prognose auf die Zukunft rechtfertigen.
      Sollten Sie trotzdem darauf bestehen, müssten Sie die störende 41 noch erklären.

      Bei Prognosen sind Sie wenn ich mich nicht irre normalerweise in der Kirche von Trump und Johnson.

  2. karlh1berens

    Blabla von dpa. Ist das Gleiche wie Bastin oder Förster über Berens. Wen juckt das schon ?

    Bei (A)Nett sah ich zuletzt auch wie Putin aus

    Einige von denen haben vor wenigen Wochen in die Hosen geschissen, als ich plötzlich an der Rezeption stand.

    ( ͡° ͜ʖ ͡°)

  3. Hans Eichelberg

    Es war für Russland ein Glücksfall, dass „Jelzin damals mit der schweren Zunge eines Alkoholisierten“ den ehemaligen KGB-Offizier W. Putin als Kreml-Chef vorschlug und er später auch gewählt wurde.

    Was dieser Mann in 20 Jahren für Russland geleistet hat, ist für Westler überhaupt nicht vorstellbar.
    Dies spürt man an den Reaktionen der Presse, die sich überwiegend für linken Klamauk einsetzt.

    Aber was kratzt dies den russischen Bären?

  4. Putin hat dem russischen Baeren so richtig den Pelz gewaschen und auf Vordermann gebracht. Man muss ihn wieder respektieten. Putin hat die Demuetigungen der 90er Jahre durch den Westen nicht vergessen. Jetzt kommt die Retourkutsche.

  5. Diktatur

    In Russland herrscht nach wie vor eine „gezügelte Diktatur“. Wer Putin in Russland nicht „anbetet“ und für den „Größten“ hält, der bekommt oft Probleme. Dabei ist Russland schon lange nicht mehr eine Großmacht wie die USA.

    • Marcel scholzen eimerscheid

      Wie lange sind die USA noch eine Supermacht. Haben den Hoehepunkt auch ueberschritten. Solange die ganze Welt ihre Dollars akzeptiert, bleibt Amerika auf der Gewinnerseite.

      • An dem Satz mit den Dollars ist was dran.

        Die USA totzureden (dabei war es ein Artikel über Russland) erscheint mir etwas unvorsichtig.
        Das der aktuelle POTUS etwas schwer verdaulich ist, mag sein.
        Ihnen wiederum sollte er in Ihrer Umweltrhethorik doch sehr zu pass kommen.

    • mehrWUTStropfen

      @ Diktatur

      „In Russland herrscht nach wie vor eine „gezügelte Diktatur“

      – Ja, und in den USA eine immer offensichtlichere!

      siehe hier:

      Der Feind im Innern
      https://www.rubikon.news/artikel/der-feind-im-innern
      „Anders als gern behauptet, besteht keinerlei Gefahr für „unsere Demokratie“ — denn wir leben in einer Konzerndiktatur.

      von Chris Hedges

      Der Tiefe Staat fräst sich wie ein Bulldozer durch die demokratischen Grundrechte und hinterlässt eine Spur aus Korruption, Armut, „Failed States“ und Marionetten, die für ihn arbeiten. Dieser Prozess ist bereits sehr weit fortgeschritten.“

      Die letzten Zuckungen eines sterbenden Imperiums
      „Sterbende Imperien verschleudern für gewöhnlich das letzte Kapital, das sie besitzen — wirtschaftliches, politisches und militärisches Kapital — in vergeblichen, unlösbaren und nicht zu gewinnenden Konflikten, bis sie zusammenbrechen.“

      • Norbert van Gehlen

        Wieso, Herr Berens? Bislang konnten wir noch immer die wählen, und vor allem die abwählen (*zwinker*), die wir nicht mehr als Volksvertreter haben wollen. Daher haben wir hier in Ostbelgien keine Diktatur.

        • karlh1berens

          Eine Diktatur haben wir, weil diejenigen, die sich trauen , unter Klarnamen zu posten – siehe Kausa Karthäuser-Paasch – gerichtlich verfolgt werden.

          P.S. Warum wurde Cremer nicht ebenfalls angeklagt ? An die „Presse“ hat sich der Dikt…. wohl nicht rangetraut !

          In Russland gibt’s übrigens auch Wahlen.

          Vielleicht kandidiere ich dort – ist zumindest keine „programmierte“(*zwinker*) Wahl

          ( ͡° ͜ʖ ͡°)

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