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Provokation im britischen Parlament: Abgeordneter legt sich hin – Pleiten ohne Ende für Premier Boris Johnson

03.09.2019, Großbritannien, London: Der Vorsitzende des Unterhauses, Jacob Rees-Mogg, lehnt sich während der Notstandsdebatte über ein neues Gesetz, das einen Brexit ohne Abkommen mit der EU verhindern soll, gelangweilt in seiner Parlamentsbank zurück. Foto: House Of Commons/PA Wire/dpa

Es ist eine der wichtigsten Debatten in der Geschichte des britischen Parlaments – doch der erzkonservative Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg lehnt sich demonstrativ zurück. Hält der Sittenverfall jetzt Einzug in die Volksvertretungen?

Als Geste der Verachtung werteten zahlreiche Abgeordnete, wie sich Rees-Mogg am Dienstagabend im Unterhaus auf einer der mit grünem Leder bespannten Bänke ausstreckte: „Die Verkörperung von Arroganz, Anspruchsdenken, Respektlosigkeit und Geringschätzung für unser Parlament“, schrieb die Labour-Abgeordnete Anna Turley in der Nacht zum Mittwoch auf Twitter.

Rees-Mogg, der hochgewachsene Abgeordnete aus der konservativen Partei von Premierminister Boris Johnson, ist bekannt für sein elitäres, exzentrisches Auftreten.

03.09.2019, Großbritannien, London: Der Vorsitzende des Unterhauses, Jacob Rees-Mogg, lehnt sich während der Notstandsdebatte gelangweilt in seiner Parlamentsbank zurück. Foto: House Of Commons/PA Wire/dpa

Noch während der Debatte kritisierte die Grünen-Abgeordnete Caroline Lucas Rees-Mogg und sagte, er mache sich „über drei Sitze breit, und legt sich hin, als ob das, was er heute Abend hören muss, etwas sehr Langweiliges für ihn wäre“. Mehrere Abgeordnete forderten Rees-Mogg mit lauten Zwischenrufen auf, sich aufrecht hinzusetzen. Doch der grinste nur, schüttelte immer wieder den Kopf oder rückte seine Brille zurecht.

Einige nahmen die Situation mit Humor. „Ich erwarte fast, dass die Nanny mit einer Decke, einem Kissen und einem Heißgetränk für den armen Mann in die Kammer marschiert!“, schrieb die Labour-Abgeordnete Angela Rayner auf Twitter. Handelte es sich um schlechte Manieren oder Überheblichkeit, fragte sich die Liberalen-Abgeordnete Sarah Wollaston.

Für Johnson eine Pleite nach der anderen

Unterdessen ist der britische Premierminister Boris Johnson mit seinem kompromisslosen Brexit-Kurs im Unterhaus krachend gescheitert. Die Abgeordneten stimmten am Mittwochabend für ein Gesetz, das einen ungeregelten Austritt am 31. Oktober verhindern soll. Auch seinen Antrag auf eine Neuwahl am 15. Oktober schmetterten sie ab.

03.09.2019, Großbritannien, London: In diesem vom britischen Unterhaus veröffentlichten Bild spricht der britische Premierminister Boris Johnson, nachdem ihm die Gegner eines ungeordneten EU-Austritts eine empfindliche Niederlage zugefügt haben. Foto: Jessica Taylor/House of Commons via AP/dpa

Johnson reagierte wütend im Unterhaus: „Das ist ein Gesetzentwurf, der dazu gemacht ist, das größte demokratische Abstimmungsergebnis in unserer Geschichte umzudrehen, das Referendum von 2016.“ Bevor das Gesetz in Kraft treten kann, muss es noch das Oberhaus passieren – dort warten aber weitere Fallstricke wie eine Flut von Anträgen und Dauerreden (Filibuster).

Alterspräsident Ken Clarke appellierte an Johnson, mit Spielchen aufzuhören und eine „eine ernsthafte Lösung für diese unerträglichen Probleme zu finden“. Clarke hatte am Dienstag wie 20 weitere Tory-Rebellen gegen die Regierung gestimmt und war von Johnson aus der Fraktion ausgeschlossen worden. Das harsche Vorgehen gegen die Abweichler stieß auf starke Kritik bei gemäßigten Konservativen.

Das Gesetz gegen den ungeregelten EU-Austritt soll Johnson dazu zwingen, eine dreimonatige Verlängerung der Brexit-Frist zu beantragen, falls bis zum 19. Oktober kein Abkommen mit der EU ratifiziert ist. Der Antrag müsste dann von den übrigen 27 EU-Mitgliedstaaten einstimmig gebilligt werden.

Für seinen Antrag auf eine Neuwahl hätte Johnson eine Zweidrittelmehrheit benötigt, die er bei weitem verfehlte. Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei kündigte an, er werde einer Neuwahl erst zustimmen, wenn das Gesetz gegen den No Deal in Kraft getreten ist.

04.09.2019, Großbritannien, London: Theresa May (2.v.l), ehemalige Premierministerin von Groflbritannien, hört während der ersten Fragerunde des Premierministers Boris Johnson im britischen Parlament zu. Kenneth Clarke (l), ehemaliger britischer Schatzkanzler und der am längsten amtierende Abgeordnete im Unterhaus, sitzt neben ihr. Foto: Jessica Taylor/House of Commons/AP/dpa

Johnson will Großbritannien am 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft führen, „komme, was wolle“. Er hofft, Brüssel damit zu Zugeständnissen bei dem bereits drei Mal im Unterhaus gescheiteren Brexit-Deal bringen zu können.

Auch für die Gegner eines ungeregelten Brexits gab es am Mittwoch einen Rückschlag: Das oberste schottische Zivilgericht wies eine Klage gegen die von Johnson erwirkte mehrwöchige Zwangspause des Parlaments ab. Das Gericht fühle sich für diese Streitfrage nicht zuständig, berichteten britische Medien aus dem Gericht in Edinburgh.

Geklagt hatten etwa 75 Parlamentarier. Sie sehen in der von Johnson angestrebten wochenlangen Schließung des Unterhauses vor dem EU-Austritt des Landes Ende Oktober eine unzulässige Einschränkung des Parlaments. Sie legten umgehend Berufung ein. Bereits am Donnerstag soll es dazu eine Anhörung geben. Ähnliche Klagen wurden auch vor Gerichten im nordirischen Belfast und in London eingereicht. (dpa)

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