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Bestsellerautor Milan Kundera mit 94 Jahren gestorben

30.11.2010, Frankreich, Paris: Der Schriftsteller Milan Kundera (M) nimmt an der Feier zum 20-jährigen Bestehen der Zeitschrift "La regle du jeu" (Die Spielregeln) teil. Foto: Miguel Medina/AFP/dpa

Seine tragikomischen Liebesgeschichten voller Witz und Ironie bewegten viele Menschen und wurden in alle Weltsprachen übersetzt. Nun ist Milan Kundera gestorben. Seine Lebensthemen waren das Leben im Exil und der europäische Roman.

Milan Kundera, einer der bedeutendsten europäischen Schriftsteller seiner Generation, ist tot. Der tschechische und französische Staatsbürger starb am Dienstag im Alter von 94 Jahren nach langer Krankheit in Paris, wie die Mährische Landesbibliothek in Brünn (Brno) am Mittwoch unter Berufung auf seine Ehefrau Vera mitteilte.

Kundera lebte seit Jahrzehnten in Frankreich. Seine Bücher wurden in alle Weltsprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie den „Prix Médicis“, den Ritterorden der französischen Ehrenlegion, den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur und den Jerusalem-Preis.

02.05.2005, Spanien, Madrid: Milan Kundera in Madrid. Der tschechisch-französische Schriftsteller starb im Alter von 94 Jahren. Foto: epa efe/epa/dpa

Mit seinem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ erlangte Kundera 1984 Weltruhm. Hollywood verfilmte die tragische Liebes- und Exilantengeschichte zwischen der Kellnerin Teresa und dem Arzt Tomas mit Juliette Binoche und Daniel Day-Lewis in den Hauptrollen.

Das EU-Parlament gedachte des verstorbenen Schriftstellers mit einer Schweigeminute. Kundera habe die europäische Einheit verkörpert und den kommunistischen Totalitarismus angeprangert, sagte der Antragsteller, der französische Europaabgeordnete Bernard Guetta, zur Begründung. Auch das Abgeordnetenhaus in Prag hielt eine Gedenkminute ab.

Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala schrieb bei Twitter, Kundera habe mit seinem Werk ganze Generationen von Lesern auf allen Kontinenten erreicht und Weltruhm erlangt. «Milan Kunderas Werk zeigt den Menschen in seiner Schönheit und in seinem Schrecken», erklärte der Verleger Jo Lendle vom Münchner Hanser-Verlag. „Die Literatur des 20. Jahrhunderts wäre unvollständig ohne ihn.“

Kundera wurde am 1. April 1929 im mährischen Brünn (Brno) geboren. Er entstammte einer gebildeten Familie. Sein Vater war Rektor einer Musikhochschule, seine Mutter Lehrerin. Sein Cousin Ludvik war ein surrealistischer Schriftsteller. Kundera trat im Alter von 18 Jahren wie viele seiner Generation mit Begeisterung der kommunistischen Partei bei. Er schrieb Gedichte auf Stalin.

Seinen ersten großen Prosa-Erfolg feierte er mit losen Erzählungen über die „lächerliche Liebe“. Sie zeigten ungleiche Liebespaare in grotesken Situationen. Mit dem Stalinismus setzte sich Kundera in seinem Roman „Der Scherz“ auseinander. Später wurde er zu einem prominenten Vertreter der sozialistischen Demokratiebewegung „Prager Frühling“.

Der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten im August 1968 beendete den Traum vom „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. In seinem bedeutenden Essay über die „Tragödie Mitteleuropas“ argumentierte Kundera später, die Region sei nach dem Zweiten Weltkrieg in den Osten „entführt“ worden, gehöre aber geschichtlich und kulturell zum Westen. Den russischen Imperialismus sah er im Widerspruch zu den westlichen Werten.

06.05.1963, Tschechien, –: Der Schriftsteller Milan Kundera im Jahr 1963. Foto: Nesvadba Franti?ek/CTK/dpa

Kundera ging mit seiner Frau, der Fernsehansagerin Vera, 1975 nach Frankreich, 1979 wurde ihm die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft entzogen. Genau 40 Jahre später wurde Kundera wieder Bürger Tschechiens. Die Initiative dafür ging auf den früheren frankophilen Regierungschef Andrej Babis zurück, der den Autor in Paris besucht hatte. Seinem zentralen Thema, dem Leben im Exil, widmete sich Kundera in vielen seiner Bücher. Um die Schwierigkeiten der Rückkehrer geht es in dem Roman „Die Unwissenheit“ von 2000.

Kundera würzte seine Romane gerne mit philosophischen Exkursen – von der Musik Janaceks bis zur Bedeutung des Lachens. Er sah sich als Verteidiger des europäischen Romans. „Der Roman ist eine Meditation, welche, über imaginäre Figuren, auf den Grund der Existenz geht“, schrieb er einmal.

Es ging bei Kundera immer auch um die großen Fragen der Identität, der Geschichte, der Existenz. Oft wurde er als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt, doch kam es nie dazu. Belastet wurde er durch Vorwürfe aufgrund eines Polizeiprotokolls, er habe 1950 einen antikommunistischen Spion verraten. Er selbst bestritt dies.

Im Sommer 2020 erschien in Prag eine äußerst kritische Biografie des Publizisten Jan Novak über die Anfangsjahre des Schriftstellers im Sozialismus. Allgemein positiv aufgenommen wurde indes das Spätwerk, von „Die Unsterblichkeit“ über „Die Identität“ bis zum „Fest der Bedeutungslosigkeit“. Kunderas Schriftsteller-Kollege Milan Uhde würdigte seinen Jugendfreund nun mit den Worten: „Er war ein herausragender, einzigartiger, unwiederholbarer Mensch.“ (dpa)

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