Politik

„Ein Eifeler in Eupen“: Autor Freddy Derwahl über den Politiker und die Person Joseph Maraite – Ein Nachruf

Joseph Maraite in seiner Eigenschaft als Bürgermeister von Burg-Reuland. Foto: privat

Der Journalist und Autor Freddy Derwahl (75) widmet dem früheren Ministerpräsidenten und Reuländer Bürgermeister Joseph Maraite einen Nachruf. Maraite ist im Alter von 71 Jahren gestorben.

Von Beruf war Joseph Maraite Lehrer, in den 1970er und 1980er Jahren das ideale Sprungbrett für die Berufung zu „Höherem“. Sehr früh schnupperte er den süßen Duft politischer Verführung und ließ sich reihum in Brüsseler Ministerien befördern.

Der junge Mann aus der tiefen Eifel passte sich geräuschlos an. Konkurrenten hatten bei seinem Babyface nichts zu befürchten; vorgesetzten Ministern und Kabinettschefs diente er in rührender Anhänglichkeit. Unter seinen charmant auf Distanz gehaltenen weiblichen Fans kursierte das Kompliment: „Er wäre auch ein guter Pastor geworden.“

Joseph Maraite (2.v.r.) Anfang Februar 2017 bei einer Ehrung durch die CSP zusammen mit seiner Nachfolgerin im Bürgermeisteramt von Burg-Reuland, Marion Dhur, CSP-Präsident Pascal Arimont und Niki Dhur, Ex-Schöffe und Vater der Bürgermeisterin. Foto: CSP

Seinen Aufstieg verdankt Maraite einer Arglosigkeit, die sich nicht der konventionellen Kampfmittel bediente. Er stellte niemanden Beinchen. Während ringsum die Parteifetzen flogen, war er vorübergehend abwesend, dienstlich unterwegs oder zurzeit nicht erreichbar.

Manchmal entstand der sonderbare Eindruck, dass er in diesem Geschäft der harten Bandagen niemandem wehtun wollte. Zwischen den politischen Schützengräben lustwandelte er in nahezu kindlicher Unschuld. In seinen Reden bevorzugte er „etwas Sentimentales“. Freund und Feind erinnern sich nicht, ihn jemals mit Pfeil und Bogen gesehen zu haben. Am liebsten erschien er gut frisiert nach geschlagener Schlacht.

Bedürfnis nach milder, seelsorgerischer Macht

Der PDB zeigte er aus strategischen Gründen die kalte Schulter. Staatssekretär Willy Schyns ging er aus dem Weg, er polarisierte zuviel. Da war Ratpräsident Johann Weynand von einer anderen Kragenweite. Er entsprach seinem Bedürfnis nach milder, seelsorgerischer Macht. Freund Johann wechselte bald von der Tagespolitik ins Bezirkskommissariat nach Malmedy. Neue Männer brauchte das Land.

Der junge Attaché und Berater in den Brüsseler PSC-Ministerien beherzigte in dieser Lehre zwei wichtige Dinget: sich bei Hausaufgaben unentbehrlich zu machen und der Zeit etwas Zeit zu lassen.

Die erste Regierung der DG mit Premierminister Wilfried Martens (2.v.r.): Marcel Lejoly, Bruno Fagnoul und Joseph Maraite (von links). Foto: Archiv

Das Image von Joseph Maraite entsprach nahtlos den Vorstellungen, die Politiker im Inland sich von den „petits germanophones“ machten. Er verkörperte den „chic type“. Selbst Premier Wilfried Martens schätzte diese Art des Umgangs, sich wie ein gut erzogener Internatsschüler nur dann zu melden, wenn man gefragt wird.

Dass er eine Saison seiner Jugend in Eupen verbracht hatte, kam ihm im „Norden“ zu Gute, doch verriet er keineswegs seine Liebe zu den Eifeler Ursprüngen. Dabei half ihm vor allem eine besonders ausgeprägte Eigenschaft: Sein Bedürfnis nach Freunden und verlässlichen Weggefährten, mit denen er furchtlos durchs Leben gehen konnte. Strikt hieß es: „Süden wählt Süden“.

Joseph Maraite war ohne seine Kunst, Beziehungsstrippen zu ziehen und sich, aus unterschiedlichen Motiven, bei Freund und Feind beliebt zu machen, undenkbar. Er trank mit seinen ersten Regierungskollegen Bruno Fagnoul (PFF) und Marcel Lejoly (SP) Brüderschaft. Kritischen Entscheidungen wich er, wo immer es ging, elegant aus. Die meisten Dinge erledigten sich im Schlaraffenland der Staatsreformen wie von selbst.

Der Konservative verweigerte sich nicht dem Neuen

Sein Amt an der Klötzerbahn wie ein Fisch im Wasser. Manchmal war auch etwas „Eau de vie“ dabei. Doch war er aufmerksam und eifrig und beschäftigte nibelungentreue Kabinettschefs, die ihm freundliches Medienwetter bescherten.

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Die Liste „Gemeindeinteressen“ mit Bürgermeister Joseph Maraite (im Vordergrund) vor den Gemeinderatswahlen von Oktober 2012. Foto: privat

Der Konservative verweigerte sich nicht dem Neuen: Hinter seinem Schreibtisch hing der heilige Franziskus, gegenüber James Dean und die dekolletierte Marylin Monroe, dazu lief Volksmusik.

Bevor die Vennbahn ins Tal der Tränen tingelte, hat auf ihrem Trittbrett der Zugführer Maraite strahlend gewunken. Dem „sanften Tourismus“ besonders zugetan, ließ er sich keine „Grüne Woche“ in Berlin durchgehen und warb für „ostbelgische Produkte“ – einen Spezi-Mix aus Raerener Senf, herber Schokolade und Montenauer Schinken.

Zu den Zuständigkeiten, auf die der Ministerpräsident ganz besonderen Wert legte, zählten die Finanzen. Er konnte rechnen und wollte es wissen. Sein Spruch „Mit dem Einkommen auskommen“ war ebenso wie „Keine Panik auf der Titanic“ eines seiner bevorzugten Zitate.

Nichts schätzte er in Reden mehr, als seine Zuhörer mit Weisheiten aus der Weltgeschichte zu überraschen, wobei er bei spröden Budgetdebatten selbst vor Sprüchen des alten Konfuzius nicht zurückschreckte.

Diskrete Würde war sein Stil

Joseph Maraite war als Ministerpräsident populär und beliebt. „Dem kann man doch nicht böse sein“, so küssten die Alten Weiber den überzeugten Junggesellen, die er am Fettdonnerstag bei Resi Kirfel zu einer Wegzehrung einlud. Brüsseler Minister und Exzellenzen, die CDU-Promis Hanna-Renate Laurien, Bernhard Vogel und Norbert Blüm schätzten seine Jovialität. Königskinder würdigten seine Gastfreundschaft. Sogar der wodkaverseuchte Boris Jelzin hat ihm zugeprostet.

Schriftsteller und Autor Freddy Derwahl. Foto: privat

Geärgert hat ihn dagegen Kölns neidvoller Regierunsgpräsident Antwerpes, der ihn in penetranter Missgunst als „Herr Mareite“ anredete. Karl-Heinz Lambertz bot dem Ungefährlichen nach dem Koalitions-Putsch eine außenpolitische Sondermission an, Dienstwagen inklusive. Fast wäre Maraite für uns im Pommerland unterwegs gewesen. Lambertz soll beim Rausschmiss seines treuen Partners geweint haben.

Zu den persönlichen Folgen des Machtverlustes schwieg sich Joseph Maraite aus. Das war sein Stil: diskrete Würde. Über den Wechsel von Gala-Empfängen im Brüsseler Palais hin zum Konflikt um den Schweinestall von Grüfflingen verlor er kein Wort.

So hat er es an sich immer gehalten. Bis zuletzt pflegte er schmunzelnde Zurückhaltung. Er berichtete vom medizinischen Foltergerät und pries zugleich seine väterlichen Chefärzte. Den Namen seiner unheilbaren Krankheit hat er nie genannt.

Sonntagabends saß er einsam in der Heiligen Messe in der Eupener Klosterkirche. Das war sein Halt. Durch Höhen und Tiefen hat er ihn nicht aufgegeben. FREDDY DERWAHL

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

12 Antworten auf “„Ein Eifeler in Eupen“: Autor Freddy Derwahl über den Politiker und die Person Joseph Maraite – Ein Nachruf”

  1. Herbert G.

    Wie schade, dass er das nicht selbst lesen kann. Nur einer wie F.D. kann einen Menschen so konzentriert schildern, ein Leben auf einer DinA4-Seite zusammenfassen und ein bisschen bis in die Seele leuchten.
    Danke Freddy, Ruhe in Frieden Joseph.

  2. Leo LASCHET

    Auch ich habe Joseph in bester Erinnerung. Neben seinem politischen Engagement hatte er auch noch die Zeit sich sozialen Dingen zu widmen. So z.B; Als damaliger Radiomoderator, machte ich eine Sendung am Neujahrsmorgen und hatte die Gelegenheit um 7 Uhr morgens mit Joseph ein Interview zu machen. Er hatte die Silvesternacht in der Hufengasse verbracht um mit dem 100-Dienst die Nachtschicht zu fahren, was sicher nicht viele wissen dürften. Aber auch das war Joseph! R.I.P. Joseph

  3. Ruhen sie in Frieden Herr Maraite
    Ich kann mich dem Nachruf von Hern Derwahl nur anschliessen.
    Ich hoffe das ein gewisser KhL den Anstand hat von einem Nachruf abzusehen, dieser wäre sowieso nur geheuchelt.

  4. albert gehlen

    Dein Nachruf, werte Freddy, kommt der Person Joseph Maraite sehr nahe. Joseph kannte seine Stärken und Schwächen.. In all den Jahren als Ministerpräsident der DG hat Joseph es verstanden, sich mit
    guten Kabinettchefs und Mitarbeitern zu umgeben. So wird er in die Ostbelgien-Gechichte bleiben.
    Ruhe in Frieden, lieber Freund.!

  5. Unterstädter

    R.I.P. Joseph !
    Unsere beruflichen und persönlichen Kontakte waren stets von Respekt und Humor geprägt. Beides ist der derzeitigen DG Führung völlig abhanden gekommen und so bleibt dein Stil wohl unnachahmlich und unvergessen.
    Ein gut formulierter Nachruf.

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