Leserbrief

Johann Klos: Protektionismus durch die Hintertür?

Müsste ich morgen einen Oberbegriff für TTIP finden, würde der lauten: TTIP ist die neoliberale Brechstange, mit der weitere sozialstaatliche Zusammenhänge aufgebrochen werden können.

Für den Abbau von Handelshemmnissen, die Absenkung oder Abschaffung von Zöllen, die Angleichung von technischen Standards brauchen wir dieses Monster nicht, das geht auch ohne und ist gar nicht das Problem.

Die Mär von dem „davon haben alle was“ soll nur kaschieren, dass wir uns durch TTIP weiter schön brav in Richtung „New Manchester-Kapitalismus“ bewegen.

Leider können wir darüber schreiben bis zum Abqualmen. In vielen europäischen Ländern wird dieses Thema dank oberflächlichem Journalismus viel zu wenig behandelt, und gerade in solchen Gesellschaften hat die Lobby gute Arbeit geleistet. Selbst bei uns, ohne den Blick nach drüben – gute Nacht.

Selbst eine Studie aus den USA belegt (Tufts University/Massachussets: TTIP – European Disintegration, Unemployment and Instability): Es wird ans Eingemachte gehen. Haushalte in der EU werden bluten. Einkommensrückgänge sind vorprogrammiert.

Schauen wir uns doch mal die Erfolge nach 20 Jahren NAFTA an. Was hat dieses Abkommen für Mexico gebracht? Die Wasserversorgung wurde zwischenzeitlich privatisiert an Nestlé, Cola, Pepsi usw. 35 Millionen Mexikaner können sich aufbereitetes Trinkwasser einfach nicht mehr leisten. Die Elendsviertel am Rande der Städte haben Hochkonjunktur. Die komplette Landwirtschaft ist ruiniert.

Und TTIP:

Ich werde keine Leserbriefe mehr schreiben (für manche endlich), da ich mir die Prozesskosten nicht leisten werden können.

Daten-, Umwelt- und Verbraucherschützer werden künftig keine sonderlich groß nervigen Fässer mehr öffnen können.

Gentechnik wird endlich legalisiert werden.

Konzerne dürfen Staaten auf Schadensersatz verklagen.

Merken Sie sich die „Ratchet-Klausel“. Hiermit möchte man im TISA-Abkommen nur die Kleinigkeit geregelt wissen, dass einmal privatisierte Leistungen, auch nicht in einem demokratisch legitimierten Prozess, wieder in staatlichen-kommunalen Betrieb zurückdelegiert werden können.

Möchte einer von uns in Europa irgendein Gesetz im Bereich Soziales, Umwelt oder Wirtschaft abändern, hat er – bitte schön – vorab den US-Kongress zu fragen, damit auch sichergestellt wird, dass die Profitinteressen der Wirtschaft nicht eingeschränkt werden.

Jetzt setzten unsere Freunde noch einen drauf: Der Datenschutz muss weg.

Sowas gibt es in USA sowieso so nicht. Jeder macht mit den Daten der Bürger dort, was er will. Hierzulande ist der Schutz der persönlichen Daten zwar ein Grundrecht, aber wir haben verschlafen, diese Richtlinien in den letzten Jahren der Entwicklung im Bereich Kommunikation via Internet anzupassen. Resultat: Die Freunde wollen wie bei sich zuhause mit unseren Daten Geschäfte machen.

Nur ein Beispiel für ihre Krankenkassen und Lebensversicherungsbeiträge von morgen: Mathematische Modelle ermöglichen es heute schon, wenn genug Einzeldaten vorhanden sind, vorauszuberechnen, wie hoch dann ihre Beiträge sein werden. Da alle Daten offen vorliegen, kennt man ihr Konsumverhalten, ihren Lebensstil. Und was Sie für Einnahmen haben weiß dann sogar jeder Supermarkt. Diese Daten werden heute schon von amerikanischen Bürgern von unseren Freunden benutzt, um hochzurechnen, wie die Veranlagungen sind für jede Art von möglichen Krankheiten.

Für die EU-Bürger steht bei TTIP viel auf dem Spiel: Es geht darum, ob sie die Kontrolle über ihr eigenes Leben und ihre Person behalten.

Was haben die Amerikaner uns eigentlich zu bieten, dass wir für sie unsere Gesellschaft umkrempeln und unsere Politik einfrieren?

31.5.2015 Johann Klos, Eupen

4 Antworten auf “Johann Klos: Protektionismus durch die Hintertür?”

  1. Öppe Alaaf

    Nette Logik, Frau Baudimont.

    Ein Abkommen, das Handelsbeschränkungen abbaut ist nicht in Ihrem Sinne, weil es ja noch immer ein Abkommen ist.

    Wenn TTIP also schleichend durch die Hintertür kommt, sind Sie dafür, weil die Handelsbeschränkungen ohne Abkommen beseitigt wurden, oder?

    Was unterscheidet Sie also von den neoliberalen Plutokraten? Die totale Abwesenheit von finanziellem Vermögen oder die totale Ablehnung von Logik?

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