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Italiener feiern große Titel-Party mit Tränen und Magie – England nach dem Elfmeter-Drama am Boden zerstört

12.07.2021, Italien, Rom: Italiens Kapitän Giorgio Chiellini, der eine Krone trägt und die Trophäe hält, und seine Mannschaftskameraden kommen nach der Rückkehr aus London in einem Hotel in Rom an. Foto: Riccardo De Luca/AP/dpa

Italien ist drei Jahre nach der verpassten WM 2018 zurück auf Europas Fußball-Thron. Gefeiert wird die Squadra Azzurra mit Tränen, Dankbarkeit und Stolz. Derweil versagen den Engländern wieder vom Elfmeterpunkt die Nerven. Katerstimmung im Mutterland des Fußballs.

Mit goldener Krone auf dem Kopf reckte Kapitän Giorgio Chiellini vor den Fans in Rom im Morgengrauen stolz den EM-Pokal in die Höhe. Nach der „unvergesslichen Nacht“ von London, wie die „Gazzetta dello Sport“ titelte, wurden Italiens Fußball-Europameister in der Heimat von Tausenden jubelnden Fans empfangen. „Wir haben Geschichte geschrieben, genießen wir es“, forderte Chiellini und gab nach dem Rückflug in der Nacht den Plan vor: „Jetzt wollen wir mit allen Italienern feiern.“

„Zu schön“ – Italien Europameister“: Die Titelseite der „Gazzetta dello Sport“ am Montag. Foto: Screenshot

Der müde Trainer Roberto Mancini verabschiedete sich mit Sonnenbrille zunächst für einige Stunden zu seiner Familie, um dann zum Empfang beim italienischen Regierungschef zurückzukehren. „Wir können noch nicht begreifen, was wir geschafft haben“, sagte er.

Nicht nur bei Mancini flossen in der Nacht Freudentränen. Mit einem hochdramatischen 3:2 im Elfmeterschießen gegen England krönte sich Italien im Londoner Wembley-Stadion zum zweiten Mal nach 1968 zum Europameister – und meldete sich gleichzeitig nach der verpassten WM 2018 eindrucksvoll auf der großen Bühne zurück.

„Wir haben daran geglaubt“, sagte Verteidiger Leonardo Bonucci, der sein Team mit dem Treffer zum 1:1 (67. Minute) ins Elfmeterschießen gebracht hatte. „Die große Schande von 2018 ist fast vergessen“, meinte der „Corriere dello Sport“, und „Tuttosport“ schrieb trotzig: „Vor drei Jahren wurden wir von der Welt verstoßen, jetzt sind wir Europameister.“

Die wundersame Wiederauferstehung der Squadra Azzurra ist eng mit dem Namen Mancini verknüpft. „Der Trainer hat uns gezeigt, dass wir etwas Außergewöhnliches schaffen können, wenn wir daran glauben“, sagte Bonucci. „Dieser Sieg ist der Beweis, dass man immer daran glauben muss. Auch wenn man ganz unten ist.“

12.07.2021, Großbritannien, London: Italiens Spieler jubeln nach dem Spiel mit dem Pokal. Foto: Christian Charisius/dpa

Für den Coach war der Triumph von London auch eine persönliche Genugtuung, nachdem er als Spieler unter anderem bei der WM 1990 den Titel verpasst hatte. „Wir hatten damals Pech, heute hat sich ein Kreis geschlossen“, sagte der 56-Jährige. „Etwas hat das Schicksal mir wohl geschuldet.“

Nach dem Triumph weinte Mancini in den Armen von Delegations-Chef Gianluca Vialli, mit dem ihm eine lange Freundschaft mit Höhen und Tiefen verbindet. Nach der Siegerehrung ging er mit Medaille um den Hals ein paar Schritte nachdenklich über den Rasen, gemeinsam mit Torschütze Bonucci schoss er dann ein kurzes Erinnerungs-Selfie. „Mancinissimo“, titelte die „Gazzetta dello Sport“ am Montag.

Mancini hat eine Mannschaft geformt, die sich mit Offensivdrang und Mut, vor allem aber mit einem besonderen Teamgeist gegen alle Widerstände zum EM-Titel gekämpft hat. „Wir haben gespürt, dass etwas Magisches in der Luft lag“, sagte Chiellini. Sein kongenialer Partner in der Innenverteidigung, Bonucci, ergänzte: „Wir haben immer noch eine verrückte Lust, als Team zusammen zu sein. Das ist unglaublich.“

34 ungeschlagene Spiele in Serie und der erste große Titel für Italien seit dem WM-Triumph 2006 in Deutschland sind der Lohn.

Der Spirit der Mannschaft zeigte sich auch bei der Siegerehrung: Der erste, der seine goldene Medaille entgegennehmen durfte, war Leonardo Spinazzola. Der Linksverteidiger, der sich im Viertelfinale einen Riss der Achillessehne zugezogen hatte, war während der Party mit Gipsbein stets mittendrin – meistens huckepack bei einem seiner Teamkollegen. „Olé, olé, Spina, Spina“, skandierte die Mannschaft bei der Titel-Sause vor der italienischen Fankurve im Wembley-Stadion.

12.07.2021, Italien, Rom: Italiens Trainer Roberto Mancini (M) und sein Team kommen nach der Rückkehr aus London in einem Hotel in Rom an. Foto: Riccardo De Luca/AP/dpa

Angeführt wurde die Mannschaft vom 36 Jahre alten Chiellini und dem zwei Jahre jüngeren Bonucci, die in der Squadra Azzurra mit dem verlorenen EM-Finale 2012 und der verpassten WM 2018 schon so manchen Rückschlag hinnehmen mussten. „Wir haben es geschafft, ein ganzes Volk glücklich zu machen, das ist legendär. Es ist das Schönste, was existiert“, schwärmte Bonucci, der ein Foto aus dem Hotel von sich und Chiellini postete – den silbernen Pokal im Bett zwischen den beiden: „Keine Angst, er wird gut schlafen. Wir passen auf ihn auf“, lautete der Text dazu. Nur vier Gegentore ließen die Verteidiger im Turnierverlauf zu und waren damit die Basis für die Titel-Krönung.

Großen Anteil daran hatte auch Keeper Gianluigi Donnarumma, der im Elfmeterschießen sowohl im Halbfinale gegen Spanien als auch im Endspiel der gefeierte Held war und zum besten Spieler des Turniers gewählt wurde. „Ich war sicher, dass er einen Elfmeter halten würde. Er ist der beste Torhüter der Welt“, lobte Mancini. Der Keeper selbst sagte um Worte ringend: „Wir waren spektakulär, wir waren grandios.“

Erst 22 Jahre ist Donnarumma alt und damit wie viele seiner Teamkollegen auch ein Versprechen für die Zukunft des italienischen Fußballs. Mancini hat seinen Vertrag langfristig bis 2026 verlängert, die WM im kommenden Jahr in Katar ist das nächste große Ziel der Azzurri. So weit wollte Mancini aber inmitten des großen Jubels noch gar nicht vorausblicken, erst einmal genoss der Coach den Moment: „So etwas Schönes habe ich noch nie erlebt“, sagte er sichtlich gerührt. „Der Pokal ist nach 1968 zurück in Italien, das ist unglaublich.“

Katerstimmung in England nach dem EM-Drama

Nach der Niederlage im EM-Finale gegen Italien sind die Engländer hingegen am Boden zerstört. Trainer Gareth Southgate sah am Morgen danach aus wie ein trauriger Mann. Völlig übermüdet und schwer gezeichnet vom schmerzhaften Elfmeter-K.o. im EM-Finale hockte Englands Fußball-Nationaltrainer am Montag auf seinem Stuhl, der 50-Jährige redete mit leiser Stimme.

„Es fühlt sich heute Morgen an, als hätte man mir die Eingeweide rausgerissen“, sagte Southgate nach der 2:3-Niederlage im Elfmeterschießen gegen den neuen Europameister Italien.

12.07.2021, Großbritannien, Watford: Englands Trainer Gareth Southgate (2.v.r) verlässt das Grove Hotel in Hertfordshire und winkt. Foto: Jonathan Brady/PA Wire/dpa

Wieder mal waren den Engländern vom Punkt die Nerven versagt, wieder mal versinkt eine leidgeprüfte Fußball-Nation in kollektiver Trauer. „Das Land in Tränen nach dem nächsten Strafstoß-Fiasko“, schrieb etwa die „Daily Mail“. Aber wieso diesmal?

Southgate konnte und wollte darauf keine Antwort geben. „Ich brauche Zeit, um das alles zu reflektieren“, sagte der bitter enttäuschte Ex-Profi. „Ich brauche eine Pause. Das war eine großartige Erfahrung, aber sein Land durch ein Turnier zu führen, kostet Kraft. Es gibt viel, worüber ich nachdenken muss.“

Es ist fast schon bizarr, auf welche tragische Art und Weise sich die Geschichte für den früheren Verteidiger wiederholt. Vor 25 Jahren war es Southgate, der mit seinem Fehlschuss im EM-Halbfinale gegen Deutschland vor über 70.000 bangenden Zuschauern im Wembley-Stadion Englands Traum vom Heim-Titel beendete.

Am Sonntagabend und an gleicher Stelle war es erneut Southgate, der nach einem hochdramatischen Endspiel gegen die Azzurri die Elfmeterschützen der Three Lions bestimmte. Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka vergaben: Ein 23-Jähriger, ein 21-Jähriger und ein 19-Jähriger.

„Du triffst Hunderte Entscheidungen während einer Woche, während eines Turniers sogar noch mehr. Du triffst sie nicht alle richtig. Aber du musst mehr richtig machen als falsch“, sagte Southgate. „Falls ich falsche Entscheidungen getroffen habe, muss ich damit leben.“

11.07.2021, Großbritannien, London: Englands Luke Shaw (r) feiert mit Englands Harry Kane (M) und Englands Raheem Sterling seinen Treffer zum 0:1. Foto: Andy Rain/POOL EPA/dpa

Seine Spieler um den in der Wembley-Nacht bitterlich weinenden Noch-Dortmunder Sancho nahm der Coach erneut in Schutz. „Es war meine Entscheidung, wer die Elfmeter schießt, von niemandem sonst“, betonte er. „Meine Spieler sollten unglaublich stolz auf das sein, was sie geleistet haben.“

England und sein Elfmeter-Trauma, das ist eine wohl niemals endende Schreckensgeschichte. Im neunten Anlauf bei einem großen Turnier kassierten die Three Lions ihre siebte Niederlage vom Punkt. Und trotz eines insgesamt starken Turniers konnten einige Zuschauer damit offensichtlich nicht umgehen. Saka, Sancho und Rashford wurden nach ihren Fehlschüssen im Netz rassistisch beleidigt, worauf auch der britischen Premierminister Boris Johnson reagierte.

„Dieses England-Team verdient es, als Helden verehrt und nicht rassistisch beschimpft zu werden“, twitterte Johnson. „Die Verantwortlichen für diese entsetzlichen Beschimpfungen sollten sich schämen.“

Auch Prinz William sprach von inakzeptablem und „abscheulichem Verhalten“. „Es muss jetzt aufhören, und alle Beteiligten sollten zur Rechenschaft gezogen werden“, twitterte der Queen-Enkel. Zudem überschatteten die Videobilder von prügelnden Chaoten sowie von Müllbergen vor dem Wembley-Stadion und im restlichen London einen sportlich lange begeisternden Abend für die Three Lions.

11.07.2021, Großbritannien, London: Englands Marcus Rashford steht niedergeschlagen da, nachdem er einen Elfmeter verschossen hat. Foto: Carl Recine/Pool Reuters/dpa

Als Luke Shaw mit seinem Blitz-Tor nach 116 Sekunden England in Führung gebracht hatte, bebte Wembley vor Freude. Alles schien aufzugehen: Southgates geniale Systemumstellung auf eine Dreierkette, dazu der Rückenwind dank einer spektakulären Stadion-Kulisse.

Doch dann kippte die Partie. Nach der Pause verlor England die Kontrolle über das Spiel und den Ball, Italiens Leonardo Bonucci (67. Minute) erzielte den verdienten Ausgleich. Es folgte ein Kampf vor der spektakulären Kulisse von 67.173 Zuschauern – bis Southgate kurz vor dem Elfmeter-Drama folgenschwere Fehler unterliefen. In der 120. Minute und mit Blick auf den Elfmeter-Showdown wechselte er seine beiden ältesten Spieler Jordan Henderson und Kyle Walker aus – und Rashford und Sancho ein. Der Rest der Geschichte ist bekannt.

Mehrere Jahre hat Southgate das Elfmeterschießen trainieren lassen, Sancho, Rashford und Saka habe er auch nach Trainingsleistungen ausgewählt, erklärte er. Aber lässt sich ein Elfmeterschießen in einem Heim-Finale vor über 60.000 tobenden Fans überhaupt simulieren?

Southgate kennt die Kritik und wird sich darüber Gedanken machen. Aber erst mal geht es für ihn und seine Spieler in den Urlaub. „Es wird natürlich länger weh tun, aber die Jungs können stolz auf sich sein. In einem Monat werden wir schätzen können, was wir da gemacht haben, welche Liebe wir erlebt haben“, sagte Kapitän Kane. (dpa)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

2 Antworten auf “Italiener feiern große Titel-Party mit Tränen und Magie – England nach dem Elfmeter-Drama am Boden zerstört”

  1. delegierter

    hätten die Engländer mal Fußball gespielt, dann hätten sie weder Verlängerung noch Penaltyschießen gebraucht. Wer den Gegner in der 2. Hälfte so spielen lässt, der hat es nicht besser verdient. Anstatt die jungen Kräfte spätestens nach dem Ausgleich zu bringen, lässt man sie lieber auf der Bank versauern. Und das über das ganze Turnier. Gratuliere Italien. Hat mir 10 Bonuspunkte gebracht. Danke.

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