Leserbrief

Fabienne Colling: Sankt Vither Webshop wird leider nicht funktionieren

Mal ganz abgesehen von der dürftigen technischen Umsetzung (Ladezeiten, Ergonomie, SEO-Faktoren), zielt der neue Sankt Vither Webshop für den Einzelhandel rein vom Konzept her am Benutzerverhalten vorbei. Das Ziel war es, die Argumente für den stationären Einzelhandel wieder in den Vordergrund zu rücken, zu zeigen, „was man hat“, und auch etwas vom Online-Kuchen abzukriegen.

Soweit ein guter Ansatz. Umgesetzt wurde aber ein halbherziger Abschlag von Amazon, der keinen Fehler auf dem Weg hin zur Konversion, also zum Verkauf/Reservierung, auslässt.

Wo werden die Besucher des Shops herkommen? Wegen technischer Mängel weniger von Suchmaschinen wie Google & Co. – außer man kauft für teures Geld z.B. über Google Adwords Besucher ein. Über Anzeigen in Druckmedien? Man würde ja wohl kaum auf den eShop verweisen, wenn man die Kunden direkt ins Geschäft lotsen kann. Über Newsletter oder Werbung in den teilnehmenden Läden? Dann würde man den Weg bis zum Kauf für bestehende Kunden noch komplexer gestalten, anstatt neue Kunden anzuziehen.

Wann/wie rentabilisiert sich die Investition? Der Shop kostet jedes Geschäft 400 EUR. Hört sich erstmal nach wenig an. Kaum einer ist sich bewusst, wieviel Geld man in die Vermarktung eines eShops stecken muss, bevor Produkte überhaupt GEKAUFT, geschweige denn RESERVIERT werden.

Nebenbei bemerkt ist ein geschätztes/umgerechnetes Gesamtbudget von knapp 5.000 EUR für einen ernstzunehmenden eShop dieser Größenordnung nicht seriös. Nischenstrategien mit kleinen Zahlungsmodulen lassen sich damit schon realisieren, müssen aber ganz anders gedacht und umgesetzt werden.

Ist das Ganze legal? Wo sind die AGBs? Das Impressum? Wie funktioniert die Rücknahme? Speziell im deutschen Sprachraum ist so ziemlich alles im Web abmahnfähig, was mit einem eShop zu tun hat.

Warum sollte sich jemand die Mühe machen, eine Reservierung über den Shop zu tätigen? Nehmen wir das Beispiel des Motoröls. Ist eine Flasche Motoröl wirklich so selten und exklusiv, dass ich sie „reservieren“/“vorkaufen“ muss, anstatt spontan ins Geschäft zu laufen und sie an Lager zu kaufen?

Der Mensch ist von Natur aus faul. Wenn ich online kaufe, will ich auch beliefert werden. Die Vorteile des stationären Einzelhandels liegen ganz woanders. Kaufentscheidungen online, speziell wenn der Kunde vergleicht, werden zudem primär auf dem Second Screen getätigt, d.h. auf Tablets oder Smartphones. Auch hier wird der Webshop den aktuellen technischen Standards nicht gerecht.

Befürworter des Projektes halten dem entgegen, dass es sich ja lediglich um ein „Schaufenster“ handele. Auch das ist falsch. Es ist ein eShop, der kein eShop ist. Eine Online-Vitrine, die mehr Besucher in den Laden bringen soll, baut man anders auf. Es ist sehr schade, dass ein ohnehin gebeutelter stationärer Einzelhandel zu solchen Fehlinvestitionen verführt wird und dann den Eindruck erhält, dass man gegen die online Konkurrenz ja doch keine Chance habe.

Zwischen „Ich brauche keine Website“ und „Der Bazooka der Webshops“ gibt es eine Fülle an Möglichkeiten, mit der der stationäre Einzelhandel online Kanäle sinnvoller einsetzen kann als so. Aber wenn die KBC wirbt „Wir finanzieren Ihren eCommerce“ und das ZAWM jeden glauben lassen will, dass man alles selber machen kann und es reicht, Produkte „online“ anzubieten, um mehr Umsatz zu machen, dann kann man der durchaus motivierten Fördergemeinschaft eine solche Fehlentscheidung kaum verdenken…

11.9.2015 Fabienne Colling, Auel (Burg-Reuland)

12 Antworten auf “Fabienne Colling: Sankt Vither Webshop wird leider nicht funktionieren”

  1. Öppe Alaaf

    Ich vermute, dass die Stadt Wuppertal hier Pate gestanden hat. Hier wurde vor einigen Jahren ein solches Projekt pilotiert: https://atalanda.com/wuppertal/

    Ob das Einzugsgebiet St.Vith für ein solches Projekt ausreicht, sei dahingestellt (Eupen wäre m.E. besser geeignet, ist aber anscheinend zu träge.)

    Ich teile Ihre Bedenken: Statt eines halbherzigen Ansatzes, der mit 400€ teuer eingekauft wird, sollte man sich eher über ein vernünftiges Cross-Channel-Konzept Gedanken machen. Dafür ist es allerdings nicht zu spät und so ganz ohne Internet geht es in der Zukunft wohl auch nicht.

    Ob dieser Ansatz dann auf St. Vith beschränkt bleibt, oder die DG als Ganzes beinhaltet, wäre doch ein interessanter Ansatz, oder? Ich bezweifle, dass St. Vith alleine die nötige kritische Masse erreicht, um einen solchen Ansatz ans Laufen zu bringen. …aber zumindest bewegt sich etwas!

    • Der beste Ansatz und gute Wille nutzt nichts, wenn weder das benötigte Fachwissen noch das technische Know-How vorhanden sind. Dann wäre das Geld besser in Feuerwerk investiert, da verbrennt es zumindest hübscher.

      Sollten die Beteiligten jetzt doch noch wach werden, vergehen bis zu einem fertigen und funktionierenden Konzept wieder etliche Monate/Jahre, die man weiter in Rückstand gerät. Es wird durch solche Fehlversuche nicht einfacher für den Einzelhandel.

      • Öppe Alaaf

        „Make or Buy!“: Wenn man das Wissen nicht einkaufen kann und selbst nicht hat, sollte man einen Plan C in der Schublade haben.

        Wenn mittlerweile Nicht-Experten einen kompletten Web-Shop für 400€ (Hard- und Software) bei Amazon kaufen können, dann sollte man darüber nachdenken, ob das Projekt ein IT-Projekt oder ein Retail-Projekt ist. Anscheindend denkt man zu technisch in St. Vith.

  2. R.A. Punzel

    „Aber wenn die KBC wirbt „Wir finanzieren Ihren eCommerce“…“, ist eh alles zu spät. Allein die Tatsache, dass z.B. St.Vither „Webdesigner“ sich nicht vermarkten können (einfach mal deren „Werbung“ anschauen), müsste jedem recherchierenden Einzelhändler klar werden, dass das Projekt zu scheitern verurteilt ist. 400,T€ in den Sand gesetzt? Na gut, solange es nur die trifft, die eh „Wegen Reichtum Geschlossen“ haben,… (manchmal täglich von 12.00 bis 14.30 Uhr)…. ;-))

  3. Nix machen ....

    … motzen, kritisieren, mies machen und besser wissen haben die Menschheit eigentlich nie voran gebracht. Positive Kritik, interessante Anregungen, mitmachen und Kreativität sind eher dazu angetan die Dinge zum Besseren zu wenden.

    • Fabienne Colling

      „Positive Kritik“: Ob man Kritik als positiv oder negativ einstuft, liegt im Auge des Betrachters. „Interessante Anregungen“: Ich bin absolut damit einverstanden, dass man Anregungen zum besser machen ebenfalls teilen darf. Hier stimmt allerdings schon der Grundansatz nicht und optimieren/verbessern wollen, wäre Zeitverschwendung. „Mitmachen“: Dazu muss man zunächst die Gelegenheit bekommen. „Kreativität“: Manchmal ist es auch der Job eines Beraters zu sagen, was es zu lassen gibt. „Dinge zum Besseren wenden“: Das ist genau der Sinn und Zweck dieser Diskussion: Den Austausch fördern, Projekte in Frage stellen, aus Fehlern lernen usw. An „interessanten Anregungen“ fehlt es in unserer Gegend definitiv nicht.

    • Ob es etwas mit „Miesmachen“ zu tun hat, weiß ich nicht. Ich denke hier wird eher festgestellt, dass die falschen Partner mit viel Halbwissen etwas sinnloses gebastelt haben, das Geld kosten wird, aber keines einbringen wird.

      Wer versucht, aus Latten einen Schrank zu bauen, aber keine Ahnung von Hammer und Säge hat, sollte auch besser nen Schreiner fragen. Am Ende sind sonst die Nägel krumm und die Bretter kaputt. Aber Achtung bei der Wahl des Schreiners…

      Es reicht schon wenn man bei Google „e-commerce best practices“ eingibt um herauszufinden, dass hier einiges, wenn nicht alles schiefgelaufen ist.

      • Fabienne Colling

        Nein ich denke nicht, dass es nur mit einem ‚Partner‘ zu tun hat. Von vielen offiziellen Seiten her, darunter Finanzinstitute, Schulungszentren, werden Fehlinformationen gestreut, die zu Fehleinschätzungen führen und es fehlt an einer Kultur des „In Frage stellens“. Schweigen und Anregungen in den Kulissen haben bisher keinen Sinneswandel gebracht. Eine offene Debatte vielleicht schon.

  4. treckerfahrer

    Finde es super, dass da in St. Vith wieder jemand, und das zum wiederholten Mal – die Fördergemeinschaft – selbst das Heft in die Hand genommen hat und aktiv wird. Schade, dass die „Brancheninternen“ jetzt wieder alles versuchen, kaputt zu reden. Vielleicht, weil sie keinen Auftrag bekommen haben ? Es gibt glaube ich keine andere Branche, in der momentan der Kunde härter umkämpft wird, und das mit allen Mitteln. Ich finde es toll, dass Sankt Vith jetzt eine „virtuelles Schaufenster“ hat, wo ich vorher schon mal nachschauen kann, was es alles gibt. Ich kann dIn mehreren deutschen Stadten gibt es das auch schon – und es scheint zu funktionieren. Warum also nicht auch hier ???

    • treckerfahrer

      Sorry, Korrektur …
      Ich finde es toll, dass Sankt Vith jetzt eine „virtuelles Schaufenster“ hat, wo ich vorher schon mal nachschauen kann, was es alles gibt. In mehreren deutschen Stadten gibt es das auch schon – und es scheint zu funktionieren. Warum also nicht auch hier ??? Viel Erfolg Sankt Vith !!!

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