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Schulz, Gabriel und die Chaos-Tage der SPD

Der SPD-Vorsitzende, Martin Schulz (r) unterhält sich am 13.12.2017 im Deutschen Bundestag in Berlin mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD). Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Martin Schulz: ein tragischer Fall. Sigmar Gabriel: isoliert nach einer Boshaftigkeit. Andrea Nahles: ein fragwürdiger Start. Die SPD müsste eigentlich geschlossen mal zur Therapie – stattdessen muss nun das endgültige Debakel abgewendet werden.

Die rote Fahne weht unerschütterlich hoch oben auf dem Dach, im grauen Berliner Winterhimmel. Sie ist noch nicht zerzaust wie die Partei. Die Kameras sind abgebaut, kaum ein Licht brennt am Samstag im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale. In ihren 155 Jahren hat die älteste Partei Deutschlands wenige so desaströse Wochen erlebt. Dabei hatte sie erst einen sensationellen Erfolg errungen.

Statt aber mit stolzer Brust ob des Erringens von Finanz-, Außen und Arbeitsministerium sowie drei weiterer Ressorts bei den Mitgliedern um eine Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit CDU/CSU zu werben, herrscht Schockstarre.

Schlagzeile von bild.de am Sonntag.

Während der Juso-Chef Kevin Kühnert bereits seine „NoGroko“-Tour gestartet hat. Geht die am 20. Februar startende Abstimmung aller SPD-Mitglieder über den Vertrag schief und kommt es zu Neuwahlen, muss die SPD wohl um ihre Existenz fürchten. In ganz Europa wird das Drama aufmerksam registriert.

Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), selbst unter Feuer wegen des Verlusts von Schlüsselministerin an die 20-Prozent-Partei, kann das nicht gefallen. Schon vor dem Start der großen Koalition wird das Bild einer hochfragilen Regierung erweckt.

Es ist längst nicht nur Martin Schulz, der Fehler an Fehler gereiht hat – die Blicke richten sich auch auf die, die es nun bei den Sozialdemokraten richten sollen. In Anlehnung an die groteske Kunstfigur von David Bowie schreibt die italienische Zeitung „La Repubblica“, Schulz sei der „Ziggy Stardust“ der deutschen Politik. „Der Alien, der vor einem Jahr von Brüssel nach Berlin katapultiert wurde und wie ein Gott einer führungslosen Partei gefeiert wurde. Er wurde in tausend Stücke gerissen.“ Er sei der „perfekte Sündenbock“ für eine Partei, die seit zehn Jahren in der Identitätskrise stecke.

Stoff fürs Theater

Der steile Aufstieg und tiefe Fall des Martin S. ist Stoff fürs Theater, Stilform: Drama. Nach dem Koalitionsverhandlungsfinale in der CDU-Zentrale verliert er den Vorsitz – an Andrea Nahles. Sie und ihr neuer starker Partner Olaf Scholz, der Vizekanzler und Finanzminister werden soll, erfüllen ihm aber den Wunsch, das Außenministerium zu übernehmen. Von Sigmar Gabriel, dem beliebtesten SPD-Politiker. Schulz ist für rund 44 Stunden der kommende Außenminister – bis auch dieser Plan dramatisch scheitert.

Er und Nahles gaben am Mittwochabend im Willy-Brandt-Haus eine Pressekonferenz. Nahles lobte dabei ausdrücklich, dass Schulz Außenminister werden soll, auch wegen der Bestrebungen des früheren EU-Parlamentspräsidenten, neue Impulse in der Europapolitik zu setzen.

21.01.2018 in Bonn: Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Andrea Nahles (l), und der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz sitzen beim SPD-Sonderparteitag zusammen. Foto: Oliver Berg/dpa

Doch da er den Gang in ein Kabinett Merkel zuvor klar ausgeschlossen hatte, war absehbar, dass dies an der Basis zu einem Proteststurm führen kann. Schulz erklärte seinen Verzicht am Freitag dann auch damit, irgendwie das Ja der Mitglieder zur «GroKo» sichern zu wollen. Sein Rückzug wird von Häme begleitet, wie lange nicht.

Nun stellt sich die Frage: Haben Nahles und Scholz die Stimmung völlig falsch eingeschätzt – oder ließen sie Schulz ins Verderben laufen, um das unglückselige Kapitel schmerzhaft, aber zügig zu beenden. Beide wussten schon am Abend der Bundestagswahl, dass es mit ihm kaum weitergehen kann. Trotzdem unterstützten sie sogar noch seine Wiederwahl beim Parteitag im vergangenen Dezember. Zudem wurde die Schulz-Nachfolge im engen Zirkel ausgeheckt. All dies wirft Fragen auf – und überschattet das GroKo-Mitgliedervotum.

Hinzu kommt das Problem Gabriel. Nahles wie Scholz sind beide mit ihm durch: Als SPD-Chef zerschlug er viel Porzellan, Nahles litt als Generalsekretärin unter ihm, der nüchterne Stratege Scholz konnte mit seiner Sprunghaftigkeit nichts anfangen.

Schon 2016 stand es Spitz auf Knopf, dass Gabriel abgelöst wird. Doch dann heckte er den Plan aus, Vorsitz und Kanzlerkandidatur Schulz zu überlassen und selbst vom Wirtschafts- ins Außenministerium zu wechseln.

Gabriel und seine Tochter

Gabriel wurde so beliebt wie nie zuvor – bei den Bürgern, nicht den SPD-Funktionären. Wie aber sollen die Bürger, die die Intrigen und Machtkämpfe in der Partei kaum nachvollziehen können und sich angewidert abwenden, verstehen, wenn er nun auch nach dem Schulz-Verzicht keine zweite Chance bekommt?

Doch Gabriel hat Nahles einen großen Dienst erwiesen. Er dürfte inzwischen bitter bereuen, aus Wut Schulz, der ihn undankbar aus dem Außenministerium verdrängen wollte, hart angegangen zu sein.

09.02.2018, Sachsen, Leipzig: Der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert (l) spricht vor Journalisten. Trotz des Verzichts des scheidenden SPD-Chefs Martin Schulz auf das Amt des Außenministers will Kühnert an der bundesweiten Kampagne gegen die große Koalition festhalten. Foto: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa

Vor allem das Instrumentalisieren seiner Tochter wird ihm in der Partei als Boshaftigkeit ausgelegt. „Meine kleine Tochter Marie hat mir heute früh gesagt: ‚Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht‘“, hatte Gabriel der Funke-Mediengruppe gesagt. Ohne diesen gegen Schulz gerichteten Satz wäre es wohl schwerer für Nahles, Gabriel auf das Abstellgleis zu schieben. „Männer, die für ihre persönlichen Machtkämpfe ihre Töchter benutzen – das ist der Zustand unserer politischen Elite in Deutschland. Erbärmlich“, kommentiert die „Bild“-Zeitung.

Als mögliche neue Nachfolgekandidaten gelten jetzt unter anderem der bisherige Justizminister Heiko Maas und Familienministerin Katarina Barley. Nahles muss mit Scholz eine überzeugende Lösung finden, auch gegenüber den Bürgern und Gabriel-Fans. SPD-intern gibt es Stimmen wie die des einflussreichen Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, die ein Weitermachen Gabriels im Außenamt fordern.

Martin Schulz wird derweil von seiner Schwester Doris Harst verteidigt. Sie spricht von der „Schlangengrube“ Berlin. Schulz habe Gabriel im Sinne der anderen abserviert. Jetzt würden Nahles und Scholz ihren Bruder zum Sündenbock machen, kritisiert sie in der „Welt“.

Es passt ins Bild, dass Karneval ist, als hätte sich die SPD die Narrenkappe aufgesetzt. Nahles wird es als wohltuend empfunden haben, zwischendurch zum Möhnenumzug in ihrem Heimatort Weiler in der Eifel entschwunden zu sein. Verkleidet war sie dabei als Clown. (dpa)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf „Ostbelgien Direkt“:

14 Antworten auf “Schulz, Gabriel und die Chaos-Tage der SPD”

    • Alfons Van Compernolle

      Wir schreiten Seit an Seit, dass ist aber schon 30 Jahre Geschichte, Leider !!
      Meiner Partei sei dringend angeraten soetwas wie „eine Partei-Psychoanalyse“ der rueckbesinnenden auf sozialdemokratische Werte zu beginnen. Brueder zur Sonne, zur Freiheit, hat zur Zeit wohl mehr mit
      „Brueder im Dunkel zur Selbstvernichtung“ zu tun. Leider !!! Kann durch aus sein, dass es hinter geschlossenen Tueren irgendelche Absprachen gegeben hat, von denen ich auf den Parteitagen nichts gemerkt / mitbekommen habe und Nahles als neue SPD-Vorsitzende, dass sehe ich noch lange nicht.
      Nicht etwa weil sie Frau ist, sondern weil sie Charaktereigenschaften ihr eigen nennt, die nicht nur mich alleine Abstossen und vorsichtig werden lassen !! Meine Stimme bekommt sie nicht !

          • @ Groschen

            Es ging darum das AvC die Frau Nahles für eine Fehlbesetzung im Amt der SPD – Vorsitzenden hält und er in einer Urwahl ihr daher nicht die Stimme gibt.
            Natürlich steht es jedem Parteimitglied frei eine(n) Kandidaten (Kandidatin) abzulehnen, dann sollte es aber auch Alternativen geben.
            Wie heute bekannt wurde soll es eine Gegenkandidatin geben. Leider kennt die ausserhalb ihres Wahlkreises kein Mensch. Ihre Chancen liegen also in etwa so hoch wie die der Partei Bibeltreuer Christen den Bundeskanzler zu stellen.

            • Alfons Van Compernolle

              Meine Gesundheit laest zur Zeit keine langen Computerzeiten zu, Entschuldigung !
              Nahles ist eine Person, die bisher OHNE Ausnahme aus eigener Machtgeilheit an jeder , ausnahmslos jeder Intrige gegen einen Vorsitzenden mit gesponnen hat. Nahles ist ein Charakter von ich auch oeffentlich und auf jeden Parteitag immer wieder warne, Nahles wuerde jeden, auch ihren Ehemann, verkaufen / verraten zur Seite schieben, wenn es ihre politische Machtposition festigt. Nahles in der SPD ist eine Gefahr fuer das Allgemeinwaohl der Partei. Olaf Scholz oder Stegner, waeren sehr gut
              sachkundige Charaktermenschen fuer diesen Job !!!!!!!

    • Alfons Van Compernolle

      E.A: Ich weiss nicht, ob Sie (auch) mich meinen. Sie koennen aber sicher sein, dass ich Sozi bleibe, wie meine Familie seit 1868 Sozis waren / blieben ! Ich bin auch kein Feind der Sozialdemokratie, wenn auch mit der heutigen Politik meiner Partei, die ihre Wurzeln und Waehler scheint vergessen zu haben, nicht einverstanden bin !! Zur Sozialdemokratie , die , wenn sie denn einmal wieder ihr Parteiprogramm nach den Sorgen & Noeten ausrichtet, gibt es keine Alternative. Wenn ich auch waehrend meiner beruflichen Laufbahn, zur sehrviel besser verdienenden Mittelschicht gehoert habe und heute doch eine gute Rente beziehe, sehe ich eine auf seine Grundwerte beruhende Sozialdemokratie als einzig moeglihe Loesung zur steigenden Armut in Europa, an!

  1. Polarlicht

    Welch ein erbärmliches Bild ! Peinlich , wie sich Deutschland hier darstellt! Wie in einer amerikanischen Serie : der Denver Clan! Macht und Posten geschacher… der Fremdschämfaktor ist exorbitant gewachsen

    • Peinlich , wie sich Deutschland hier darstellt!

      @ Polarlicht

      Nicht Deutschland stellt sich so dar sondern die Politik. Das ist kein rein deutsches Phänomen, in der einen oder anderen Form taucht es überall auf.

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