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Freiluftbad und Velo: Ein Germanistik-Professor bringt das erste Wörterbuch zu Deutsch in Luxemburg heraus

ARCHIV - 19.05.2022, Luxemburg, Esch sur Alzette: Heinz Sieburg, Germanistik-Professor, sitzt in einer Bibliothek der Universität im luxemburgischen Esch/Alzette. (zu dpa «Freiluftbad und Velo: Erstes Wörterbuch zu Deutsch in Luxemburg») Foto: Birgit Reichert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die meisten Luxemburger können auch Deutsch. Über die Jahre hat sich das Deutsche in Luxemburg aber anders entwickelt als in Deutschland. Ein Germanistik-Professor bringt nun ein Wörterbuch dazu heraus.

Die Vakanz sind die Ferien, das Velo ist das Fahrrad und das Freiluftbad ist das Freibad: Das Deutsch, das in Luxemburg gesprochen wird, ist ein bisschen anders als das Deutsch, das man in Deutschland kennt.

„Man kann sagen: Es gibt eine eigenständige Varietät des Deutschen in Luxemburg“, sagt Germanistik-Professor Heinz Sieburg an der Universität Luxemburg in Esch an der Alzette. Die Besonderheiten betreffen vor allem den Wortschatz.

Ein Zug passiert eine Brücke in Luxemburg-Stadt. Foto: Shutterstock

Rund 1.300 Stichwörter hat der gebürtige Bonner in Recherchen über die vergangenen gut zehn Jahre zusammengetragen. Dabei stellte er fest: „Der französische Einfluss ist ein Stück weit mit prägend für die besondere Ausgestaltung der deutschen Sprache in Luxemburg.“

Sein Überblick zu Wörtern aus Alltag, Politik und Verwaltung findet sich im ersten Wörterbuch zum „Luxemburger Standarddeutsch“, das Mitte Oktober im Dudenverlag erscheint. Es greift auch die aktuellsten Entwicklungen der Gegenwartssprache auf, wie eine Sprecherin des Verlags in Berlin sagt.

Da gibt es Wörter, die leicht als französische Lehnwörter ausgemacht werden können – wie Rentrée für die Rückkehr der Schüler nach den Ferien oder Chamber für das Parlament. „Dass Sprachen aus anderen Sprachen entlehnen, ist der Normalfall“, sagt Sieburg. Auch im bundesrepublikanischen Deutsch seien französisch beeinflusste Wörter wie Déjà-vu, Büro, Balkon oder Parfüm heute gang und gäbe. Während das „deutschländische Deutsch“ heute aber eher angloamerikanisch beeinflusst werde, laufe in Luxemburg – das an Frankreich grenzt – der französische Lehneinfluss weiter.

Im Wörterbuch gibt es auch Begriffe, die sich für Nicht-Luxemburger nicht sofort eindeutig erschließen: Zum Beispiel Gemeindemutter für Bürgermeisterin, Körperdurchsuchung für Leibesvisitation oder Autonomie für die Reichweite oder Ladeleistung eines Akkus.

28.10.2021, Luxemburg, Esch/Alzette: Eine Studentin geht an modernen Gebäuden am Universitätsstandort Esch-Belval vorbei. Foto: Harald Tittel/dpa

Es gibt auch Wörter, die man erahnt: Freiluftbad für Freibad, Parking für Parkplatz und Caddie für Einkaufswagen. In Luxemburg „nimmt man auch Notizen“, und macht sie nicht. Und sanitäre Vorsichtsregeln in Pandemiezeiten heißen auch mal Barrieregesten.

Nach Ansicht von Sieburg ist es wichtig, das Deutsche in Luxemburg als gleichberechtigte Normvariante wertzuschätzen. Und nicht, wie es teils in Luxemburg passiere, Unterschiede „als Fehler“ zu betrachten. Wenn durch das Wörterbuch im Großherzogtum eine Sprachdebatte angeregt werde: „Dann ist das gut aus meiner Sicht“, sagt der Professor für germanistische Linguistik und historische Sprachwissenschaft des Deutschen sowie germanistische Mediävistik.

Seit den Anfängen der Universität in Luxemburg im Jahr 2003 lehrt er im Großherzogtum, er leitet am Standort Esch mehrere germanistische Studiengänge mit insgesamt rund 100 Germanistik-Studierenden.

Deutsch ist in Luxemburg eine gängige Sprache. Kinder lernen in der Schule Lesen und Schreiben auf Deutsch – und benutzen es oft als Unterrichtssprache. Neben Luxemburgisch und Französisch ist Deutsch Verwaltungssprache – und bevorzugte Sprache der Printmedien. Das Großherzogtum ist mit seinen rund 630.000 Einwohnern das zweitkleinste Land der EU.

08.08.2021, Luxemburg, Wemperhardt: Grenzschild „Luxembourg“ an der deutsch-luxemburgischen Grenze und ein Schild mit den Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Straßen für Luxemburg. Foto: Horst Galuschka/dpa

Die Mehrheit der Luxemburger spricht nach Angaben der Regierung vier Sprachen, der Anteil der ausländischen Einwohner liegt bei fast 50 Prozent. Laut einer Studie des Bildungsministeriums (2018) sprechen 98 Prozent der luxemburgischen Bevölkerung Französisch, 80 Prozent Englisch und 78 Prozent Deutsch. Luxemburgisch wird von 77 Prozent der Bevölkerung gebraucht.

Auch wenn Luxemburgisch Nationalsprache ist, sei doch auch Deutsch Teil des Sprach- und Kulturerbes des Landes, sagt Sieburg. Vielen sei nicht bekannt: „Die Anfänge der Schriftlichkeit des Deutschen sind in Luxemburg zu finden.“ Es handele sich um handschriftliche Einträge (Glossen) aus dem achten Jahrhundert, die in der Benediktinerabtei Echternach entstanden. „Von da an gab es eine kontinuierliche Deutschsprachigkeit, die sich auch ablesen lässt in Urkunden und in der Literatur“, erzählt er.

Auch in Österreich und in der Schweiz habe sich das Deutsche teils unterschiedlich entwickelt. So hießen im österreichischen Deutsch Schlagsahne Schlagobers und Tomaten Paradeiser. „Das sind auch keine Abweichungen von einem ‚Monostandard‘, der in Deutschland gesetzt wird, sondern Standard-Varianten“, sagt der Professor. Heute sei man weg von der Idee: „Es gibt ein Binnendeutsch und drumherum irgendwie so komisches Randdeutsch.“ Für das Deutsche in Österreich und in der Schweiz sind bereits ähnliche Wörterbücher (Duden) erschienen.

18.10.2021, Berlin: Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel spricht auf einer Pressekonferenz. Foto: Michael Sohn/AP Pool/dpa

Die Sprecherin des Dudenverlags sagt: „Als Nachschlagewerke für die nationalen Varianten des Deutschen sind die Wörterbücher sehr relevant sowohl für Schreibende und Sprechende in den jeweiligen Ländern als auch in Deutschland.“ Beide bisherige Bücher für Österreich und die Schweiz würden immer wieder aktualisiert und erweitert. „Und sie sind weiter nachgefragt.“ Sieburgs Buch sei das erste Wörterbuch, das ausschließlich und umfangreich das Deutsch in Luxemburg zeige.

Sieburg hat Begriffe in seinem Wörterbuch erst aufgenommen, wenn sie mehrmals regelmäßig in verschiedenen Zeitungen erschienen. „Es muss ja standardisiert sein und keine Eintagsfliege“, sagt er. Mit dem Buch wolle er auch dazu beitragen, dass Nicht-Luxemburger die Begriffe nachschlagen und verstehen könnten. „Es geht auch darum, Missverständnissen vorzubeugen.“

Als Beispiel nennt er das Wort Rendezvous, das in Luxemburg für jede Art von Treffen benutzt wird. „Man hat auch ein Rendezvous mit einem Arzt“, sagt Sieburg. (dpa)

12 Antworten auf “Freiluftbad und Velo: Ein Germanistik-Professor bringt das erste Wörterbuch zu Deutsch in Luxemburg heraus”

    • Yves Martens

      Auf Deutsch heißt es „Clerf“, auf Französisch „Clervaux“ und auf Luxemburgisch entweder „Cliärref“ (Bezeichnung der Einwohner der Stadt bzw. des Nordens) oder Klierf (Bezeichnung der anderen Luxemburger, speziell weiter südlich). Clerve und Cliävre benutzt hier kein Mensch. Gruß aus dem schönen Clerf!

  1. Linguist

    „Clerf“ ist doch nur die phonologische schwache (stimmlose) Form von „Clerve“ (v = stimmhaft). Die Frage lautet: Wie wird es, wenn überhaupt, GESCHRIEBEN? Die Schreibweise wäre maßgebend.
    Das Phänomen (stimmhaft-stimmlos) ist zBsp typisch für das belgische Französisch, bei einem auslautenden „v(e)“ das zu „f“, phonetisch, wird: une [larf] anstatt [larV] – für „larve“. Anderes Beispiel: [herf] anstatt korrekt [herv] für Herve.
    Das ist einer der Hauptgründe weshalb das belgische Französisch nicht so präzise ist und auch nicht so „schön“ wie das französisch in Frankreich klingt. Die Potentialitäten der Sprache sind in Belgien dadurch gemindert. Gleiches gilf für die beiden anderen Landessprachen; sie werden nicht korrekt ausgesprochen und deshalb wir ihr Spektrum reduziert.

  2. Gastleser

    Merci!
    Eigentlich ein lustiger Dialekt, aber mir geht die Vehemenz auf den Sack.
    Selbst Amtsschreiben werden gerne damit verhunzt, telefonisch ist es eben so schlimm.
    Dann will ich auch jedes Schreiben auf Platt beantworten dürfen.
    Ich arbeite dort und kein Mensch redet so, wie es auf den Schildern/Schreiben ausgedrückt wird.
    Es kommt mir immer etwas vor wie „les stis“…

    • delegierter

      du schreibst “ du arbeitest dort „, hast du denn noch nicht gemerkt, dass in den Betrieben kaum noch Letzeburger arbeiten ? Ich habe auch 40 Jahre dort gearbeitet und zu Anfangszeiten waren wir als Ostbelgier noch Exoten. Das wurden aber im Laufe der Jahre immer mehr, weil die Letzeburger immer mehr
      öffentliche Stellen annahmen ( Gemeng, SEO, SIDEN, SIDEC, PCH,CFL, …).

    • Lëtzebuerger Jeck

      Ech hu‘ gär méng Hänn dreckeg ze maachen, fir dech zr schloen.
      Wann Dir ze domm sidd fir d’Sue soss anzwousch ze verdéngen, da bleift doheem.
      Et ginn net vill Lëtzebuerger, mä‘ et gëtt genuch Auslänner.

  3. Luxemburgisch mag zwar als Dialekt anmuten, aber die Verbreitung, die im administrativen, schulischen, … Kontext mündlich und schriftlich festzustellen ist, trennt es dann doch ab von vielen anderen Varietäten ab. Zudem ist das Luxemburgische mittlerweile institutionalisiert und standardisiert (Lexika, Unterrichte, Grammatik, Rechtschreibung, …). Es gibt also ein Standard-Luxemburgisch und davon ausgehend im ganzen Land wieder Varietäten. Man kann aus vielen Gründen also durchaus behaupten, dass Luxemburgisch eine Sprache ist. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht trifft das ob vieler Faktoren und erfüllter Bedingungen auf jeden Fall zu. Natürlich: Auf dem Bau und im Büro mag es schwinden. Das ist aber auf mehrere Faktoren zurückführbar (Pendlerverkehr, Arbeitssituation, Wirtschaftsstandort, …) und ist ein Phänomen, das vor allem, aber eben nicht nur in Luxemburg festzustellen ist.

    Sieburg und die gesamte germanistische Fachschaft in Luxemburg/Belval ist sehr aktiv auf diesem Feld des Sprachvergleichs und der Multi- und gewissermaßen auch der Interlingualität. Das war während der Studienzeit dort stets auf spannende Art und Weise spürbar. In diesem Zusammenhang kann auch auf das Projekt „Lingscape“ unter Leitung von Dr. Christoph Purschke (ebenfalls Uni Luxemburg) verwiesen werden, in dessen Rahmen Mehrsprachigkeit auf Schildern, Texten und Werbungen im öffentlichen Raum durch „Citizen Science“ untersucht und ausgewertet werden. https://lingscape.uni.lu/
    Sehr spannendes Forschungsgebiet, für das Luxemburg und Ostbelgien höchst interessante Regionen darstellen.

    Traurig (aber wieder einmal typisch für OD), dass die Kommentare hier wieder einmal in Richtung Stammtisch und Populismus abdriften. Aber was will man auch hier erwarten…

  4. Gastleser

    Das meinte ich…
    Wenn sprechen und schreiben klappt, könnte man ja mal über Steuern reden.
    Immer wieder schön wie gern ihr euch habt – 10 Firmen Teilen sich ein Büro und einen Briefkasten…

  5. Gastleser

    Irgendwann merkt ihr auch das man das Schwarzgeld nicht essen kann, ansonsten habt ihr eh nichts.
    Schnaps und Kartoffeln kann jedes andere Land genauso gut.
    Absehbar ist es nicht mehr interessant in Luxemburg zu arbeiten, die Spritkosten lohnen die Anfahrt von illegalen osteuropäischen Arbeitern nicht mehr -viele bleiben schon in Polen, Ungarn, …fast auch nicht von Ostbelgien …

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