Engel konnte er genauso überzeugend spielen wie Teufel. Bruno Ganz glänzte in nahezu allen Bühnen- und Filmrollen. Und fast wäre er auch als Verführer von Julia Roberts in die Film-Annalen eingegangen.
Den Tod hat Bruno Ganz oft gespielt. Auf der Bühne in klassischen Dramen ebenso wie vor der Filmkamera. „In Sterberollen lernt man, dass es einem nicht hilft, sich auf den eigenen Tod vorzubereiten“, sagte er einst im Interview der „Zeit“.
Am Samstag ist der Schweizer Schauspieler, der mit seinem gespenstischen Auftritt als Adolf Hitler weltweit Aufsehen erregt hat, im Alter von 77 Jahren in seiner Heimatstadt Zürich gestorben. Er erlag in den frühen Morgenstunden im Kreise seiner engsten Familie seiner Krebserkrankung, wie seine Agentin Patricia Baumbauer mitteilte. Bis zuletzt habe Bruno Ganz „intensiv und voller Freude an Projekten gearbeitet“, sagte Baumbauer.
Mit ihm hat die Film- und Theaterwelt einen ihrer größten Mimen, Europa einen seiner renommiertesten Film und Bühnenschauspieler verloren.
Ganz war seit mehr als 20 Jahren Träger des Iffland-Rings. Die Auszeichnung wird von ihrem Träger jeweils im Testament an den seiner Ansicht nach würdigsten Bühnenkünstler des deutschsprachigen Theaters auf Lebenszeit weitergereicht. Ganz hatte den nach dem Schauspieler und Theaterdirektor August Wilhelm Iffland benannten Ring 1996 von Josef Meinrad erhalten.
Ganz spielte oft politische Rollen. 2017 etwa verkörperte er in der Verfilmung des Eugen-Ruge-Romans „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ einen fast 90-jährigen DDR-Funktionär. Welterklärer wollte er aber nicht sein, wie er der „Neuen Zürcher Zeitung“ 2017 sagte: „Es ist mittlerweile so üblich geworden, dass Schauspieler immer über das Welträtsel befragt werden und ihre Meinung zum Besten geben. Und irgendwie ödet mich das an.“
Der vielfach Ausgezeichnete war auf der Bühne Tasso, Hamlet, Odysseus, Prometheus, Faust oder Ibsens Bauernsohn Peer Gynt. Beim Theaterpublikum vor allem durch seine Arbeit mit Peter Stein an der Schaubühne in Berlin längst hoch geschätzt, wurde der Schweizer mit Wim Wenders‘ „Der amerikanische Freund“ 1977 auch als Filmschauspieler bekannt. Mehr als 80 Filme drehte er, zuletzt in dem Horror-Thriller „The House that Jack Built“ von Lars von Trier, der im Mai 2018 beim Filmfestival in Cannes uraufgeführt wurde.
Verstörend, unheimlich und gleichzeitig lebensecht
In Werner Herzogs „Nosferatu“ war er das Dracula-Opfer Jonathan Harker. Eindrucksvoll auch seine Darstellung eines von Selbstzweifeln geplagten Kriegsberichterstatters in Volker Schlöndorffs „Die Fälschung“ (1981).
Kritiker und Publikum begeisterte der Mann mit den freundlichen Augen bei oft grüblerischer Mimik 1987 auch im Wenders-Film „Der Himmel über Berlin“. Die beiden verband eine tiefe Freundschaft. Unvergesslich sein Engel Damiel, der aus Zuneigung zu den Menschen auf seine Unsterblichkeit verzichtet.
Die erlangte Ganz für sich als Schauspieler zweifellos 2004 in der Rolle des Adolf Hitler in „Der Untergang“ von Bernd Eichinger (Drehbuch) und Oliver Hirschbiegel (Regie). Ganz gab den Nazi-Diktator verstörend, unheimlich und gleichzeitig lebensecht und nachvollziehbar.
Beigetragen hat sicher, dass es den Maskenbildnern nicht schwer fiel, Ganz tatsächlich wie Hitler aussehen zu lassen. Ihn habe es „umgehauen, wie sehr ich Hitler ähnlich sah“, sagte der Schauspieler am Rande der Dreharbeiten. „Wenn ich ein Deutscher wäre, könnte es gut sein, dass ich das nicht spielen würde.“
Dass er es überhaupt konnte, dass Ganz die Gestalt, die der Welt als Verkörperung des Bösen gilt, glaubwürdig als den „Menschen Hitler“ ohne irgendeine Spur von Effekthascherei geben konnte, zeugte von grandiosem handwerklichen Können.
“Wenn ich eine Rolle einschätze und mir vorstelle, was dieser Mensch in dieser Situation empfindet, was er tut, wie er redet, denke ich nicht an den Effekt“, sagte Ganz 2010 der „Zeit“. „Ich würde mich niemals vor einen Spiegel stellen und gucken, was mein Spiel für eine Wirkung haben könnte.“
Schauspielerei statt Abitur
Die Schauspieler-Karriere wurde ihm nicht in die Wiege gelegt. „Als Junge war ich krankhaft schüchtern“, erzählte er in seinen späteren Lebensjahren. Ein Lehrer hatte seinen Eltern – der Vater war Arbeiter, die Mutter stammte aus einer äußerst armen Familie in Oberitalien – erklärt, Bruno sei „zurückgeblieben“. Weil er lieber aus dem Fenster schaute und träumte, blieb er sitzen und machte nie das Abitur. Dafür entdeckte Ganz die Schauspielerei: bei seinem ersten Bühnenauftritt im Konfirmationsunterricht.
Das Zürcher Schauspielhaus zog ihn magisch an. Ein befreundeter Beleuchter verschaffte ihm Zutritt. Der Wunsch, selbst auf der Bühne zu stehen, wuchs beim Zuschauen von Mal zu Mal und führte ihn schließlich – über Abendkurse am Zürcher Bühnenstudio und gelegentlichen Schauspielunterricht – 1962 ans Theater in Göttingen, wo sich auch schon Götz George seine Sporen verdient hatte.
Ganz blickte 2017 zufrieden auf seine Karriere zurück: „Wenn man so eine Arbeit gefunden hat, dann ist das schon ein Geschenk“, sagte der der „NZZ“. „Ich habe die Zeit gut verbracht.“ Er bereue seine Alkoholexzesse. Mit Anfang 60 habe er aufgehört zu trinken. „Ich bin froh, dass sich die Menschen, die mir nahestehen, nicht mehr mit dem betrunkenen Bruno Ganz quälen müssen.“
In zwei späteren Welterfolgen hat er die Hauptrollen verpasst: Steven Spielberg habe ihn für „Schindlers Liste“ (1993) nicht genommen, weil er ihm ein „furchtbar schlechtes Video“ geschickt hatte, wie in 2017 in einem Interview sagte. Bei „Pretty Woman“ (1990) sei er für die Rolle im Gespräch gewesen, mit der Richard Gere an der Seite von Julia Roberts zum Weltstar aufstieg.
Seit „Der Untergang“ hatte sich Ganz vor Rollenangeboten aus aller Welt kaum retten können. Doch er blieb wählerisch, spielte, worauf er wirklich Lust hatte – darunter mit Liam Neeson den Hollywood-Thriller „Unknown Identity“ (2011).
Auch wenn Ganz abwechselnd in Berlin, Venedig und Zürich lebte, blieb er seiner Heimat immer treu. Auch als Schauspieler: 2014 gab er mit Bravour für eine Neuverfilmung die Schweizer Altherren-Paraderolle – den Großvater des Alpenmädels Heidi. „Den Alpöhi zu spielen“, sagte er augenzwinkernd Reportern des Schweizer Fernsehens, „ist doch eine patriotische Pflicht“. (dpa)
Im Sommer 2018 sollte Ganz bei den Salzburger Festspielen in der Inszenierung der Mozart-Oper «Die Zauberflöte» die Rolle eines Erzählers übernehmen – doch dazu kam es nicht mehr: Aus gesundheitlichen Gründen musste er absagen.