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Bomber und Liebling der Nation: Gerd Müller wird 75 – Seine schwere Erkrankung berührt die Fußballwelt

27.02.2000, Bayern, München: Der ehemalige FC Bayern-Spieler Gerd Müller hält auf dem Festakt zum 100-jährigen Bestehen des Vereins seine Frau Uschi im Arm. Foto: Peter Kneffel/dpa

Es ist die Zeit runder Geburtstage von einigen der größten Fußballstars: Nach Franz Beckenbauer (75 Jahre seit dem 11. September), Pelé (80 seit dem 23. Oktober) und Diego Maradona (60 seit dem 30. Oktober) wird an diesem Dienstag Gerd Müller 75 Jahre alt. Seine schwere Erkrankung berührt die Fußballwelt.

Die Wohlfühlzone im Leben von Gerd Müller umfasste exakt 665,28 Quadratmeter. Denn als Fußballer war der nur 1,76 Meter große Stürmer der König des Sechzehnmeterraums. Wenn der „Bomber der Nation“ in Tornähe an den Ball kam, hat es meistens Bumm gemacht.

Kein deutscher Angreifer vor und nach ihm erreichte seine Klasse. Keiner erzielte so viele Tore. Es müllerte in praktisch jedem Spiel.

23.08.2003, Nordrhein-Westfalen, Köln: Der ehemalige deutsche Fußball-Nationalspieler Gerd Müller hält nach der Jubiläumsveranstaltung „40 Jahre Bundesliga“ im Coloneum einen goldenen Fußballschuh. Foto: picture alliance / dpa

Der Strafraumstürmer Müller erledigte seinen Job in den Stadien auf unnachahmliche Weise: Er traf blitzschnell aus der Drehung, im Fallen und im Sitzen, mit links oder rechts und mit dem Kopf. Ganz egal. Der Sechzehner war sein Reich. Am Dienstag (3. November) wird Müller 75.

„Gerd Müller war der allergrößte Stürmer, den wir in Deutschland hatten“, sagte Bundestrainer Joachim Löw zum 70. Geburtstag des Torjägers. Dieses Urteil gilt auch fünf Jahre später.

Schon der damalige Ehrentag des Weltmeisters (1974), Europameisters (1972) und des mit Abstand erfolgreichsten Torschützen der Bundesliga (365 Tore in 427 Partien) musste ohne große Feierlichkeiten begangen werden. Der traurige Grund: Gerd Müller ist an Alzheimer erkrankt. Er lebt seit Jahren im Pflegeheim. Dort wird er professionell betreut.

Bei der heimtückischen Erkrankung geht das Gedächtnis verloren. Das Wesen des Betroffenen verändert sich. Der FC Bayern hatte die schwere Erkrankung wenige Wochen vor Müllers 70. Geburtstag publik gemacht, auch zum Schutz der Familie vor unzähligen Medienanfragen. Das Schicksal des von vielen nur „Bomber“ genannten Müller hat über die Fußballszene hinaus viele Menschen in Deutschland berührt.

26.05.1972, München: Beobachtet von seinem Sturmgefährten Jupp Heynckes (M) erzielt der deutsche Stürmer Gerd Müller (l, vorn) die 1:0-Führung im Fußball-Länderspiel gegen die UdSSR vor 80.000 Zuschauern im neueröffneten Olympiastadion. Foto: dpa

Fußball-Idol Uwe Seeler, gerade 83 Jahre alt geworden und in der Nationalmannschaft lange Sturmkollege Müllers, sprach von Traurigkeit. Uli Hoeneß nannte das Los des alten Kameraden furchtbar. Für den Vereinspatron war „der Gerd“ stets mehr als ein großartiger Fußballer. Er sei vor allem „ein feiner Mensch“.

Hoeneß, der in den großen Bayern-Zeiten in den 1970er Jahren an der Seite Müllers stürmte, zählte zu denen, die auch in der größten Lebenskrise des sportlich so erfolgreichen Profis da waren und entschlossen halfen. Denn das Leben abseits des Rasens beherrschte Müller nicht derart wie den Ball und die Vorstopper im Strafraum.

Der Sieg über seine Alkoholkrankheit Anfang der 1990er war der vermutlich wichtigste im Leben des gelernten Webers aus Nördlingen. „Nach vier Wochen bin ich aus der Kur gekommen. Es in so kurzer Zeit zu schaffen, das war schon eine Leistung“, erzählte Müller bei einem Treffen im Herbst 2007 in München mit Stolz. Damals wirkte er als Co-Trainer der Bayern-Amateure an der Seite von Hermann Gerland.

Weltmeister wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller oder Toni Kroos profitierten von seinem Erfahrungsschatz. Es war eine Aufgabe, die den bodenständigen Müller ausfüllte, glücklich und zufrieden stimmte. „Der Verein ist alles für mich“, sagte er damals.

Gerd Müller (rechts, hier 1976 in einem Spiel gegen Hertha BSC im Münchner Olympiastadion) stellte zwischen 1965 und 1979 als Mittelstürmer des FC Bayern einen Rekord für die Ewigkeit auf. Müller brauchte nur 427 Spiele für 365 Tore und erreicht damit einen unglaublichen Schnitt von 0,85 Treffern pro Spiel. Foto: dpa

„Ohne diese Tore, diese Konstanz, diese Schlitzohrigkeit im Strafraum würde es den FC Bayern so vielleicht nicht geben“, sagte Namensvetter Thomas Müller in dieser Woche. Er selbst habe den Bomber „leider nie live spielen sehen“, schilderte der Bayern-Müller der Gegenwart. Aber er habe trotzdem „sehr viel mitnehmen“ können aus der Zusammenarbeit mit Gerd, dem Großen, damals beim FC Bayern II. „Man kann Gerd Müller beim FC Bayern nicht hoch genug heben“, findet Thomas Müller.

Trotz Franz Beckenbauer, trotz Uli Hoeneß – den steilen Aufstieg zur Nummer 1 im deutschen Vereinsfußball hatte der FC Bayern besonders Müllers Toren zu verdanken. „Was der FC Bayern heute darstellt, mit diesem Palast an der Säbener Straße – ohne Gerd Müller wären die Leute da immer noch in dieser Holzhütte von damals“, lautet ein Satz, mit dem der kürzlich 75 Jahre alt gewordene Beckenbauer gerne Müllers Bedeutung beschreibt: „In meinen Augen ist er der wichtigste Spieler in der Geschichte des FC Bayern.“ Beckenbauer nennt Müller ein „Phänomen“. Als Zimmerkollege „war Gerd wie ein Bruder für mich“.

Das Einzigartige hat auch Weltmeister Miroslav Klose stets betont. Als er Müller kurz vor der WM 2014 in Brasilien nach 40 Jahren als Rekordtorjäger der Nationalelf ablöste, sagte Klose: „Gerd Müller darf man mit keinem anderen Stürmer vergleichen.“ Klose zeichnet eine feine Eigenschaft aus, die auch Müller innewohnt: Bescheidenheit.

Der heutige Assistent von Bayern-Coach Hansi Flick führt die DFB-Rangliste mit 71 Treffern an. Klose benötigte für die Bestmarke aber 137 Länderspiele. Müller traf in nur 62 Partien für Deutschland 68 Mal – eine phänomenale Quote von 1,1 Treffern pro Einsatz.

07.07.1974, Berlin Sportarchiv: Der Deutsche Gerd Müller jubelt mit Bundestrainer Helmut Schön (l) über den Sieg im WM-Finale Deutschland gegen die Niederlande bei der Fußball-WM. Foto: picture alliance / Karl Schnörrer/dpa

Das Tor für die Ewigkeit schoss er am Ende seiner viel zu früh beendeten DFB-Karriere. Im WM-Finale 1974 erzielte er im Münchner Olympiastadion das 2:1 gegen die Niederlande. „Ich habe schönere Tore gemacht, aber das wichtigste war dieses Weltmeistertor“, sagte er.

Wenn Müller nach seiner Karriere, die 1982 unrühmlich in den USA ausgeklungen war, seinen Nachfolgern zusah, stellte er sich die immer gleiche Frage, wenn ein Schuss oder Kopfball nicht im Tor landete. „Hättest du den reingemacht?“ Vermutlich ja. Müllers 40 Tore in der Saison 1971/72 sind immer noch Bundesligarekord; unangetastet auch von Robert Lewandowski, Bayern Münchens Tormaschine der Gegenwart.

Der ehemalige Bayern-Profi und heutige Münchner Chefcoach Hansi Flick kennt Müller auch schon lange. Er hat mit Müller früher auch mal Tennis gespielt, wie Flick in diesen Tagen erzählte. Für den heute 55-Jährigen war der „Bomber“ das „absolute Idol“ der Kindheit: „Das war der geilste Kicker, weil er einfach vorne die Tore gemacht hat.“

Als Müller 1964 als 18-Jähriger vom schwäbischen Amateurligisten TSV 1861 Nördlingen zum FC Bayern wechselte, wurden seine Tore mit einem Grundgehalt von 160 Mark im Monat entlohnt. Heutzutage würde er mit Millionen Euro überschüttet. Doch ein Profileben in Zeiten von Twitter, Facebook, Instagram und täglichem Medienrummel wäre für Müller garantiert eher ein Gräuel als ein Glücksfall gewesen.

Müller war ein Weltstar, aber keiner für Glamour und Rote Teppiche. Schlagzeilenträchtige Interviews bekamen Reporter von ihm eher nicht. „Den Franz“ beneidete er nie um dessen Status als Lichtgestalt. Beckenbauer hetzte auch nach der Spieler-Karriere weiter um die Welt. „Ich bin keiner, der gerne weg von zu Hause ist“, sagte Müller, als es ihm noch besser ging. Auf Champions-League-Reisen des FC Bayern ließ er sich von seinem Herzensclub als Attraktion für Sponsoren und Edelfans einspannen. Das genügte einem wie ihm an Aufmerksamkeit. (dpa)

11 Antworten auf “Bomber und Liebling der Nation: Gerd Müller wird 75 – Seine schwere Erkrankung berührt die Fußballwelt”

  1. Vivat Gerd

    Jammerschade das mit seiner Krankheit! Einen solchen gibt’s nie wieder. Ein Glück für ihn war, das seine Kumpels ihn damals aus dem Schlamm zogen. Sie stehen heute noch immer an seiner Seite! Uli, Franz, Sepp, Katsche u a. Mia san Mia!

  2. Wieso zwiespältiges Verhältnis? Ich fand die deutsche Mannschaft immer Top. Besonders die Teams der 70er und 80er und da war Müller der größte. Nicht um sonst standen die deutschen so oft im Finale, gekrönt mit 4 Sternen.

    • Ostbelgien Direkt

      @Törö: Das muss ja nicht unbedingt auf Sie persönlich zutreffen. Dass aber in Ostbelgien viele Fußballfans (nicht alle) ein zwiespältiges Verhältnis zur deutschen Nationalmannschaft und zu deutschen Nationalspielern hatten und vielleicht auch noch haben, steht außer Frage. Das ist aber auch nicht weiter verwunderlich. Oft ist es sogar so, dass viele Ostbelgier einerseits Fan einer Bundesliga-Mannschaft sind, andererseits aber bei EM und WM der belgischen Nationalmannschaft die Daumen drücken. Käme es zu einem Spiel Belgien-Deutschland, würden wohl die allermeisten Ostbelgier mit den Roten Teufeln halten, auch wenn sie ansonsten Fan von Gladbach, Köln, Dortmund, Schalke oder Bayern sind. Deshalb „zwiespältig“… Ist aber in Wirklichkeit ein alter Hut. Gerd Müller aber, und darum ging es hier und heute, den fanden alle bewundernswert, genauso wie noch früher Uwe Seeler. Gruß

      • Da stimme ich Ihnen schon zu. Es ist halt so, dass meine Generation mit Müller, Beckenbauer, Rumenigge und Mathäus aufgewachsen sind. Die roten Teufel waren da nicht so beliebig. Dies hat sich heute schon geändert. Die roten Teufel hatten die letzten Jahre ein wirklich gutes Team und ich würde mich über einen Titel sehr freuen aber mein Herz gehört, zumindest im Fußball, den Jungs mit dem Adler. Aber sonst wirklich ein lesenswerter Bericht!

          • Jean Marie Pfaff stimme ich zu, eine Legende. Aber zu dieser Zeit hatten die Teufel keine Schnitte. Trotzdem schön zu sehen, dass wir Fussballfans auch mit unterschiedlichen Farben gut und gerne gemeinsam diskutieren können. Freue mich auf die BL und die nächsten Spiele „unserer“ Teams.

              • Auch der Vereinsfußball hat uns damals auf europäischer Ebene immer wieder begeistert. Standard, Anderlecht und sogar winzige Clubs wie Waterschei, Winterslag oder Lokeren sorgten lange Jahre für Furore. Überhaupt war unser kleines Land in manchen Sportarten in den 70er- und 80er-Jahren weltklasse, wie Radsport oder Motocross. Damals wie heute schauten echte Belgier nach Belgien und waren stolz auf unsere Sportler.

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