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„In Deutschland beginnt die Ära Merkel ohne Merkel“: Pressestimmen zur Wahl von Armin Laschet zum CDU-Chef

16.01.2021, Berlin: Der unterlegene Friedrich Merz (r) gratuliert Armin Laschet zur Wahl als Parteivorsitzender beim digitalen Bundesparteitag der CDU. Foto: Michael Kappeler/dpa

Die Wahl Armin Laschets zum neuen Parteichef der CDU hat nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland viel Interesse geweckt.

Nachfolgend eine Reihe von Kommentaren zur Wahl des Ministerpräsidenten aus Nordrhein-Westfalen, zur Niederlage von Friedrich Merz und zu den Spekulationen über eine Kanzlerkandidatur von CSU-Chef Markus Söder.

Zum Ausgang der Wahl des neuen CDU-Vorsitzenden schreibt die regierungsnahe Budapester Tageszeitung „Magyar Nemzet“in einem Kommentar am Montag:

16.01.2021, Berlin: Der neue Parteivorsitzende Armin Laschet sitzt beim digitalen Bundesparteitag der CDU auf dem Podium und unterhält sich mit Yvonne Magwas. Foto: Michael Kappeler/dpa

„Die jeweilige Berliner Staatsführung ist sich über die Rolle Deutschlands in Europa im Klaren. Sie weiß, dass das, was für Europa gut ist, für Deutschland gut ist. (…) Man hat es dort mit Großmeistern der Kompromisssuche zu tun, den Ausbau pragmatischer Beziehungen hält man dort hoch in Ehren, sei es in Bezug auf die USA, China, Russland oder Ungarn. (…) Mit Laschet dürfte in Deutschland eine Merkel-Ära ohne Merkel kommen, zusammen mit deren kühlem Pragmatismus, Berechenbarkeit und Unaufgeregtheit.“

Ähnlich äußert sich die konservative Zeitung „Lidove noviny“ aus Tschechien:

„Charakteristisch für die Ära Merkel sind große Koalitionen, die es bis dahin nur ausnahmsweise gab. Wird diese Linie fortgeführt, wenn Angela Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin sein wird? Sicherlich haben die großen Koalitionen Deutschland besser durch verschiedene Erschütterungen wie die Finanz-, Migrations- und Corona-Krise geführt als andere Regierungen in anderen Ländern. Doch zugleich haben sie scharfe Debatten verhindert und die Opposition an den Rand gedrängt. Wenn Friedrich Merz den Kampf um die CDU-Spitze gewonnen hätte, dann hätte er diesen Trend unterbrechen und die Christdemokraten zum Erbe Helmut Kohls zurückführen können. Der Sieger und neue Parteivorsitzende Armin Laschet verkörpert indes eher eine Fortsetzung des ‚Merkelismus‘ ohne Merkel, also ein Festhalten am Status quo.“

Die britische „Financial Times“ kommentiert den knappen Sieg Armin Laschets gegen Friedrich Merz bei der Wahl des neuen CDU-Vorsitzenden wie folgt:

23.11.2019, Sachsen, Leipzig: Markus Söder, CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident von Bayern, spricht mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU,l) und Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesvorsitzende der CDU und Verteidigungsministerin, nach seiner Rede beim 32. CDU-Bundesparteitag. Foto: Michael Kappeler/dpa

„Die CDU und Deutschland – und tatsächlich auch Europa – sind besser dran ohne Merz als Anführer. Seine wirtschaftlichen und sozialen Ansichten stammen aus einer anderen Ära. Obwohl er weitgehend pro-europäisch ist, hätte eine von Merz geführte Wahlkampagne, bei der strenge fiskalische und geldpolitische Ansichten entfaltet würden, um Wähler der euroskeptischen nationalistischen AfD zurückzugewinnen, nichts Gutes bedeutet. Der frankophile Laschet könnte Merkels vorsichtigen pro-europäischen Kurs fortsetzen und möglicherweise die angespannten französisch-deutschen Beziehungen wiederbeleben. Doch zuerst muss Laschet sich das Vertrauen seiner Partei und des Landes verdienen. Er hat am Samstag eine unbequeme Wahrheit ausgesprochen: Viele Deutsche fühlen sich vor allem zu Angela Merkel und erst danach zur CDU hingezogen. Ohne sie sind der Erfolg der Partei und sein Erfolg keineswegs sicher.“

Die niederländische Zeitung „de Volkskrant“ beschäftigt sich mit den Chancen des neuen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet auf die Kanzlerkandidatur:

„Ob Laschet auch Kanzlerkandidat wird, hängt unter anderem von der Entwicklung der Corona-Pandemie, den Ergebnissen seiner Partei bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sowie davon ab, wie viel Lärm die benachteiligten Partei-Konservativen in den kommenden Wochen veranstalten. Und von den Ambitionen seiner Konkurrenten. (…) Doch es ist auch gut denkbar, dass Laschet nach dem bislang größten politischen Sieg seines Lebens das Podium nicht einfach so anderen überlässt. Darauf deutet die Geste vom Samstag in Richtung seines Rivalen Friedrich Merz hin, dem er eine wichtige Position versprach. Denn Laschet weiß, dass er die größte Chance hat, regieren zu können, wenn er den konservativen Flügel integriert.“

Zur Wahl Armin Laschets zum CDU-Vorsitzenden meint die belgische Zeitung „De Tijd“:

16.01.2021, Berlin: Der neue Parteivorsitzende Armin Laschet sitzt beim digitalen Bundesparteitag der CDU auf dem Podium. Foto: Michael Kappeler/dpa

„Laschet muss zunächst einmal in die Fußstapfen von Angela Merkel treten. Und das ist keine einfache Aufgabe. Nach 16 Jahren Kanzlerschaft hat sie der deutschen und europäischen Politik wie niemand sonst ihren Stempel aufgedrückt. Laschet ist der Merkel-Linie durchaus stets treu gefolgt. Der derzeitige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist ein typischer offenherziger Vertreter der politischen Mitte, der stärker an Konrad Adenauer und Helmut Kohl anschließt als Angela Merkel. Das rheinische Modell ist bei dem Rheinländer in guten Händen. Die Frage ist nur, ob das auch jeder noch haben möchte. Friedrich Merz, der den rechten Flügel der Partei repräsentiert, unterlag nur knapp. Gleich nach seinem Glückwunsch (an Laschet) kam er mit der Forderung nach einem Platz im Regierungskabinett. Das ist nicht allein eine unmögliche Forderung, sondern auch der Auftakt zu einem Streit innerhalb der CDU.“

Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentiert die Wahl Armin Laschets zum CDU-Vorsitzenden wie folgt:

„Mit Laschet bekam die AfD ihren Lieblingsgegner. Seine Wahl könnte sich als Aufforstungsprogramm für die rechte Opposition erweisen, die ihn als blauäugige Fortsetzung der Merkelschen Politik zeichnen wird. (…) Der neue Vorsitzende muss ein tiefsitzendes Misstrauen aus dem Weg räumen. Ein Politiker, dem mehrheitlich keine höheren Weihen zugetraut werden, ist keineswegs der natürliche Kanzlerkandidat. Kann Laschet die programmatischen Lücken einer zeitgeistig gewendeten CDU schliessen? Hat er ein Angebot für die Konservativen im Köcher? Er wäre klug beraten, die konservative Kernklientel, anders als Angela Merkel, nicht dauerhaft zu vergrätzen. Klar ist seit dieser Krönungszeremonie: Niemand sollte den Machtwillen Armin Laschets unterschätzen.“ (dpa)

Zum Thema siehe auch folgende Artikel auf OD:

4 Antworten auf “„In Deutschland beginnt die Ära Merkel ohne Merkel“: Pressestimmen zur Wahl von Armin Laschet zum CDU-Chef”

  1. Aus machtpolitischer Sicht läuft die Methode, sich überaus elastisch auf Entwicklungen einzustellen, den Konkurrenten die Themen zu klauen und sie in weichgespülter Form, zur Not konturenlos, zu bedienen, doch für die CDU seit vielen Jahren ziemlich gut. So bleibt man an der Macht, notfalls auch ohne klare Prinzipien.

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