Das Versteck des jüdischen Mädchens Anne Frank und seiner Familie vor den Nazis ist vermutlich von einem Notar verraten worden. Der Mann sei selbst Jude gewesen und habe damit das Leben seiner eigenen Familie retten wollen.
Das ist das Ergebnis der langjährigen Untersuchung, die ein internationales Team am Montag in niederländischen Medien präsentierte.
Es ist eines der großen Rätsel der Geschichte: Zwei Jahre lang lebten die Familie Frank und vier weitere Juden im Hinterhaus in Amsterdam im Versteck vor den deutschen Nazis. Doch am 4. August 1944 stürmte ein SS-Kommando das Haus.
Mehr als fünf Jahre war das internationale Cold-Case-Team (als „cold case“ wird ein ungeklärter, also „kalter“ Kriminalfall aus der Vergangenheit bezeichnet) nun der Frage nachgegangen: Wie wurde das Versteck an der Prinsengracht 263 bekannt? War es Zufall? War es Verrat?
„Wir haben insgesamt etwa 30 Theorien überprüft“, sagte der Journalist Pieter van Twisk, einer der Leiter der Untersuchung. „Wir können sagen, dass davon 27, 28 sehr unwahrscheinlich bis unmöglich waren.“
Die wahrscheinlichste Antwort ist: Notar Arnold van den Bergh habe den deutschen Besatzern eine Liste mit Verstecken von Juden in Amsterdam übergeben, um seine eigene Familie vor der Deportation zu bewahren. Und auf dieser Liste stand eben auch das Hinterhaus, in dem Anne Frank (1929 – 1945) ihr heute weltberühmtes Tagebuch geschrieben hatte.
Alle Bewohner wurden in Konzentrationslager deportiert. Anne starb im KZ Bergen Belsen 1945, sie war 15 Jahre alt. Nur ihr Vater Otto überlebte.
Die Untersucher stützen sich vor allem auf die Kopie eines anonymen Briefes, den Otto Frank 1946 bekommen hatte. Darin wird der Name des Notars genannt. Das Original des Briefes ist zwar verschwunden, im Amsterdamer Stadtarchiv hatte das Team nun aber die Kopie gefunden.
Der Notar war damals Mitglied des Jüdischen Rates, hatte daher viele Kontakte und war zunächst vor Deportation geschützt. Doch 1944 fiel dieser Schutz weg, und es drohte auch ihm, seiner Frau und den drei Töchtern die Deportation. Die Familie überlebte.
Keiner der Untersucher will ein Urteil über den Notar fällen. „Die einzig Schlechten waren die Nazis“, sagte der ehemalige Agent des amerikanischen FBI, Vince Pankoke, der maßgeblich an der Untersuchung beteiligt war, „ohne sie wäre das alles nicht geschehen.“
Auch die Anne Frank-Stiftung warnt vor zu schnellen Schlussfolgerungen. Direktor Ronald Leopold sagte dem Radio-Sender NPO1: „Man muss sehr aufpassen, bevor man jemanden in der Geschichte als Verräter von Anne Frank festschreibt, wenn man nicht zu 100 oder 200 Prozent sicher ist.“
Leopold lobte die „sehr gute und sorgfältige Untersuchung“. Aber wichtige Fragen seien noch offen: Wer hat den anonymen Brief geschrieben und mit welcher Absicht?
Für den ehemaligen FBI-Mann Pankoke war dies einer der schwierigsten Fälle seiner Laufbahn, wie er sagte. „Dies war kein Cold Case, dieser Fall war vereist.“ Zeugen waren längst gestorben, wichtige Dokumente unauffindbar. Das Team setzte modernste Techniken und Methoden ein. So wurde zum Beispiel eine gigantische Datenmenge mit künstlicher Intelligenz durchforstet.
Gewissheit gibt es aber 77 Jahre nach Kriegsende noch immer nicht, räumte auch Ermittler Pankoke ein. „Unsere Theorie hat aber eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 85 Prozent.“ (dpa)
Es scheint auch in diesem Jahrhundert so weiterzugehen wie nach den ersten Kriegsjahren. Anstelle die Verantwortlichen die sich wehemennt gegen eine “ Entnazifizierung “ einsetzten – federführend war die Kirche – endlich mal zu benennen und wenigstens moralisch an den Pranger zu stellen wird wiedermal dieses Thema außen vor gelassen.
Zig Tausende von denen die mitverantwortlich waren und um Nachhinein “ von nichts gewusst hatten “ sind – auch einige Hiesigen – nach erfülltem Leben „friedlich “ im Kreise ihrer Lieben mittlerweile verstorben.
Kleiner Einblick in die Geschichte einiger dieser „Gebeutelten“.
Internierungslager, Spruchkammern und Entnazifizierung, so hieß es bereits 1948, seien nichts anderes als „grausame Verfolgung, die selbst naziähnliche Methoden anwende, indem sie Menschen den Prozeß mache und sie in ‘Konzentrationslagern´ gefangenhalte“.[19] Das 1948 eingeleitete überstürzte Ende des Entnazifizierungsverfahrens in den Westzonen hatte in bezug auf die hier interessierenden NS-Eliten besonders groteske Auswirkungen. Der zunächst von den Besatzungsbehörden selbst durchgeführte und dann den Deutschen übertragene Versuch, alle NS-Belasteten zu überprüfen und notfalls zu bestrafen, blieb schon angesichts des schieren Umfangs der Aufgabe auf halbem Wege stecken, so daß die aus Praktikabilitätsgründen vorgezogenen „leichten“ Fälle zwar erledigt wurden, die zurückgestellten Fälle der Schwer- und Schwerstbelasteten aber entweder nicht mehr zur Verhandlung kamen oder mit lächerlich niedrigen Einstufungen versehen wurden.[20] Dem amerikanischen Intelligence Office fiel es nicht schwer, diese Entwicklung mit zahlreichen eindrucksvollen Beispielen zu illustrieren:
„Stellvertretender Gauleiter (britische Zone): fünf Jahre Haft, Anrechnung der bisherigen Internierung; … Gestapo-Beamter, tätig in Polen von 1939 bis 1945: 30 Monate Haft, Anrechnung der 26 Monate Internierung; Nazi-Ortsgruppenleiter, als ´fanatischer Nazi` bezeichnet: sechs Monate Haft; Gestapo-Funktionär, an Mißhandlungen politischer Gefangener persönlich beteiligt: 18 Monate Gefängnis.“[21] Das Verfahren hatte sich in sein Gegenteil verkehrt: Aus einer Prozedur zur Entfernung der Nationalsozialisten aus dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben war ein Verfahren geworden, durch das die einstigen Nazis das Stigma ihrer früheren Tätigkeiten loswurden. Nicht anders war die Entwicklung bei den Spruchgerichten in der englischen Zone. Die Angehörigen der Führungsspitze der NSDAP, der SS und der Sicherheitspolizei – vom stellvertretenden Gauleiter, Kriminaldirektor und Standartenführer an aufwärts – wurden im Durchschnitt zu 4.000 Mark Geldstrafe bzw. zwei Jahren Haft verurteilt, die auf die Internierungszeit angerechnet wurden.[22] Die Reaktionen der Betroffenen auf diese Entwicklung scheinen auf den ersten Blick paradox zu sein. Bereits in den Internierungslagern hatte sich gezeigt, daß diese über alle Erwartung milde Behandlung selbst von Schwerstbelasteten bei den Häftlingen nicht etwa zur Erleichterung oder gar Dankbarkeit gegenüber den so milde gesonnenen Besatzern führte, sondern im Gegenteil: Unruhe und Empörung nahmen in dem Maße zu, wie sogar hochrangige NS-Funktionäre mit geringfügigen Strafen davonkamen. Denn wenn selbst diese praktisch straffrei blieben – war dies nicht ebenso wie das unrühmliche Ende des Entnazifizierungsverfahrens ein Beweis dafür, daß ihnen nichts Schwerwiegendes hatte nachgewiesen werden können? Und waren damit nicht die Widersinnigkeit und Widerrechtlichkeit des ganzen Verfahrens geradezu bestätigt und die Parole von der „Siegerjustiz“ gerechtfertigt worden?
@Weitsicht
Da hat aber jemand viel im eigenen Hause gehört, na ja….
„Das Original des Briefes ist zwar verschwunden, im Amsterdamer Stadtarchiv hatte das Team nun aber die Kopie gefunden.“
In Stadtarchiven kommen schon mal Briefe „abhanden“ – besonders dann wenn die Originale 26 Monate in Anwaltskanzleien herumgammeln :-)