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„GroKo wäre der Tod der SPD“: Sozialdemokraten vor einer Zerreißprobe

Düsseldorfer Jusos stehen am 16.01.2018 vor einem Hotel in Düsseldorf. Sie demonstrieren gegen eine mögliche „GroKo“. Der SPD-Vorsitzende Schulz wirbt hier für Koalitionsverhandlungen bei den rheinischen Delegierten des SPD-Bundesparteitags, der am 21. Januar 2018 in Bonn stattfindet. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Für Martin Schulz geht es an diesem Sonntag ums Ganze. Vor 600 Delegierten eines Sonderparteitags in Bonn muss der deutsche SPD-Chef das Sondierungsergebnis verteidigen, das die Unterhändler der Sozialdemokraten bei ihren Gesprächen mit Christdemokraten und Christsozialen vorige Woche in Berlin erzielt haben.

Es geht um eine neue deutsche Regierung, und nur wenn der Parteitag zustimmt, können Koalitionsverhandlungen geführt werden.

Scheitert Schulz, ist die politische Zukunft des früheren EU-Parlamentspräsidenten ungewiss. Und Deutschland stünde vier Monate nach der Bundestagswahl vom September vor großer politischer Ungewissheit.

Der CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer (l), der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz (r) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellen sich am 12.01.2018 im Willy-Brandt-Haus in Berlin nach einer Pressekonferenz zu einem Foto auf. Die Spitzen von CDU, CSU und SPD streben eine Neuauflage der großen Koalition an. Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Geben die Delegierten Schulz hingegen grünes Licht, dann könnte eine neue Bundesregierung unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Ende März stehen. Es wäre die Fortsetzung der „GroKo“, der großen Koalition, die Deutschland seit 2013 regiert hat und deren Minister nur noch geschäftsführend im Amt sind.

An der Parteibasis regt sich Widerstand. Ein Landesparteitag in Sachsen-Anhalt und der Vorstand der Berliner SPD haben bereits gegen Koalitionsverhandlungen votiert.

Zu den entschiedensten Widersachern des 62-jährigen Schulz ist der Vorsitzende der Jungsozialisten, Kevin Kühnert (28), geworden. „Viele – und zwar nicht nur bei den Jusos – sind unzufrieden mit dem Sondierungspapier“, sagte der Chef der SPD-Jugendorganisation der Deutschen Presse-Agentur.

Nicht genügend SPD-Anliegen

Die Kritiker finden, dass in der am vorigen frühen Freitagmorgen nach fünftägigen Sondierungen erzielten 28-seitigen Übereinkunft nicht genügend SPD-Anliegen durchgesetzt wurden. Dazu zählt zum Beispiel die sogenannte Bürgerversicherung, die das derzeitige System privater und gesetzlicher Krankenversicherungen in Deutschland ersetzen soll, das nach Ansicht der Sozialdemokraten eine „Zwei-Klassen-Medizin“ schafft. Merkels Parteifreunde wollen daran nicht rütteln.

Auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes konnten die Sozialdemokraten im Sondierungspapier nicht verankern. Bei der Begrenzung der Zuwanderung von Flüchtlingen habe die SPD-Seite wiederum zu sehr den Vorstellungen der Christsozialen nachgegeben, wird kritisiert.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Andrea Nahles, und der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz unterhalten sich am 27.11.2017 in Berlin im Bundestag zu Beginn der SPD-Fraktionssitzung. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Eine Neuauflage der „GroKo“ hatte die SPD nach der Parlamentswahl am 24. September eigentlich gar nicht gewollt. Schulz war als Kanzlerkandidat krachend gescheitert und die SPD auf 20,5 Prozent abgestürzt.

Auch schon nach der großen Koalition in der Wahlperiode 2005 bis 2009 hatte die SPD massiv Stimmen verloren, so dass sich viele Genossen fragen, was von Deutschlands ältester Partei nach einer weiteren Regierungszeit an der Seite Merkels noch übrig bleibt. Es gebe einen starken „Widerwillen des Ochsen SPD gegen das Joch Merkel“, ätzte das konservative Magazin „Cicero“.

So wollte die SPD eigentlich in der Opposition neue Kräfte gewinnen. Merkel führte Sondierungen mit Liberalen und Grünen über eine „Jamaika“-Koalition, doch diese scheiterten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein langjähriger SPD-Politiker, und auch das europäische Ausland drängten auf eine baldige Regierungsbildung. Ein SPD-Parteitag im Dezember machte den Weg frei für die Sondierungen.

Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert (r) im Gespräch mit dem SPD-Parteivorsitzenden Martin Schulz. Foto: Bernd Von Jutrczenka/dpa

Nun ist es vor allem die SPD-Spitzenriege, die das Sondierungspapier verteidigt. Bundestags-Fraktionschefin Andrea Nahles warf den Gegnern vor, dass Sondierungsergebnis „mutwillig“ schlechtzureden. Bundesjustizminister Heiko Maas warb für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, und Außenminister Sigmar Gabriel gab zu verstehen, dass er den Parteitag für keine gute Idee halte.

Für Schulz kommt es jetzt unter anderem darauf an, seinen eigenen Landesverband Nordrhein-Westfalen zu überzeugen, denn dieser stellt in Bonn allein 144 Delegierte. Von einem „Schicksalstag für Schulz“ sprach die „Berliner Morgenpost“ mit Blick auf den Parteitag.

Juso-Chef Kühnert versicherte zwar, dass auch bei einem Nein zur „GroKo“ keineswegs das SPD-Spitzenpersonal ausgetauscht werden müsse, doch gibt es in Deutschland starke Zweifel, dass Schulz ein solches Votum politisch überleben würde.

Kommt es nicht zur „GroKo“, wären auch Neuwahlen nicht ausgeschlossen – mit unabsehbaren Folgen. „Kippt Schulz, wackelt Merkel“, kommentierte am Dienstag das „Handelsblatt“.

Augstein: SPD gehört in die Opposition

Resolut gegen eine Neuauflage der großen Koalition spricht sich der Publizist Jakob Augstein in einer SPIEGEL-Kolumne aus. Für ihn wäre eine „GroKo“ der Tod der SPD.

„Die SPD muss die Große Koalition stoppen. Sie bringt der Partei den Tod. Andererseits wäre dann der Weg frei für etwas Neues“, so Augstein. „Genossen, tut uns einen Gefallen: Stellt dieser Kanzlerschaft die lebenserhaltenden Systeme ab! Angela Merkel gehört in Rente. Und die SPD gehört in die Opposition.“

Für Augstein würde Merkel ohne Stütze der SPD stürzen: „Sie hängt am Tropf der SPD. Ihr Kanzleramt ist zum Zentrum für sozialdemokratisch betreutes Wohnen geworden. Was tut die SPD da? Die Sozialdemokraten sind doch nicht Angela Merkels Altenpfleger.“ (dpa/cre)

7 Antworten auf “„GroKo wäre der Tod der SPD“: Sozialdemokraten vor einer Zerreißprobe”

  1. Erfahrener

    Groko muss kommen auch wenn das der Untergang der SPD ist, damit bleibt Schulz und Merkel aber in Brot und Lohn und das ist das Wichtigste. Die Jugend kann dann später den ganzen Mist ausbügeln, den Oberen ist das doch egal. Heutzutage zählt doch nur noch der Egoïsmus und die Leidtragenden sind die nachfolgenden Generationen. Bin sehr gespannt auf Sonntag wie das alles ausgehen wird.

    • Also, in puncto Flüchtlingspolitik sind Schulz und Merkel sich schon mal einig, beziehungsweise sie übertreffen sich gegenseitig. Während Mutti gar nicht genug Fachkräfte für Europa bekommen kann, besteht Schulze auf Familiennachzug. Die zwei haben sich gefunden.

    • @ Populist

      Kauder lügt! Migranten mit „subsidiärem Schutz“ sind Personen die keinen Asylgrund vorweisen können im Land aber bis auf Weiteres geduldet sind da ihnen in der Heimat Folter oder Verfolgung droht. Wenn diese „Ausweisungshindernisse“ beseitigt sind, z.B. durch Regierungswechsel, entfällt der Schutz und die Rückführung kann/darf in die Wege geleitet werden.
      Es ist aber, meiner Ansicht nach, unzumutbar Menschen die hier einmal Fuß gefasst haben, wieder auszuweisen.Gerade in letzter Zeit haben Fälle wie der der Nepalesin Bivsi Schlagzeilen gemacht. Hinzu kommt das die Verhinderung des Familiennachzuges mit der Würde des Menschen kollidiert. Familienleben ist ein Menschenrecht.
      Mich erinnert diese Debatte an die „Gewissensprüfung“ die es zu meiner Bundeswehrzeit für Wehrdienstverweigerer gab. Die dort gestellte Frage betraf Pazifisten die vor das Problem gestellt werden der böse Russe will Sie und Ihre Familie meucheln, wie verhalten Sie sich wenn ein Gewehr in Reichweite ist. Jede Antwort darauf führte zu dem Schluss:“Dann können Sie auch mit der Waffe in der Hand das Vaterland verteidigen.“
      Wir brauchen für die Migranten – Problematik intelligent Lösungen. Polemik und dumpfer Rassismus wie er von Teilen in der Politik gepredigt wird helfen nicht weiter.

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