Politik

Wallonie geht bei Basisdemokratie einen anderen Weg als die DG: Volksbefragungen statt „Bürgerdialog“

Foto: Shutterstock

Das wallonische Parlament hat noch vor dem Ende der Legislaturperiode ein Dekret über die Möglichkeit zur Durchführung von Volksbefragungen verabschiedet. Namur geht damit in Sachen Demokratie einen anderen, direkteren Weg als die DG, die statt Volksbefragungen den „permanenten Bürgerdialog“ bevorzugt.

Die Wallonie wird damit der erste Teilstaat von Belgien, der Volksbefragungen einführt, die bisher nur auf kommunaler Ebene möglich waren. Dieses basisdemokratische Instrument kann indes nur zu Themen eingesetzt werden, die in den Zuständigkeitsbereich der Region fallen.

Die Initiative zu einer Volksbefragung kann entweder vom Wallonischen Parlament oder von den Bürgern ergriffen werden. Im letzteren Fall sind 60.000 Unterschriften die Bedingung.

Der Plenarsaal des Wallonischen Parlaments in Namur. Foto: Belga

Das Ergebnis ist nicht bindend, wenngleich es den verantwortlichen Politikern schwerfallen dürfte, das Ergebnis zu ignorieren, vor allem wenn es deutlich ausfällt.

An den Grundfesten der Demokratie wird gerüttelt. Ob „Gelbwesten“ oder „Klima-Protestler“: Die Politiker stehen am Pranger. Die Demokratie muss neu erfunden werden, sie braucht neue Formen von Bürgerbeteiligung. Die Wallonie versucht dies jetzt über ein Dekret, das regionale Volksbefragungen ermöglicht.

Die DG hatte im Februar 2019 die gesetzlichen Voraussetzungen für einen „permanenten Bürgerdialog“ verabschiedet. Diese Initiative war von den Medien im ganzen Land begrüßt worden, muss sich aber noch als sinnvoll bewähren. (cre)

25 Antworten auf “Wallonie geht bei Basisdemokratie einen anderen Weg als die DG: Volksbefragungen statt „Bürgerdialog“”

  1. Auch an diesem Beispiel erkennt man, dass es grundlegende Unterschiede kultureller Art zwischen der Wallonie und uns gibt. Wir sind eben nicht Teil einer wallonischen Region, sondern eine eigenständige Region innerhalb Belgiens. Möge diese auch noch so klein sein, die Schaffung einer 4. Region ist unabdingbar. Alles andere hätte man sich vor unserer „Angliederung“ überlegen müssen. Natürlich wäre es richtig konsequent, wenn wir einen einheitlichen Nationalstaat bilden würden aber der Zug war wohl schon kurz nach Gründung in die falsche Richtung abgefahren.

  2. Zaungast

    „Wir sind eben nicht Teil einer wallonischen Region,“
    Da irren Sie sich aber gewaltig. Die DG ist (noch) Teil der Wallonischen Region.
    Damit dürfte dieses „Dekret zur Durchführung von Volksbefragungen“ auch auf sie Anwendung finden, oder nicht?

    Also „Bürgerdialog“ + „Volksbefragung“: Doppelt genähte Demokratie hält besser?
    Wie schreibt Herr Cremer hier oben: „muss sich aber noch als sinnvoll bewähren.“ Mal sehen

    • karlh1berens

      Zitat @ Zaungast 02/05/2019 10:55

      „Damit dürfte dieses „Dekret zur Durchführung von Volksbefragungen“ auch auf sie Anwendung finden, oder nicht?“

      Na hoffentlich ! Es sei denn, diese „Zuständigkeit“ wird auch der DG übertragen.

      Gott bewahre …..

  3. deuxtrois

    „Bürgerdialog“ ist nett umschrieben für „setze im Parlament durch, was die hiesige Vetternwirtschaft verlangt“ – und zwar auf allen politischen Ebenen in der DG. Als Außenstehender der Politik konnte ich noch keinen solchen „Bürgerdialog“ erkennen – im Gegenteil. Da kommen diese Volksbefragungen gerade gut – denn sie sind auch für uns gültig. Theoretisch genommen könnte die DG eine solche Volksbefragung starten wenn alle mitmachen (von der Anzahl der Mitglieder zumindest).

    Wie Herr Cremer hier suggeriert, dass die Wallonen „einen anderen Weg gehen“ kann ich nicht sehen, ist zudem inhaltlich falsch. Wir unterliegen auch der wallonischen Region.

      • Deuxtrois

        Die DG hat keine Region sondern eine Gemeinschaft. In der Wallonie ist das die französische Gemeinschaft. Wir sprechen aber von der Region. Die DG hat keine Befugnisse der Kompetenzen im regionalen Parlament der Wallonie.

  4. Zaungast

    „Das wallonische Parlament hat noch vor dem Ende der Legislaturperiode ein Dekret zur Durchführung von Volksbefragungen verabschiedet.“
    „Ein“ Dekret?
    Ist es das hier: http://nautilus.parlement-wallon.be/Archives/2017_2018/PARCHEMIN/559.pdf
    Das datiert aber schon vom 19. Juli 2018 und ist also nicht gerade taufrisch.
    Es wäre schon nützlich, wenn Quellen angegeben würden, damit der angeblich doch mündige Leser sich selbst ein Bild machen könnte.

    Eindeutig ein Dekret der Wallonischen Region, von der die DG ein Teil ist. Oder was hätten Stoffels und Baltus-Möres denn sonst in Namür zu suchen gehabt? Also kann das Dekret auch in der DG Anwendung finden, wenn es um ein Thema geht, das in den Kompetenzbereich der Wallonischen Region fällt, also nicht an die DG übertragen wurde. Oder nicht?

    Sehr komplizierte Prozedur, die wohl nicht sehr oft zur Anwendung kommen wird. Man braucht also keine Angst zu haben, in Zukunft alle vierzehn Tage zur Abstimmung gerufen zu werden … oder gar in einem Wahl- bzw. Zählbüro als Beisitzer fungieren zu müssen.

  5. Don Quichotte

    Gemeinschaften dürfen laut Verfassung keine Referenden zu ihren Gemeinschaftszuständigkeiten durchführen. Regionen wohl für ihre Regionalzuständigkeiten. Das heisst aber auch, die DG dürfte ggf. für die regionalen Zuständigkeiten, die es von der Wallonischen Region übernommen hat, Referenden abhalten.

  6. Il restera à déterminer si le transfert de compétences par la région wallonne à la communauté germanophones est révocable. Dans ce contexte, il faudra encore plus analyser les transferts de telles compétences qui impliquent la mise a disposition d’une assiette financière par la région wallonne.

    Tout transfert de compétence qui impliquerait un traitement plus avantageux d’une partie de la région (par exemple la communauté germanophone) pourrait justifier la légitimité d’un référendum des citoyen wallons. La région wallonne sur base du référendum pourrait se voir amené à devoir révoquer le transfert ou bien de réduire l’assiette financière.
    Tous ceux qui ont cru au bon sens des hommes et femmes politiques wallon – que je ne veut pas mettre en question par simple principe – devront s’attendre à l’une ou l’autre surprise. Tous ceux qui ont cru à leur pouvoir ou leur capacité de négociation en la matière encore plus.

    Il faudra anticiper le cas échéant quelques intéressantes procédures judiciaires devant les tribunaux compétents en matière constitutionnelle, procédures usuellement longues et fastidieuses.

    Pour les fervents défenseurs de la démocratie de base que je tends à qualifier de rêveurs:
    – vous aimez douter du bon sens des hommes et femmes politiques
    – vous présumez les citoyens détenteurs dudit bon sens
    – préparez-vous à assumer le bon sens populaire, et
    – bienvenue en région wallonne.

        • Walter Keutgen

          Das ist nicht die Frage. In einem deutschsprachigen Forum äußert man sich ausschließlich auf Deutsch. Ich habe die Foren zum Brexit der großen deutschen Zeitungen durchgekämmt und glauben Sie mir, es war kein einziger Beitrag auf Englisch darin, auch wenn Briten darin schrieben, was sie oft anmerkten oder was wir an Sprachfehlern sahen.

          Außerdem, wenn man zitiert: Hyperlink oder Quellenangabe.

  7. Jockel F.

    Natürlich ist die DG Teil der wallonischen Region und somit findet das Dekret auch „an oses“ Anwendung. Sollte jemand auf die Idee kommen, die Kompentenzübertragung von Region zu Gemeinschaft per Referendum auf den Prüfstand zu stellen, dürfte das interessant werden.

    • So isses. Politiker (sagen wir mal mit Ausnahme der linkesten und rechtesten Enden) halten sich noch an Abmachungen, auch die von Vorgängerregierungen. Referenden in nicht basisdemokratieerprobten Staaten sind da weniger vorsehbar.

  8. Alfons Velz

    Bindende Volksbefragungen funktionieren zwar in den Kantonen der Schweiz (meistens jedenfalls), aber wie sieht es denn mit anderen Referenden aus ? Man schaue einfach mal über den Kanal, was England erlebt hat: eine auf Fake-News aufgebaute „Volksbefragung“, wo aber nur 39% abgestimmt haben und davon nur 51% für den Brexit – insgesamt hat also nur jeder fünfte Brite für den Brexit gestimmt. Und das Schlimmste: was ist das Ergebnis ? Ein gespaltenes Land, ein blockiertes Parlament, Hassprediger und ein entmachtetes Volk, dem man eine zweite Volksabstimmung verweigert. Und das soll Demokratie sein ? Wollen wir das wirklich ? Lasst uns doch erst mal ab Herbst 2019 das „Ostbelgienmodell“ ausprobieren, den vom PDG vor drei Monaten verabschiedeten Bürgerdialog! Der hat das Potential, gute Ergebnisse zu bringen und Politikverdrossenheit zu mindern.

    • Walter Keutgen

      Alfons Velz, der große Unterschied zur Schweiz ist, dass die Referenden dort bindend sind und regelmäßig vierteljährlich durchgeführt werden. Und in der Schweiz wird das durchdiskutiert. Die Initiatoren können vieler Arten sein. In Bayern gibt es auch bindende Referenden auf Volksinitiative (Rauchverbot). In der Wallonischen Region werden die Referenden nicht bindend sein.

      • Dann denken Sie mal über den Unterschied zwischen einer Wahl zu repräsentativer Demokratie (mittelfristig) und Referenden (kurzfristig) nach.
        Auch Wahlen können „vergiftet“ werden. Doch binäre aus der Emotion beantwortete Fragen sehr viel mehr.
        Zu berücksichtigen bleibt auch, dass das Volk nicht zwingend in der Lage ist, komplexe Fragen bzw. Fragen mit komplexen Auswirkungen zu bewerten. Nun darf man zwar einwerfen, dass Politiker nun auch nicht zwingend gescheit sind, aber … so ziemlich alle haben Erfahrung in politischem Diskurs und Auseinandersetzung. Das verspricht bessere Ergebnisse.

        • Jockel F.

          Keine Sorge, an Nachdenken fehlt’s nicht.
          Ich finde es nur bemerkenswert, dass genau diejenigen Musterdemokraten es zu einem Gottesgeschenk an den Plebs stilisieren, alle paar Jahre die Stimme abgeben zu dürfen (vielleicht denken Sie mal über den Wortsinn dieses Begriffes nach), ihm aber ansonsten – wie Sie – wenig bis nichts zugestehen. Nicht einmal eine Meinung zu aktuellen politischen Themen, oder zumindest nicht die richtige.
          Das Brexit-Referendum, bei dem den Briten nichts, ihrer Politkaste und der EU-Nomenklatur hingegen einiges vorzuwerfen ist, als Negativbeispiel zu nehmen, das sagt sehr viel über das Demokratieverständnis besagter Politricker aus.

          • Als Plebejer sind mir die Vorzüge der repräsentativen Demokratie bekannt und diese politisch-gesellschaftliche Organisationsform erscheint mir schlüssig und adäquat.
            Weder Meinungen noch Meinungsäusserung spreche ich niemandem ab, unterscheide da auch nicht zwischen richtig und falsch, erlaube mir aber weiterhin die eine oder andere als irrig oder irregeleitet zu bezeichnen.
            Folgerichtig kann ich einer Häufung von politischen Entscheidungen durch irrenden, irregeleitetem Pöbel, womöglich noch in einem emotional aufgeladenem Umfeld, nichts abgewinnen.

            • Jockel F.

              Ach, dann überlassen wir doch die Politik den rationalen, ausschließlich nach Vernunft entscheidenden und ums Wohl des Bürgers besorgten Auserwählten in Eupen, Namür, Brüssel und Straßburg.
              Wenn Sie mal was Emotionales sehen wollen, es empfiehlt sich die Wahlparty der einzig wahren Bewegung unter den Parteien Ostbelgistans. Viel Spaß!

  9. Zaungast

    Da hier von der Schweiz und ihren Volksabstimmungen die Rede ist, so trifft es sich gut, dass am kommenden 19. Mai solch eine Abstimmung stattfindet:
    https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/abstimmungen/20190519.html

    Zwei Themen:
    – Eine Steuerreform für Unternehmen, gekoppelt (kleiner Trick!) an die Finanzierung der AHV (Rentenversicherung)
    – Die Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie

    Zu beiden Themen gibt es ein Video, das die Argumente von Befürwortern und Gegnern wiedergibt.
    Wenn man sich die angeschaut hat, ist man leider nicht viel klüger und würde eher nach Gefühl statt mit dem Verstand entscheiden.
    Der Bundesrat und das Parlament empfehlen selbstverständlich, mit Ja zu stimmen.
    Mal sehen, wie es ausgehen wird.

    Kleine Bemerkung: Bei solchen Abstimmungen muss es zwei Mehrheiten geben: das Volksmehr (einfache Mehrheit der Wähler) und das Ständemehr (die Mehrheit der Kantone, wobei jeder Kanton eine Stimme hat (die Halbkantone eine halbe). Die beiden Halbkantone Appenzell (rund 70.000 Einw.) haben da genauso viel Gewicht wie Zürich (1,5 Millionen Einw.).

    Interessant für Belgien: Würde die DG (77.000 Einw.) eine vollwertige 4. Region, hätte sie so viel Gewicht wie Flandern (6 Millionen). Eben diese Überlegung einer VB-Senatorin hatte K.-H. Lambertz am 23.03.2018 zu einer wütenden Intervention im Senat veranlasst.

    Zu bedenken gibt auch, dass die Wahlbeteiligung dort in den letzten Jahren fast immer unter 50 %, oft sogar unter 40 % lag…
    https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_eidgen%C3%B6ssischen_Volksabstimmungen#50._Legislatur_(2015%E2%80%932019)

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