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SERIE – 1. Teil: Die Faszination der Alten Dame vom Eupener Marktplatz

Der Schriftzug "Grenz-Echo" auf der Außenfassade des Verlagsgebäudes auf dem Eupener Marktplatz. Foto: OD

Anlässlich des 90-jährigen Bestehens des Grenz-Echo in diesem Jahr startet „Ostbelgien Direkt“, wie angekündigt, seine neue Serie „Am Hof der Alten Dame vom Marktplatz – Erinnerungen und Anekdoten“. Im ersten Teil wird in erster Linie thematisiert, welche Faszination die einzige Tageszeitung in Ostbelgien jahrzehntelang auf hiesige Journalisten ausübte.

In den 1970er und 1980er Jahren gab es in Ostbelgien nur das Grenz-Echo, die Ostbelgien-Ausgabe der Aachener Volkszeitung (AVZ) und den BRF, der zunächst BHF hieß. Die mit der Zeit aufkommenden freien Radiosender hatten nie die Reichweite und den Einfluss, den das Grenz-Echo sowie mit Abstrichen die AVZ und der BHF bzw. BRF ausübten.

Folglich war es normal, dass es einen jungen ostbelgischen Journalisten entweder zum Marktplatz oder zur Hochstraße hinzog, wo der BHF bzw. BRF bis zu seinem Umzug ins Funkhaus am Kehrweg ansässig war.

Das wichtigste Medium

Das wichtigste Medium war hierzulande aber immer das Grenz-Echo. Als Journalist hast du irgendwann den Wunsch, wenigstens eine Zeit lang „am Hof der Alten Dame vom Marktplatz“ zu arbeiten.

Zeitungsausgaben von L’Avenir, La Meuse, Le Soir und Grenz-Echo. Foto: OD

Wenn dir das nicht gelingt, hast du am Ende deiner beruflichen Laufbahn so etwas wie ein Mangelgefühl. Es fehlt dir etwas.

Es ist so wie im Fußball, wo man auch zu sagen pflegt: Wenn du als Fußballprofi nicht wenigstens einmal im Londoner Wembley-Stadion gespielt hast, wirst du niemals von dir behaupten können, ein richtiger Fußballprofi gewesen zu sein.

Der Journalist und Schriftsteller Freddy Derwahl war den größten Teil seiner beruflichen Laufbahn (von 1975 bis zu seiner Pensionierung) beim BRF, aber dieser war für ihn hauptsächlich ein Broterwerb. Richtig begeistert hat er sich für den Journalismus vor allem dann, wenn er für ein Printmedium schreiben konnte – sei es für die AVZ im Jahr 1970, als Willy Timmermann für die Dauer des Kommunalwahlkampfs in Eupen mithilfe der CSP ins Exil über die belgisch-deutsche Grenze geschickt und durch Derwahl ersetzt wurde, für den „Grenzland-Report“ in der ersten Hälfte der 1980er Jahre, bei dem er seine besten Artikel verfasst hat (siehe Buch „Mit Faust und Feder“), oder danach fürs Grenz-Echo.

Selbst in der Zeit, als er bei seinem Arbeitgeber BRF krank geschrieben war, verfasste Derwahl weiter Kolumnen fürs Grenz-Echo. Er soll damals sogar von einer Eupener Ärztin ein Attest erhalten haben, wonach das Schreiben für die Tageszeitung seinem gesundheitlichen Zustand förderlich sein könne.

Plötzlich wehte ein frischer Wind

In der BRF-Redaktion war man über diese „Extra-Wurst“ sehr verärgert. Dass jemand bei seinem Arbeitgeber krank feierte, gleichzeitig jedoch weiter fürs Grenz-Echo jede Woche eine Kolumne schreiben durfte, hat im Funkhaus am Kehrweg bis heute niemand verstanden, geschweige denn akzeptiert.

Beim Grenz-Echo hatten Mitte der 1980er Jahre nach der großen Krise Alfred Küchenberg und Ernst Thommessen in Form einer sogenannten „ostbelgischen Lösung“ die alte Garde um Heinrich Toussaint abgelöst und das traditionsreiche Haus am Marktplatz damit vor dem Ende bewahrt.

Warny Heinz Grenz-Echo

Der frühere Grenz-Echo-Chefredakteur Heinz Warny.

Chefredakteur wurde Toussaints Stellvertreter Heinz Warny. Auch Freddy Derwahl wurde an den Hof der Alten Dame geholt. Küchenberg machte seinen Freund zum bestbezahlten freien Mitarbeiter des Grenz-Echo.

Mit der „ostbelgischen Lösung“ wehte ein frischer Wind in der Grenz-Echo-Redaktion. Hinzu kam, dass die einzige ostbelgische Tageszeitung mit der Zeit nicht mehr nachmittags erschien, sondern morgens, so wie alle Zeitungen.

Dies war ein Meilenstein in der Geschichte der ostbelgischen Tageszeitung, die nunmehr landesweit zum Frühstück zugestellt wurde, was bei den Lesern neue Gewohnheiten schuf und das Grenz-Echo für Journalisten noch attraktiver machte.

Bis Ende der 1990er Jahren ging nichts ohne das Grenz-Echo. Für die ostbelgische Öffentlichkeit war es fast eine Notwendigkeit, die Zeitung zu beziehen.

Selbst in der Zeit, als es noch die Ostbelgien-Ausgabe der „Aachener Volkszeitung“ gab, die von Willy Timmermann und Hans-Werner Delhez gestaltet wurde, hatte man als Ostbelgier ohne das Grenz-Echo das Gefühl, irgendetwas Wichtiges verpasst zu haben. Daran konnte auch der BRF nichts ändern.

Mit 90 das Ende vor Augen?

Inzwischen hat sich die Medienlandschaft in Ostbelgien grundlegend geändert. Die Tageszeitung hat viel von ihrer früheren Faszination eingebüßt. Das liegt in erster Linie daran, dass sie deutlich weniger Leser hat als früher. Es gibt auch einige Konkurrenzmedien mehr. Vor allem aber ist eine Tageszeitung im Vergleich zu den Online-Medien fast schon ein Relikt aus einer anderen Zeit. Alles geht alles viel zu langsam.

Der Artikel, den der Grenz-Echo-Redakteur vielleicht am frühen Nachmittag schreibt, erscheint frühestens am nächsten Morgen, wenn er nicht vorher schon ins Internet gestellt wird, wobei sich in diesem Fall der Leser zu Recht die Frage stellt, weshalb er überhaupt noch die Zeitung abonnieren soll, wenn er vorher alles schon im Netz zu lesen ist.

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Welche Zukunft für die Tageszeitung? Niemand hat heute darauf eine schlüssige Antwort. Die Zeitung hat jedenfalls viel von ihrer früheren Faszination eingebüßt. Foto: Shutterstock

Alles, was wirklich wichtig ist, erscheint bereits vorab im Internet. Dass man morgens die Tageszeitung aus dem Briefkasten holt und gleich bei einem ersten flüchtigen Blick auf die Titelseite von einer sensationellen Nachricht überwältigt wird, so wie dies früher oft der Fall war, kommt heute so gut wie nicht mehr vor.

Wie viele bezahlte Exemplare das Grenz-Echo heute noch tagtäglich verkauft, ist nicht bekannt, weil die aktuellen Zahlen vom „Centre Information Médias“ (CIM) neuerdings nicht mehr veröffentlicht werden. Ende 2015 waren es laut CIM genau 8.618. Die Zahl der Online-Abos war mit 131 sehr niedrig.

Die Dame vom Marktplatz hat jetzt mit 90 ein Alter erreicht, wo man das Ende vor Augen hat, ohne genau zu wissen, wann denn tatsächlich die letzte Stunde geschlagen hat.

Die Printmedien existieren nur noch auf Zeit. Was danach kommt, vermag niemand zu sagen. In der Branche herrschen Unsicherheit und Ratlosigkeit.

Mit 90 blickt man ohnehin eher zurück als nach vorne. Zurückblicken wollen wir denn auch in den nächsten Folgen dieser Serie. Es sind größtenteils Erinnerungen und Anekdoten aus den insgesamt 13 Jahren (1993-1999 als Redakteur und 2005-2012 als Chefredakteur), in denen ich mich am Eupener Marktplatz freuen oder ärgern durfte.

GERARD CREMER

HINWEIS – Die Serie „90 Jahre Grenz-Echo: Am Hof der Alten Dame – Erinnerungen und Anekdoten“ wird in loser Folge fortgesetzt. Der 2. Teil erscheint in Kürze.

19 Antworten auf “SERIE – 1. Teil: Die Faszination der Alten Dame vom Eupener Marktplatz”

  1. Noch schlägt sich das GE tapfer im Kampf gegen das Internet. Doch es wird die Zeit kommen, dann stehen die Tageszeitungen vor dem Aus. Dann wird es dem GE und die anderen Zeitungen nichts nützen, auf eine tolle und glorreiche Zeit zurückschauen zu können.

  2. Marcel Scholzen

    Das Internet hat ja alles auf den Kopf gestellt. Ein Quantensprung ähnlich der Erfindung des Buchdruckes im Mittelalter. Ich glaube nicht, dass es in einigen Jahren das Grenz-Echo noch als Tageszeitung gibt. Könnte mir einen Verbund aus BRF, Grenz-Echo und Ostbelgiendirekt vorstellen, wo jeder ein spezielles Aufgabengebiet hat. Der BRF bedient den Hörfunk, das Grenz-Echo erscheint zweimal pro Woche in Papierform und Ostbelgiendirekt ist die Internetpräsens dieses Verbundes. Diese Bündelung der Kräfte wäre vollkommen ausreichend für Ostbelgien, einem kleinen Gebiet von 80 000 Einwohnern.

      • Marcel Scholzen eimerscheid

        Wer schlussendlich wieviel Erfolg hat, entscheiden nicht irgendwelche Planer, sondern der Verbraucher. Medien sind auch „nur“ eine Dienstleistung von vielen in unserer Gesellschaft.

    • Radio Euro

      Ich würde wetten, dass heute mehr Leute die Beiträge bei SPIEGEL ONLINE, ZEIT ONLINE oder FAZ ONLINE lesen, als man früher Abonnenten hatte. Es gibt Medienhäuser, die haben ihre Bekanntheit im Vergleich zu früher deutlich gesteigert, sie werden mehr gelesen als früher. Dass die Leser der gedruckten Ausgabe bröckeln, versteht sich von selbst. Aber selbst da beweist die TAZ, dass es auch anders geht. Entscheidend ist, dass Print einen Mehrwert bietet gegenüber online. Schafft das eine Redaktion, laufen auch die Leser nicht weg. Und schafft ein Medienhaus einen kompetenten Online-Auftritt, erreicht man hier mehr Leser als jemals zuvor.

  3. Das Grenz Echo war immer die Zeitung der CSP und ist auch mit ihr untergegangen. Politisch katholisch-konservativ hat es irgendwann um die Jahrtausendwende die Leserschaft verloren. So wie sich die Kirchen leerten (in Raeren gab es bis etwa 1980 noch 5 gut besuchte Gottesdienste jedes Wochenende!), hat das Grenz Echo den Anschluß verloren. Die alte Leserschaft verschwand, neue konnte man nicht gewinnen. Da ist das Ende nur folgerichtig.

  4. Verleger

    “ Dass jemand bei seinem Arbeitgeber krank feierte, gleichzeitig jedoch weiter fürs Grenz-Echo jede Woche eine Kolumne schreiben durfte, hat im Funkhaus am Kehrweg bis heute niemand verstanden, geschweige denn akzeptiert.“

    Das sehe ich genau so.Nun, ich weiß, der Begriff: „krank geschrieben“ ist korrekt, aber wenn man den ironisch interpretieren möchte, könnte man sagen : der Journalist hat sich am BRF-Mikro die Stimme heiser geredet und sich beim Grenz-Echo die Finger krank -pardon -wund geschrieben.
    In der Privatwirtschaft würde man als Arbeitnehmer vermutlich nach einiger Zeit zum Vertrauensarzt zitiert….Was die Zukunft der (reinen) Printmedien angeht, sehe ich die auch als skeptisch und ungewiss an. Es kommt auch auf die Klientel an. So kann ich mir vorstellen, dass es die gedruckte
    BILD schaffen wird, sich auch in Zukunft einen gewissen Kundenanteil zu sichern; die ist bekanntermaßen auf Schlagzeilen usw. ausgerichtet, weist im Vergleich zu anderen Zeitungen nur wenige Seiten auf und an jedem Kiosk zu haben

  5. Reflexion

    Auch Online Medien wie wir hier miterleben können unterliegen den Trend des Oberflächlichkeit. Tiefe und Analystik müssen weichen für Banales und Sinnentleertes. Das Weichgespülte übernimmt die Federführung.

  6. Marcel Scholzen Eimerscheid

    Man sollte nie vergessen, dass das Grenz-Echo zu einer Zeit (nach dem 1. Weltkrieg und Versailler Vertrag) gegründet wurde, als sich die meisten Einwohner der Ostkantone noch als „deutsch“ verstanden und Belgien als Besatzungsmacht ansahen. Es war als probelgisches Propagandaorgan in deutscher Sprache konzipiert. Insofern war es sehr erfolgreich in seiner Wirkung. „Auftrag ausgeführt“ lautet daher meine Feststellung.

    Eine Zukunft gibt es nur im Verbund mit anderen. Es könnte sich wandeln zu einer reinen Online-Tageszeitung, die einmal pro Woche als Druckausgabe kostenlos in alle Haushalte verteilt wird, damit auch jeder Einwohner der DG am politischen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen und mitdiskutieren kann und nicht nur der, der sich ein Abonnement leisten kann. Finanziert durch Sponsoren, Werbung und die üblichen DG-Zuschüsse.

    • Radio Euro

      Wenn Sie jetzt noch dazu schreiben, was Sie von der einmal wöchentlich erscheinenden kostenlosen Zeitung erwarten? Was nicht ginge, wäre das zu machen, was es heute schon gibt. Eine „kostenlose“ „Zeitung“ die wenige redaktionelle Beiträge hat mit vielen Todesanzeigen. Das brauche zumindest ich nicht. Oder sollte sie als Mehrwert längere Artikel/Interviews haben, die es online nicht schon gab?

  7. Zaungast und langjähriger GE-Leser (Petzi...)

    „…die einmal pro Woche als Druckausgabe kostenlos in alle Haushalte verteilt wird,…“

    Noch ’n Werbeblatt mehr mit vielen Anzeigen, garniert mit einigen „Artikeln“?

    „…Verbund aus BRF, Grenz-Echo und Ostbelgiendirekt…Diese Bündelung der Kräfte wäre vollkommen ausreichend für Ostbelgien, einem kleinen Gebiet von 80 000 Einwohnern.“

    Wie nennt man so etwas? genau, ein Presse- und Meinungsmonopol. Wünschenswert? Eindeutig nein.

    Frage
    19/05/2017 – 22:56
    „Lassen Sie sich gerne schon früh morgens belügen?“

    Mich würde interessieren, aus welcher Quelle Sie denn die absolute Wahrheit schöpfen.
    Bis jetzt habe ich sie leider noch nirgends gefunden, obschon ich seit einem halben Jahrhundert danach suche. Wie sagte schon Pilatus: „Was ist Wahrheit?“
    Kennen Sie die Antwort?

  8. Ein Presse- und Meinungsmonopol ist in der Tat nicht wünschenswert. Deshalb wird es das GE und den BRF auch noch lange geben. Allerdings wird das dem Steuerzahler jedes Jahr ein bisschen mehr kosten, weil die Leserschaft geringer wird und der BRF ohnehin kaum Einnahmen hat. Dennoch muss es uns das wert sein, auch wenn unser Gebiet sehr klein ist.

    • Réalité

      Dann lieber Ministerposten abschaffen, als das GE und den BRF! Wir brauchen hier überhaupt keine Ministern, die haben doch nix zu tun! Das kann alles von oben dirigiert werden! Wäre jedenfalls sehr viel Geld zu sparen!

  9. Zaungast

    „Alte Dame vom Marktplatz“ oder „am Hof der Alten Dame“, das suggeriert doch Betulichkeit, Krückstock, Spitzenhäubschen, Altersheim.

    Frage: Wollen Sie dem GE schaden, dass Sie dieses Bild weiter kolportieren?

    Dabei gibt das GE sich doch jede Mühe, jung, dynamisch, fortschrittlich zu erscheinen.

Antworten

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