Gesellschaft

„Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 brach hier im Grenzland alles zusammen“

27.07.2014, Eupen: Der Historiker Dr. Herbert Ruland, damals noch Leiter der Abteilung GrenzGeschichteDG an der Autonomen Hochschule. Foto: OD

Die Gedenkfeiern zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des 1. Weltkriegs erreichen allmählich ihren Höhepunkt. Am 30. Juli wird im Weißen Haus zwischen Welkenraedt und Henri-Chapelle eine Ausstellung eröffnet. Titel: “Die Menschen im Vierländereck und der Große Krieg – Leben und Leiden der Grenzbevölkerung”. Zum Thema 1. Weltkrieg sprach „Ostbelgien Direkt“ mit Dr. Herbert Ruland, Leiter der Abteilung GrenzGeschichteDG an der Autonomen Hochschule.

Schon das Titelbild der Ausstellung lässt niemanden unbeeindruckt. Dabei handelt es sich um eine Karikatur von Louis Raemaekers. Sie zeigt einen Eisenbahnwaggon mit der Aufschrift “via Lüttich-Aachen”, aus dem jede Menge Blut fließt (siehe Bild anbei).

Am 3. August findet ab dem Weißen Haus ein Spaziergang mit Führung nach Hombourg statt. Dabei passieren die Teilnehmer auch den Tunnel bei Hindel, der vor 100 Jahren vermint wurde.

Nachfolgend das Gespräch, das „Ostbelgien Direkt“ mit Dr. Herbert Ruland führte.

OD: Herr Dr, Ruland, worin liegt die Besonderheit des 1. Weltkriegs, auch im Vergleich zum 2. Weltkrieg?

Mit dieser Karikatur von Louis Raemaekers wollen die Veranstalter der Ausstellung vom 30. Juli in Weiss-Haus wahrscheinlich bewusst provozieren. Sie zeigt einen Eisenbahnwaggon mit der Aufschrift “via Lüttich-Aachen”, aus dem jede Menge Blut fließt.

Mit dieser Karikatur von Louis Raemaekers wollen die Veranstalter der Ausstellung vom 30. Juli in Weiss-Haus wahrscheinlich bewusst provozieren. Sie zeigt einen Eisenbahnwaggon mit der Aufschrift “via Lüttich-Aachen”, aus dem jede Menge Blut fließt.

Ruland: Die Besonderheit liegt schon mal darin, dass der 1. Weltkrieg für viele Länder wirklich der „Große Krieg“ war und auch heute noch so genannt wird. Der „Große Krieg“ auch deshalb, weil das gesamte Territorium des jeweiligen Landes betroffen war. Dies galt zum Beispiel für Frankreich und auch für Belgien. Es wurden im 1. Weltkrieg in diesen Ländern ganze Landstriche total verwüstet, wie man es im 2. Weltkrieg so nicht erlebt hat. England hatte einen viel höheren Blutzoll im 1. Weltkrieg als im 2. Weltkrieg.

Die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“

OD: Man spricht ja auch von der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“.

Ruland: Genau. Vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs war Europa schon sehr stark zusammengewachsen. Ich habe einen Prospekt des Reisebüros Hagemann aus Herbesthal aus dem Jahre 1911 gefunden. Es wurden Reisen angeboten an die Riviera zum Karneval. Es wurde ausdrücklich erwähnt, dass man für diese Reise keine Legitimationspapiere brauchte, außer für den Besuch des Casinos in Monaco. Man sieht, wie globalisiert Europa damals war. Und dann brach mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs alles zusammen.

OD: Der 1. Weltkrieg war nicht zuletzt für das hiesige Grenzland eine Katastrophe.

Kaum noch ein Stein auf dem anderen: Dieses Bild zeigt das zerstörte Visé an der Maas nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im August 1914.

Kaum noch ein Stein auf dem anderen: Dieses Bild zeigt das zerstörte Visé an der Maas nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im August 1914.

Ruland: Auf jeden Fall. Vor Kriegsbeginn passierten die Menschen laufend die deutsch-belgische Grenze. Die Menschen lebten und arbeiteten zusammen.

OD: War die Lage hier im deutsch-belgischen Grenzland so etwas wie die „heile Welt“?

Ruland: Das muss man etwas differenzierter sehen. Nach 1815, als wir preußisch wurden, fühlte man sich hier zunächst besetzt. Das änderte sich erst nach der Reichsgründung 1870-71, u.a. durch die Gesetzgebung, das Beamtentum, das Schulsystem usw. Die Löhne stiegen etwas an. Man hatte schon Vorteile, die es zum Beispiel auf belgischer Seite nicht gab. Die Menschen fühlten sich 1914 nicht in Preußen, wohl aber in Deutschland gut aufgehoben. Am liebsten wäre ihnen gewesen, in Deutschland zu bleiben, aber weg von Berlin, in einer freien rheinischen Republik.

Für Deutschland nicht der „Große Krieg“

OD: In Deutschland spricht man nicht vom „Großen Krieg“.

Dr. Herbert Ruland im April 2014 bei der Vorstellung des Programms der "Aktionstage Politische Bildung", die in diesem Jahr ganz im Zeichen des Ausbruchs des 1. Weltkriegs vor 100 Jahren stehen. Foto: OD

Dr. Herbert Ruland im April 2014 bei der Vorstellung des Programms der „Aktionstage Politische Bildung“, die in diesem Jahr ganz im Zeichen des Ausbruchs des 1. Weltkriegs vor 100 Jahren stehen. Foto: OD

Ruland: Ich würde so sagen: Der 1. Weltkrieg ist in der Erinnerung der Deutschen nicht der „Große Krieg“, weil er später durch den 2. Weltkrieg überschattet wurde. Deutschland ist nach dem 1. Weltkrieg mit Ausnahme des Rheinlandes nicht besetzt worden. Es hat keine Flächenzerstörung gegeben, es gab noch keine Flächen-Bombardements. Man kannte zwar Hungersnöte, aber nicht diese völlige Verelendung. Es gab auch keine Flucht aus irgendwelchen Gebieten. Somit stellt sich dieser Krieg in der Erinnerung der Deutschen ganz anders dar als der Krieg 1940-45, zumal es im 2. Weltkrieg noch den Holocaust gab.

OD: Wie interessiert man heute junge Menschen für die Problematik 1. Weltkrieg, wenn man weiß, dass schon der 2. Weltkrieg schwer zu vermitteln ist?

Ruland: Man sollte nicht über Schlachtenabfolgen reden, vielmehr darüber, wie die Eltern, Großeltern und Urgroßeltern zur damaligen Zeit gelebt haben, was ihnen wichtig war und inwieweit sie vom 1. Weltkrieg betroffen waren. (cre)

Siehe auch Artikel „Aktionstage Politische Bildung im Zeichen des Ausbruchs des 1. Weltkriegs vor 100 Jahren“

 

27 Antworten auf “„Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 brach hier im Grenzland alles zusammen“”

  1. Ich habe im letzten Jahr einem Vortrag von Dr. Herbert Ruland in Wooriken /Bütgenbach beigewohnt.
    Kann nur jedem empfehlen, dasgleiche zu tun.
    Ein Jeder fühlt sich mitten im Geschehen.
    War damals eine Ohrenweide,sehr spannend.

  2. Kommentator

    Ich sehe durchaus besorgniserregende Parallelen zwischen der Situation von 1914 und der von heute. Auch heute haben wir ein globalisiertes Europa, der Nationalismus lebt neu auf, und viele Menschen wähnen sich in trügerischer Sicherheit. Aber die Konfliktherde häufen sich: Ukraine, Gaza, Syrien… Es gibt ja schon welche, die vor einem 3. Weltkrieg warnen.

      • @malnurso

        ….und dann gibt es ein heutiges Gemeinderatsmitglied in Amel,der einmal auf seiner FB-Seite folgenden Eintrag hatte:“Arbeit macht frei“! Ob er damit seinen damaligen Arbeitgeber „die Post“ gemeint hat?

        • Dumpfbäcker

          Ja Ja, wieder einmal haben die anderen die Schuld….

          Ihre Argumentation stimmt, wenn die Eltern die Kinder nicht darauf sensibilisieren.

          Ja wie auch, …’sind ja selbst oft noch kleine Kaisertreue, die die Nazizeit ausblenden, wie man auch oft auf OD sehen kann. DAS Problem kommt aus Berlin und der Sicht der Deutschen auf den WK1.

          Anscheinend sind viele Ostbelgische Kinder ärmer ‚dran als andere…und wieder einmal ist Brüssel schuld! jaja…

          • malnurso

            „…wieder einmal haben die anderen die Schuld….“

            dies ist eben eine typisch nationalistische Denkweise und mit dieser Argumentation erhält man viele Wählerstimmen leider auch noch heute in Ostbelgien.

    • Wehrmacht denn sowas!

      Junge Menschen sollte man besser dafür begeistern eine sichere Zukunft zu gestalten. Mittlerweile laufen die Jungen Menschen durch die Gegend und schmeißen mit Parolen rum, die nur aufzeigen, wie dumm ihr soziales Umfeld ist. Und junge Menschen werden zum Hass angestiftet….denkende Menschen brauchen wir, und keine, die man permanent beeinflusst, und in ihrer Entwicklung bremst. Die jungen Menschen dürfen heute doch gar nicht über den Tellerrand schauen.

    • Georg Kremer

      @ Boom: Das Thema WOI ist aktueller denn je; ganz bestimmt nicht allein wegen des Kriegsausbruchs vor 100 Jahren. Gestern habe ich das Flanders Fields-Museum in Iepern besucht und war erstaunt, dort vor allem Hunderte wissbegierige Jugendliche aus aller Herren Länder anzutreffen. Das Grauen dieses Krieges und die Lehren daraus ständig in Erinnerung zu rufen, das ist vor allem eine wichtige erzieherische Aufgabe, die u.a. von Dr. Herbert Ruland beispielhaft wahrgenommen wird. Weiter so Ruby!

  3. Unparteiischer

    Die Geschichte sollte man in diesem besonderen Fall ruhen lassen. Oder soll man es ewig aufkochen, dass deutsche Soldaten vor genau 100 Jahren vom Dreiländereck in Gemmenich aus mordend und brandschatzend durch Belgien zogen und damit einen Krieg auslösten, der vielen Millionen Menschen Tod, Hunger und Krankheit brachte und bis heute bei gewissen Leuten ein unwohles Gefühl in Bezug auf Deutschland auslöst, obwohl dies völlig unangebracht, aber kaum zu beheben ist.

    • Historiker

      Hallo Unparteiischer, die Geschichte soll man nicht ruhen lassen. Das wäre der größte Fehler, den man machen kann. Man sollte sich mit der Geschichte auseinandersetzen, damit sie sich nicht wiederholt.

      • Unparteiischer

        @Historiker: Recht haben Sie aber nur bedingt. Leider halten sich nach wie vor viele Despoten nicht daran. Und die Menschen in unseren Breitengraden wünschen sich alles, aber bestimmt keinen Krieg. Auch damals wollte keiner Krieg, ausgenommen die Menschen, die von ihren Machthabern indoktriniert und aufgehetzt wurden. Insofern besteht hier null Gefahr einer Wiederholung dieses Dramas.

    • Jauny B.Bad

      Ruhen lassen sollte man womöglich 100 Jahre alte Propagandamythen und wohl auch den ewigen Germanozentrismus. Allerdings habe ich diese Hoffnung was „Ostbelgien“ angeht aufgegeben. Es ist hier seit einigen Jahren zu beobachten, wie sich traditioneller Deutschenhass, der in Unwissenheit gründet, mit importiertem, pseudointellektuellem BRD-Schuldkult mischt. Eine sehr gefährliche Kombination!

    • Man hat doch aus der Geschichte gelernt. Kriege braucht man, um das Angebot und die Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Es lebe der Kapitalismus, der Imperialismus und was es da sonst noch so gibt, um das Wirtschafts- und Jobwunder nicht zu Grabe zu tragen.

  4. Nur mal So

    Also in mancher lei Hinnsicht würde ich mir das vlt schon wünschen in der Politik , den jeder der mit Offenen Augen durchs Leben geht muss ich schon feststellen das das was unsere Eltern 70 oder 80 Jahre geschaft haben
    Wir kaum erreichen können .
    Sicher ist nicht Alles schlecht das wäre auch falsch zu Behaupten aber es muss sich etwas ändern sonst ist doch gar nicht ab zu schätzen wo das noch Hinnführt Alles .
    Es Sollte mal die Wahrheit auf den Tisch und Punkt gebracht werden , ohne Angst haben zu müssen das andere mit Steinen nach einem Wirft .

  5. Nur mal So

    Mal davon Abgesehen das Mann aus Fehlern der Vergangenheit Lernen sollte , müsste es doch bei dem ganzen Fortschritt den Menschen in Ihrem Land zu helfen , den auf Dauer kann das gar nicht funktionieren ,
    Das Asylanten im eigenen Land Besser Behandelt werden als Die Bürger im Eigenen Land .

    Und ich schreibe hier nicht von denen die auch eine ernste Absicht haben hier zu Arbeiten .

    Das wäre finde ich viel Wichtiger , als Gemeinden zu zwingen so viele Menschen Auf zu Nehmen .

    Sicher ist Hilfe Wichtig aber Alles so das es den Menschen auch Hilft und nicht anders .

    Ein Freigeist

  6. Graf Ortho

    Bravo!

    Rund 30 Fehler, allerdings unter Berücksichtigung der Satzzeichen, in jedem Ihrer 2 Texte von gerade mal 5-6 Zeilen. Das muss man erst mal hinbekommen…

    Der Sinn Ihrer Beiträge erschließt sich mir leider nicht ganz.

    Etwa dies: Inwiefern werden Asylanten in unserem Land besser behandelt als die Bürger selbst?
    Haben Sie da was Konkretes zu bieten?

  7. gerhards

    Man sollte dies zum Anlass nehmen um unsere Gemeinsamkeiten zu betonten. Mal ehrlich, der unterschied zu einem Belgier. Aus Namur oder Dolhain ist doch unweit größer als der zu einem Aachener. Ostbelgien hat doch fast nichts mit Belgien zutun. Kann man sich nicht einfach die Hand geben und die Grenze Grenze sein lassen?! Aber der Nationalismus ist leider auch hierzulande recht ausgeprägt.Naja, immerhin werden im Jahr 2060 die meisten. Bewohner in ostbelgien im Altenheim sein, wie hier zu lesen ist. Diese werden dann von Rumänen oder Chinesen gepflegt werden müssen, dann hat sich die Diskussion Belgien, Deutschland oder was auch immer erledigt.

Antworten

Impressum Datenschutzerklärung
Desktop Version anfordern