Gesellschaft

Hat der gute, alte Leserbrief ausgedient?

Das waren noch Zeiten, als man sogar noch zu zweit gebannt auf die Rubrik Leserbriefe schaute, weil man unbedingt wissen wollte, welcher Leser was geschrieben hatte. Foto: Shutterstock

Leserbriefe waren einst einer der wichtigsten Inhalte einer Zeitung. Es gibt sie seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Parallel zur rasanten Verbreitung der Printmedien wurden sie immer wichtiger. Aber jetzt, wo man in den Online-Medien zu jedem Artikel einen Kommentar abgeben kann, scheint der gute, alte Leserbrief allmählich ausgedient zu haben.

Jahrzehntelang wurde ein Leserbrief auf dem Postweg verschickt. Es dauerte also einige Zeit, ehe er auch abgedruckt wurde. Das ging schon ein wenig schneller, als das Faxgerät aufkam. Und als sich das Internet ausbreitete und man den Leserbrief per E-Mail zusenden konnte, ging es noch schneller.

Und trotzdem geht selbst dies vielen Lesern inzwischen nicht schnell genug, denn die Zeitung erscheint lediglich einmal pro Tag, am Sonntag gar nicht, und – im Fall der einzigen deutschsprachigen Tageszeitung in Belgien –  auch nicht am ersten Donnerstag im Monat, wenn das Grenz-Echo in alle Haushalte verschickt wird. Wenn dann der Leserbrief auch noch einen weiteren Tag liegen bleibt, ist sein Inhalt vielleicht schon überholt.

Es gibt Menschen in Ostbelgien, die haben sich durch ihre Leserbriefe einen Namen gemacht – von Bruno Kartheuser über Joseph Meyer bis zu Frank Bosch, um nur diese drei namentlich zu nennen. Es gibt noch andere.

Die Grenz-Echo-Rubrik "Leser schreiben".

Die Grenz-Echo-Rubrik „Das Wort den Lesern“.

Die Leserbriefseite war zusammen mit der Titelseite und der Seite mit den Traueranzeigen die meistgelesene Seite in der Zeitung. Vor Wahlen gab es sogar des Öfteren zwei Seiten Leserbriefe. Für die politische und gesellschaftliche Streitkultur waren Leserbriefe sehr wichtig.

Davon ist man heute weit entfernt. Es gibt inzwischen Tage, da erscheint gar kein Leserbrief, nicht weil grundsätzlich an diesem Tag keine Leserbriefe veröffentlicht werden, sondern weil es überhaupt keinen Leserbrief gibt, jedenfalls keinen, der auch vom Chefredakteur für eine Veröffentlichung freigegeben wurde.

Inzwischen nimmt man es nicht einmal mehr so genau mit dem Zeilenlimit (beim Grenz-Echo sind es 50 Zeitungszeilen bzw. 1.500 Anschläge), wie das in früheren Zeiten der Fall war, als der Schreiber noch eindringlich aufgefordert wurde, seinen Text zu kürzen. Bei längeren Leserbriefen drückt der für die Leserbrief-Rubrik verantwortliche Redakteur mittlerweile gerne ein Auge zu.

Die Kommentarfunktion im Internet – in der DG gilt dies größtenteils für „Ostbelgien Direkt“ – hat den Leserbrief mehr oder weniger verdrängt. Das gilt übrigens nicht nur für Leserbriefe in den Zeitungen, auch Leserbriefe in Online-Medien werden seltener.

Es ist eben nicht mehr so, dass man sich als Leser in aller Ruhe hinsetzt, ein Blatt Papier zur Hand nimmt und seine Gedanken zu einem bestimmten Thema niederschreibt. Heute muss alles schnell gehen… (cre)

22 Antworten auf “Hat der gute, alte Leserbrief ausgedient?”

  1. „Wer schreibt, der bleibt“.
    Der klassische Leserbrief hat m.E. Gegenwart und Zukunft.
    Das Gelesene bleibt besser im Gedächtnis haften als das Gehörte.
    Zudem: Ein Leserbrief (+ genaue Personalien) hat mehr Niveau als anonyme Kommentare.

  2. Vereidiger

    Stimmt, ist mir auch aufgefallen: Die Zahl der Leserbriefe sinkt.
    Dass manche Serienschreiber sich weniger zu Wort melden, ist jedoch kein Verlust. Oft genug reichte ein Blick auf den Namen des Autors, um zu denken „der schon wieder“ und den Text dann ausdrücklich NICHT zu lesen.
    Das gleiche Schicksal ist ja auch der monatlichen GE-Rubrik für Stellungnahmen de Parteien beschieden…

  3. Leserbriefe haben dennoch ihre Daseinsberechtigung und werden sie auch behalten, da das Thema mehr oder weniger frei wählbar ist.
    Aber seitdem Leserbriefe nur zu einem Sammelbecken für Klimaskeptiker, NGO-Verschwörer und Chemtrailanhänger verkommen sind, sollte man sich über deren Relevanz nicht mehr wundern. Die meisten Reaktionen (subjektiv) gehen immer in die Richtung: „Da wird von mehr oder weniger immer den selben Leuten irgendein Unsinn wiederholt verbreitet und auf die Leute eingeprügelt“.

  4. Ich halte die Leserbriefspalte nach wie vor für interessant. Sie spiegelt die manchmal konträre Meinung der Leser dar. Ein aufmerksamer Zeitungsleser macht sich daraus einen zusätzlichen Reim. Manche Dinge sind es wert, aus verschiedenen Sichtweisen gesehen zu werden. Leserbriefe in der Zeitung sind zudem fundierter als im Internet. Man gibt sich mehr Mühe, weil man ja nicht zuletzt seinen Namen angeben muss.

  5. Mischutka

    Wunderschöner Artikel ! Da erinnert man sich gerne an die Zeiten, wenn Vater von der Arbeit kam und nach dem Abendessen zur Zeitung griff und dann -nach dem „Sport“ – immer alle Leserbriefe studierte. Es gab dann nachher, besonders an Sommerabenden, im Garten öfters eine Gesprächsrunde…. Es wurde dann eifrig besprochen, gelobt oder geschimpft „was hat denn da der Jupp, der Klös, der Jännes, der Hein …. u.s.w. geschrieben. Aber die Zeiten ändern sich eben. Und „unsere“ Generation hat alles miterlebt (bzw. „dürfen“). Was es nicht auch früher so in Sachen „Liebe“ ? Da hatten Männlein/Weiblein eine innige Freundschaft, wenn dann einer „Schluß“ machte – was für ein Drama. Und heute ? Da gibt es keine „Liebesbriefe“ (schön dekoriert) mehr, da schreibste dem „Kerl“ oder der „Chica“ (bzw. „der Alten“) mal hier und da eine flotte E-Mail …..ob man denn „Bock“ habe …. und wenn einer keine „Lust“ mehr auf den anderen hat, dann schickste dem/der eine SMS – fertig ! Mal sehen, wie es in 10 oder 20 Jahren „aussieht“ – wo wie heute noch nicht daran zu denken wagen ….
    MfG.

  6. Die vielen Leserbriefe fast täglich auf Seite 2 waren schon eine Besonderheit des GrenzEcho. Die Aachener Zeitung bringt eine Seite Leserforum in loser Folge, wenn genügend Leserbriefe vorliegen und Platz für die Seite ist. Man merkt aber auch im GrenzEcho, dass heute viel weniger Leserbriefe geschrieben werden. Der Grund ist meiner Ansicht nach, dass jüngere Leute zwar noch ein paar Sätze für einen Kommentar auf OD zustande kriegen, vor allem anonym, aber einen gut strukturierten Text kriegen sie nicht zusammen. Und bis zum anderen Morgen warten sie nicht mehr. Sie sind eh nicht Abonnent.

  7. Guido Scholzen

    Zitat aus dem Bericht:
    „Es gibt Menschen in Ostbelgien, die haben sich durch ihre Leserbriefe einen Namen gemacht – von Bruno Kartheuser über Joseph Meyer bis zu Frank Bosch, um nur diese drei namentlich zu nennen“

    Den bekanntesten haben Sie vergessen zu erwähnen, Herr Cremer, natürlich ERWIN RADERMACHER,
    oder war da noch jemand?
    ;-)

      • Marcel Scholzen

        Ich habe deswegen kein GE-Abonnement, weil es mir zu teuer ist. Für weniger Geld bekommt man z.B. ein Abonnement des „Time“-Magazines (auf Englisch) oder der „Monde-Diplomatique“ (auf Französisch). Und so denken immer mehr Menschen. Und dort stehen Sachen drin, die niemals im GE drin stehen würden. Ab und zu kaufe ich mir ein GE in einem Zeitschriftenladen.

  8. Van Biesen

    Der Leser Brief dient ausschließlich der Unterhaltung. Er muss interessant und humorvoll geschrieben sein sonst bringt er nichts. Sie dürfen niemals ihre wahre Meinung veröffentlichen. Dafür interessiert sich kein Mensch. Sie dürfen nur das schreiben das der Meinung der anderen entspricht oder etwas was provoziert

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