Politik

Frankreich: Wahldebatte ein Quotenhit – So kann Politik sogar Spaß machen [Kommentar]

Die 5 Topkandidaten (von links): François Fillon, Emmanuel Macron, Jean-Luc Mélenchon, Marine Le Pen und Benoît Hamon. Foto: epa

9,8 Millionen Zuschauer, in der Spitze sogar über 11 Millionen, und das nur auf TF1. Im Schnitt eine Einschaltquote von 47,9%. Die Wahldebatte am Montagabend im französischen Fernsehen ist auf große Resonanz gestoßen. Wer den „Grand Débat“ auf TF1 oder LCI live verfolgt hat, hat es nicht bereut.

Dass am Dienstagmorgen einige deutsche Medien etwas auszusetzen hatten, allen voran Spiegel Online, beweist mal wieder, dass man als Ostbelgier gut daran tut, sich über den Verlauf des Wahlkampfes in Frankreich nicht durch deutsche Medien informieren zu lassen, sondern am besten über das Fernsehen oder die geschriebene Presse in Frankreich. Wenn man schon das Glück hat, Französisch zu verstehen…

Der wirtschaftsliberale Emmanuel Macron. Foto: Shutterstock

„Spiegel Online“ kritisierte u.a. die Überlänge der Live-Diskussion. Natürlich zog sich die Debatte etwas hin, aber bei 5 Kandidaten ist dies nicht zu vermeiden, wenn man will, dass jeder nicht nur ein paar Schlagwörter zum Besten gibt, sondern einige vernünftige Sätze zustande bringt, um den Zuschauern seine Position zu Themen wie Unterricht, öffentliche Sicherheit, Laizität, Justiz oder Kampf gegen die Arbeitslosigkeit näher zu erläutern.

„Spiegel Online“ behauptet auch gleich in der Einleitung, der Kandidat Emmanuel Macron sei von allen der beste Debattenteilnehmer gewesen. Darüber ließe sich streiten, denn Macron blieb am Dienstag relativ blass – im Gegensatz zu Jean-Luc Mélenchon (Parti de Gauche), der die Gunst der Stunde genutzt hat, um auf sich aufmerksam zu machen, ohne ausfallend zu werden, auch nicht gegenüber Marine Le Pen.

Der Kandidat der Konservativen, François Fillon, ist wegen der Affäre um die Scheinbeschäftigung seiner Frau Penelope mächtig unter Druck geraten. Foto: Shutterstock

Überhaupt fiel bei der Debatte am Montagabend angenehm auf, mit wie viel Respekt und Fairness die fünf Topkandidaten miteinander umgingen.

In Deutschland oder Belgien hätten sich Kandidaten der Konservativen oder Linken wahrscheinlich sogar geweigert, an einer Debatte zusammen mit Le Pen teilzunehmen, genauso wie vor der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer sich weigerte, an einer Fernsehdebatte teilzunehmen, zu der auch ein Vertreter der rechtspopulistischen AfD eingeladen war.

In Ostbelgien wäre der Kandidat Benoît Hamon mit seinem Vorstoß für das bedingungslose Grundeinkommen von den Kontrahenten lächerlich gemacht worden.

Kurzum, von der Debattenkultur in Frankreich können sich die deutschen Fernsehsender ein Stück abschneiden. Die Diskussionen bei „Maischberger“, „Maybrit Illner“ oder „Anne Will“ mögen nicht an Überlänge leiden, aber sie sind auf die Dauer ziemlich monoton.

Front-National-Chefin Marine Le Pen am Montag beim „Grand Débat“ im französischen Fernsehen. Foto: Screenshot TF1

Apropos Deutschland: In der Debatte im französischen Fernsehen waren sich zwar alle Topkandidaten darin einig, dass es Frankreich derzeit schlecht geht, ja sogar sehr schlecht. Aber deshalb gilt Deutschland den Franzosen noch lange nicht als Vorbild.

Selbst der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat mittlerweile erkannt, dass die Agenda 2010 des Genossen Gerhard Schröder Deutschland zwar zum Wachstumsmotor in Europa und zum Export-Weltmeister gemacht hat, dies aber seinen Preis hatte, den vor allem die ärmeren Schichten der Bevölkerung zahlen mussten. Deshalb will Schulz jetzt auch eine Kurskorrektor vornehmen – für mehr Gerechtigkeit.

Ein Letztes noch zum „Grand Débat“ am Montagabend im französischen Fernsehen: Die hohe Einschaltquote zeigt, dass Politik auch heute noch Spaß machen kann, wenn das Wahlsystem einfach, verständlich und übersichtlich ist und der Wähler spürt, dass seine Stimme wichtig ist.

Davon können wir bei unserem hochkomplizierten Wahlsystem in Belgien nur träumen… (cre)

Benoît Hamon. Foto: Shutterstock

Jean-Luc Mélenchon. Foto: Shutterstock

16 Antworten auf “Frankreich: Wahldebatte ein Quotenhit – So kann Politik sogar Spaß machen [Kommentar]”

  1. Politikus

    „Dass am Dienstagmorgen einige deutsche Medien mal wieder etwas auszusetzen hatten, allen voran Spiegel Online, beweist mal wieder, dass man als Ostbelgier gut daran tut, sich über den Verlauf des Wahlkampfes in Frankreich nicht durch deutsche Medien zu informieren, sondern am besten über das Fernsehen oder die geschriebene Presse in Frankreich. Wenn man schon das Glück hat, Französisch zu verstehen…“

    Sie treffen damit den Nagel auf den Kopf, Herr Cremer. Ich habe mir die Live-Debatte am TV (fast) in voller Länge angeschaut. Per Zufall danach gegen 0030 Uhr nochmals kurz auf ARD geschaltet, und, wie fast immer, der übliche dämliche Kommentar der deutschen Staats-TV-Sender, nämlich alles nach ihrer Sichtweise dem deutschen Michel erklären, d.h. kaum übereinstimmend, wie die Debatte wirklich abgelaufen ist

  2. Wilhelm Laschet

    Klasse Artikel ,Herr Cremer , So macht Politik wieder Sinn , die Debatte wurde klug , sachlich und mit Respekt geführt, Deutsche Politiker wären da hoffnungslos überfordert gewesen.
    Übrigens Spiegel online ist die zweite Bildzeitung geworden, einfach nur schlecht.

  3. Und das selbe gilt für Trump! Auch hier informieren die Deutschen Medien nicht, sie indoktrinieren. Analog dazu die Energie- und Klimadebatten, hier geht es um die Fremdsprachen Mathematik und Physik, auch hier geben die Medien den Erklärbären in dem sie teilweise Lügen (Lügenpresse) um ihre politische Agenda zu verbreiten. Wer beherrscht schon mehr als die 4 Grundrechenarten, merkt doch eh keiner….

  4. Populist

    In den deutschen Medien, ob in der Satiresendung oder beim Polit-talk, die AfD wird immer wie ein Schmuddelkind behandelt, mit dem man sich besser nicht abgibt. Als ob da alle nur wie Höcke reden und denken. Der ist natürlich, zu Recht, der Vorzeigear….Diese Überheblichkeit der traditionellen Parteien beschert denen vielleicht eher noch Zulauf.

  5. Observer

    Der Macron war alles andere als überzeugend. Das zu behaupten, war wohl Wunschdenken des SPON-Redakteurs. Der Mélenchon war eindeutig der beste Kandidat in der Diskussion. Der Spiegel verkommt immer mehr zum Kampfblatt des deutschen Establishments.

    • Axel Kittel

      Die Französischen Medien sind sich auch nicht einig, ob nun Macron oder Mélenchon der bessere waren. Mein Fazit nach der Debatte : der bessere in der Debatte war Mélenchon. Allerdings, und dies verpflichtet nur mich, ich teile seine Meinung und sein Programm nicht unbedingt.

      Eine kleine andere Anmerkung : ich habe zufällig eine Rede von Mélenchon bei einem Wahlmeeting gehört, bei der die anderen Kandidaten ausgebuht wurden – Mélenchon hat seine Anhänger gebeten, dies zu unterlassen und Respekt zu zeigen, da es zur Demokratie gehört, dass andere Personen auch eine andere Meinung haben können.

      • Ostbelgien Direkt

        Hallo Herr Kittel, ich teile ganz Ihre Meinung. Mélenchon war eindeutig der beste Kandidat in der Debatte am Montag. Dafür braucht man auch nicht seine Ansichten zu teilen. Bei SPIEGEL ONLINE ist es so, dass immer dann, wenn man sich als Leser in der Materie relativ gut auskennt, zum Beispiel in der Belgien-Politik, man nicht selten erschrocken ist, wie oberflächlich und zum Teil auch falsch ein renommiertes Medium wie SPIEGEL ONLINE berichtet. Und umgekehrt auch, wenn man zum Beispiel in LE SOIR einen Bericht über Deutschland liest, ist man als Ostbelgier verblüfft, wie oberflächlich in dem Blatt, das sich so gerne als JOURNAL DE RÉFÉRENCE rühmt, obwohl die Auflage von LE SOIR seit Jahren steil in den Keller abgerutscht ist, über die deutsche Politik geschrieben wird. Dabei haben sowohl SPIEGEL ONLINE als auch LE SOIR personell und auch finanziell Möglichkeiten, von denen die Presse in Ostbelgien nur träumen kann. Gruß

        • Axel Kittel

          @ Ostbelgien Direkt : Hier schliesse ich mich meinem Vorrender zu 100 % an.

          Mélenchon hat sich jedoch auch in Deutschland definitiv unbeliebt gemacht durch sein Buch „Le hareng de Bismarck“ (übersetzt „der Bismarckhering“), in dem er das Deutsche Wirtschaftsmodell buchstäblich „in der Luft zerreisst“. Dies hat ihm vor zwei oder drei Jaren recht viel Kritik im Spiegel eingebracht.

          • @ Axel Kittel

            Herrn Mélenchon kennen in Deutschland nur die Leute die sich auch für die französische Politik interessieren. Sein „Hering“ ist nie in deutscher Sprache erschienen und hat es nicht über ein paar Kommentarspalten der, auch von ihm, so gerne geschmähten Medien in das Bewusstsein der Öffentlichkeit geschafft.

        • Werter Herr Cremer,

          die Gründe liegen wahrscheinlich in dem „Online“. Hier werden oftmals „Nachrichten rausgehauen“ die einer gründlichen Recherche nicht standhalten.
          Im Gegensatz zum Gedruckten sind die dann, zumindest bei einer seriösen Quelle, auch bald wieder verschwunden. Online werden viele „Säue durchs Dorf getrieben“ die sich im Nachhinein als Hamster entpuppen.

  6. Erfahrener

    Sehr gut kommentiert Herr Cremer, weiter so. Die Folgen der Globalisierung, wobei viele Menschen der Unterschicht auf der Strecke geblieben sind, sind die Wahl von Donald Trump. Das sieht man jetzt erst ein, daher macht Martin Schulz die Rolle rückwärts und hat soviel Zulauf.

  7. Johann Klos

    Emmanuel Macron, der als der neue Mann ohne Vergangenheit posiert, verkörpert mit seiner Person und mit seiner Umgebung ( der Mann hat Kontakte in allen wichtigen Kreisen) das kompakte Aufgebot der Staatsaristokratie (Abteilung Finanzministerium) und der Hochfinanz. Erstaunlich das jemand ohne politische Vergangenheit wie Macron, schon so im franz. Staatssystem integriert ist.

  8. Adjutant

    Ich habe mir die Debatte auch angehört und kann nur bestätigen: Mélenchon war am besten vorbereitet, war wie immer am schlagfertigsten und konnte die Lügen und Sprüche der Le Pen mit einem Satz wegfegen, der blieb oft nur ein Grinsen.
    Aber bitte nicht das politische System in Frankreich über den grünen Klee loben. Das Land ist noch mehr als Belgien unregierbar geworden.

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