Politik

60 Jahre Römische Verträge: „Wir feiern jetzt groß, aber die EU gibt es eigentlich gar nicht“ (Verhofstadt)

Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957 in Rom. Foto: Belga

Die Europäische Union feiert heute den 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Nach Meinung von Guy Verhofstadt, dem früheren belgischen Premierminister und heutigen Vorsitzenden der Fraktion der Liberalen im EU-Parlament, besteht kein Anlass zu einer großen Feier, denn laut Verhofstadt ist die EU gescheitert.

Das sagte der 63-Jährige in einem längeren und bemerkenswerten Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „In Wirklichkeit gibt es die EU gar nicht – auf Papier schon, aber nicht in echt“, sagt Verhofstadt.

Können Sie drei Dinge nennen, warum wir die EU brauchen?

Verhofstadt: Ich sage Frieden, ich sage Arbeitsplätze, ich sage Zivilisation. Dieser Kontinent hat nur eine Zukunft: eine europäische Zukunft. Aber ich bin nicht blind. Ich sehe, dass die Leute Zweifel haben. Sie haben kein Vertrauen darin, wie die Europäische Union derzeit funktioniert.

Guy Verhofstadt im April 2014 in Kelmis vor einer Veranstaltung im Café Select beim Interview mit einem flämischen Fernsehsender. Foto: OD

Funktioniert sie denn?

Verhofstadt: In Wirklichkeit gibt es die EU gar nicht – auf Papier schon, aber nicht in echt. Es ist eine Konföderation von Staaten, die auf Einstimmigkeit basiert. Was wäre, wenn die USA so regiert würden wie Europa? Zum einen hätten wir nicht nur einen Präsidenten, sondern drei. Außerdem hätten wir 50 Gouverneure, die sich fünf, sechs Mal im Jahr treffen und die gesamte amerikanische Politik bestimmen. Und wenn der Gouverneur von Alaska oder Vermont sagt, er macht nicht mit, dann passiert überhaupt nichts mehr. Jeder würde sagen, dass das verrückt wäre.

Aber kann man das wirklich mit der EU vergleichen?

Verhofstadt: Wenn man es analysiert, ist es offensichtlich, warum Europa nicht funktioniert. Es ist ein Problem politischer Institutionen, die noch aus einem anderen Jahrhundert stammen und die in einer Flüchtlings-, Finanz- oder Ukrainekrise nicht sofort handeln können. Die Union ist nicht fähig, auf all das zu reagieren.

Aber einen europäischen Superstaat will doch auch keiner, eher im Gegenteil, oder?

Verhofstadt: Das liegt daran, dass die Leute nur die populistische Rhetorik hören. Sie sagen: Die Union funktioniert nicht, lasst uns zum alten Nationalstaat zurückkehren. Aber wenn etwas nicht funktioniert, kann man zwei Dinge tun: Man kann es aufgeben oder man kann es reformieren. Ich will reformieren. Und ich bin nicht alleine. Es gibt eine neue Generation radikaler proeuropäischer Reformer. Sie sind in den kommenden Jahrzehnten die Gegenkraft zu den Nationalisten und Populisten.

Wo sehen Sie denn Unterstützung für eine Reform der EU-Institutionen?

Europafahnen vor dem Berlaymont, dem Hauptquartier der EU-Kommission in Brüssel. Foto: Shutterstock

Verhofstadt: Überall. Unser politisches System funktioniert nicht. Hier braucht man die Zustimmung von jedem. Sogar eine noch so kleine Partei in Griechenland oder Finnland kann den gesamten Prozess aufhalten. Tatsache ist: Gute Institutionen bringen gute Ergebnisse, schlechte Institutionen bringen schlechte Ergebnisse.

Was also schlagen Sie vor?

Verhofstadt: Engere Zusammenarbeit, und das bedeutet nicht unbedingt mehr Europa. Enger bedeutet auch, die Kommission mit 28 Mitgliedern abzuschaffen, zumal wir noch nicht einmal genug Ressorts für 28 haben. Vielleicht ist eine kleine Europa-Regierung mit zwölf eine bessere Lösung. Europa wird nicht von den Europäern getötet oder von den Bürgern, Europa stirbt daran, dass einige Mitgliedsstaaten denken, sie müssten es regieren. Aber die haben ja noch nicht mal die Zeit dafür, sie müssen ja ihr Land regieren. Wir brauchen volle Demokratie auch auf europäischer Ebene, die von allen Bürgern überwacht wird.

Was halten Sie von den Reformen, die jetzt vor dem 60. Jahrestag der Römischen Verträge diskutiert werden?

Verhofstadt: Wir feiern jetzt groß in Rom, aber in Wirklichkeit ist das gescheitert. Wegen eines Einspruchs des französischen Parlaments 1954 konnten wir keine politische, fiskale, wirtschaftliche und verteidigungspolitische Union gründen, sondern nur eine Zollunion und 1957 die Römischen Verträge unterzeichnen. Das war nur eine Ersatzlösung, weil wir nicht das tun konnten, was die Gründungsväter eigentlich wollten. Jetzt bekommen wir die Konsequenzen zu spüren. Statt der Feiern in Rom sollten wir sagen, ok, wir besinnen uns auf das Wesentliche. (dpa/cre)

Zum Thema „60 Jahre Römische Verträge“ siehe auch:

31 Antworten auf “60 Jahre Römische Verträge: „Wir feiern jetzt groß, aber die EU gibt es eigentlich gar nicht“ (Verhofstadt)”

  1. Réalité

    Die E U ist genauso wie die Rest-Politik in einer schweren Krise! Man könnte hier zig Ursachen schreiben und aufführen um alles auf’s Tapet zu bringen! Die wesentlichen sind:
    -Ein viel zu steifer und übermächtige Apparat! Weniger wäre da (viel) mehr! Fast wie überall sogar in der kl DG!
    -Viel zu schnelle Einsteiger, welche durch Tricks und Lügnereien bzw Fuschereien rein geraten sind! Siehe Portugal-Griechenland-Bulgarien-Rumänien u a.
    -Alle wollten am Euter der Wollmilchsau!
    -Sehr miserable und unkompetente Führungspersonen z Zeit am Ruder! Juncker besonders! Keine Impulse, Ideen usw. Hauptsache der Lohn ist in der Tüte, so leicht über 30 Mille per Monat??? Absolut kein Preis/Leistungs Verhältnis.
    -Viel zu viele Kommissare. Erst jetzt kommt da zögernd etwas raus über eine „Einheitliche Europäische Maut“! Warum nicht schon vor Monaten und dem endlosen gequatsche über die BRD Maut!?
    – Brüssel- Strassbourg, zwei Paläste anstatt Einer!? Ungeheure Vergeudungen von horrendem Steuergeld! Unsagbares Versagen der Erfinder! Da hätten Tausende und Abertausende Hungernde auf der Welt mit gerettet werden können! Grausames Versagen der Politik und gehört bestraft bis auf die Knochen!
    -Ein jeder Staat, und Politiker sieht nur sein eigenes Gut und Wohl. Unmögliches Versagen der Staaten in der Flüchtlingsfrage, und vieles vieles andere usw..
    -Alle wollen viel raus haben bzw holen, wogegen die anderen es bezahlen „dürfen“!
    Entweder es passiert etwas kurz- bis mittelfristig, ansonsten das Monster beerdigen! So wie jetzt kann und darf es nicht weitergehn!

    • Nicht zu fassen!

      „Das wichtigste auf der Welt ist Frieden. Den haben wir in Europa, dank auch der EU. Danach kommt Wohlstand“

      Ach so, und der Krieg in den sog. „Balkanstaaten“ in den 1990 Jahren, hat die EU den auch vermieden? Oder gab es damals die EU noch nicht? Die EU hat, außer die Bevölkerung in den Mitgliedsstaaten mit ihrer Regulierungswut zu drangsalieren, in Krisenzeiten niemals was „auf die Reihe“ bekommen. Das sieht man alleine schon, wie die EU, allen voran die EU-dioten-Kommission,
      die Flüchtlingskrise „bewältigt“. Diese Pappnasen wären, als zahnlose Tiger, niemals in der Lage
      irgendeinen Krieg in Europa zu vermeiden. Wer daran glaubt ist einfach nur naiv.
      Dieser SB-Laden gehört dringend einer Revision unterzogen, ansonsten gibt es in Zukunft noch mehrere „Brexits“
      Und Wohlstand? Auch nicht wirklich, oder nennt man es beispielsweise „Wohlstand“, wenn in der „reichen“ Billig-Republik Deutschland bereits jede zehnte Familie mit Kindern, an oder gar unter der sog. Armutsgrenze lebt. Bedauerlich, wenn etliche Menschen die Sonntagsreden dieser Politiker-Vollpfosten ernst nehmen….

      • LosKotzos

        Die EU dient nur zur Schaffung von Wachstum. Hauptsächlich ist man daran
        interessiert Konsum für immer mehr Menschen zu vereinfachen und zu verbilligen.
        Dem Großteil der Menschen nützt das langfristig nichts.
        Es führt zur Verelendung großer Bevölkerungsschichten
        und zur rücksichtlosen Ausbeutung unseres Planeten.
        Das ist im Übrigen der Grund unseres 70jährigen Friedens.
        Solange durch wachsendem Konsum der Machterhalt der Obrigkeit
        gewährleistet ist, braucht man den Mob nicht zu bewaffnen und sich
        gegenseitig auf die Fresse kloppen zu lassen.

    • Guido Scholzen

      EU und frieden???!!!
      Der frieden in unserem teil europas wird durch die NATO garantiert, nicht durch die EU.
      Die EU hat was mit lobbyismus und bürokratie zu tun. Hier treffen sich zwei ideologien: neoliberalismus und grüner sozialismus, und jeder buhlt um unterstützung. die daraus folgende bürokratie resultiert aus diesem lobbyismus. vieles wird den euro-untertanen übergestülpt, und selten wird vorher nachgefragt. sonst hätte es keinen brexit gegeben, denn er wäre nicht nötig gewesen.
      was die polit-heinis momentan versuchen, nennen die ’schadensbegrenzung‘. ich würde sagen, die versuchen nur die brüsseler verwaltung zu retten, zum eigenen wohl, mehr nicht.

      glauben die noch immer, dass das vereinigte europa und die EU das selbe sind?

      • Werter Herr Scholzen,

        Sie verwechseln hier die Institutionen. Die NATO war ausschliesslich gegen Bedrohung von aussen gerichtet. Während meiner Militärzeit kam der Feind nicht aus Westen sondern „mit Masse aus ooostwärtiger Richtung“.
        Auch wenn die Politik es verpasst hat die Vision von Europa mit Leben zu erfüllen, ist es zumindest gelungen alte Feinden zu Freunde zu machen. Die „Aversion“ gegen alles Deutsche, wie es hier in der Region gerne gepflegt wird, gibt es z.B. in Frankreich so gut wie gar nicht mehr.
        Das Problem ist einfach das aus dem Europa der Bürger ein Europa der Institutionen geworden ist. Ohne eine einheitlich Wirtschafts-, Fiskal- und Sicherheitspolitik wird es das Europa das uns die Politik vorspielt nie geben.
        Ich mag keine „abgehalfterten“ Politiker die im EU Parlament ihre Rente aufbessern, muß Herrn Verhofstadt aber Recht geben. Wir brauchen mehr Europa und weniger nationale Egoismen.
        Mit der EU – Erweiterung hätte man das Einstimmigkeitsprinzip zugunstes des Mehrheitsprinzipes aufgeben müssen. Das Parlament aufwerten und die Kommision durch eine gewählte Regierung ersetzen müssen.
        Trump und Putin versuchen mit allen Mitteln die EU auseinander zu bringen. Putin empfängt sogar Frau LePen, vor dem Wahlkampf eigentlich unvorstellbar. Er weiß aber, wenn Frau LePen die Wahl in Frankreich gewinnt ist dass das Ende der EU wie wir sie kennen.
        Eine geeinte EU kann eine starke Stimme in der Welt sein, Je mehr sie zusammenwächst umso stärker wird die Stimme. Die einzelnen Nationalstaaten werden mit dem Ende der EU in der Bedeutungslosigkeit versinken.

        • Réalité

          Ganz schlauer Klaf, von Ihnen Edi! In vielem sehr richtig! Das sollten Sie auch mal hier vor Ort für unsere DG tun, bitte?!
          Hier sollte mit kleinem Staff unsere kleine Gemeinschaft geführt werden. Senat weg, Provinzen weg, Regionen stark verkleinern, EU all die Kommissare weg mit dem restlichen Pattaklang, Wie der Lambi der da einer von zahlreichen „Vize Präsidenten“ in irgend einer nichtssagenden Unter-Abteilung ist, usw. Alles nur gut für die Nominierten. Rank und schlank, schneller und vor allem billiger! Dafür führen wir umsonst über Europas Strassen, und auch noch richtig gute dazu! Wetten das…..?

            • Réalité

              Mit den Strassen ist es wie mit allem in Belgien lieber Edi! Was brauchen wir hier ein „HALBES DUTZEND“ an Verkehrsministern, wenn EIN EINZIGER das ganz alleine machen könnte!? Diese 6 dann auch noch von Chauffeuren rund kutschiert werden müssen!?_?
              Gespannt und auf Ihre Antwort wartend, noch einen schöne und sonnigen Tag, lieber Edi!

        • LosKotzos

          Werter EdiG,
          Was ist eigentlich so schlimm daran wenn die Länder sich wieder um ihre nationalen
          Interessen kümmern würden.
          Ich höre immer Bedeutungslosigkeit. Das hört sich immer so an als hätte es vorher
          kein normales Leben gegeben.
          Ich glaube persönlich sogar daran das die Leute noch vor einigen Jahren zufriedener waren.

          • @ LosKotzos

            Sicher waren „die menschen“ früher zufriedener. Es gab noch nicht den Stress den wir heute haben. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern als man sich seine Arbeit noch aussuchen konnte und das Gleich was heute mit 2 Kollegen zu bewältigen war auf 5 oder 6 Schultern verteilt war. Man war zufriedener weil alle viel gemütlicher und langsamer war.
            Leider ist die Europa und die Welt zusammengewachsen. Europa ist nicht nur eine Emotion sondern auch ein Markt mit 500 Millionen Konsumenten. Viele Firmen haben inzwischen ihre Produktion in andere Länder verlegt. belgische Firmen produzieren in Polen und Portugal. Würde Europa wieder in Einzelstaaten zurückfallen würden sich diese Produktionsstätten nicht mehr lohnen und würden abgebaut. Die Folge wäre ein imenser Druck auf die Heimatmärkte. Zwangsläufig würden die, einstmals in Polen produzierten, Waren viel teurer. Das hätte massive Einbrüche bei Export und Inlandsnachfrage zur Folge. Am Ende stünde ein massiver Abbau der Lebensqualität für jeden einzelnen.
            Das größte Problem sind also nicht die politischen Folgen des Ausseinanderbrechens sondern die Ökonomischen.

              • @ LosKotzos

                …. oder wir bekommen, was wahrscheinlicher ist, die EU der zwei Geschwindigkeiten. Eine „Kern-EU“ die endlich überfällige Reformen anpackt und den Rest. Wer mitmachen will muss sich anpassen der Rest „trottelt“ hinterher.

    • Werte Frau Heidelberg,
      ich denke Sie sollten sich einmal Gedanken über Ihre Aussage machen. Über die Jahrhunderte gab es die „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich. Ein Krieg löste den anderen ab, eine Demütigung folgte der nächsten. Erst durch die Deutsch-Französischen Verträge von DeGaulle und Adenauer sowie darauf folgend die EWG, die EG und schlussendlich die EU wurden als Garantie dafür angesehen Deutschland in ein zusammenwachsendes Europa einzubinden. Wenn Sie mal die Ohren und Augen öffnen werden Sie selbst in Ihrem Umfeld Ressentiments und Vorurteile gegen den Nachbarn im Osten erleben. Diese Vorurteile gibt es leider immer noch überall in Europa. Ohne die Klammer EU wäre da sicher so manches wieder aufgebrochen was wir eigentlich überwunden glaubten.

        • Sehen Sie Herr Berens, es gibt den Spruch jeder ist zu irgendwas zu gebrauchen, und sei es als abschreckendes Beispiel. Sie aber sind nicht einmal dazu zu gebrauichen irgendwo Ressentiments zu erzeugen.

      • Kerstges Angela

        @ Frau Heidelberg, irgendwie komme ich nicht an dem Gefühl vorbei, EdiG hat ein „schulmeisterisches“ Auftreten. Ist mitr wurscht, wie er das aufnimmt, mitscht sich ja eh in fast allem ein, ob gefragt oder nicht . Naja, was soll,s wollte das nur mal los werden . nun angenehme Nachtruhe, sicher bis morgen.

        • Fritte Martha

          Hallo. Mädels
          Wie ich sehe, versteht Ihr Euch bestens; und da auch ich mich manchmal hier recht alleine fühle, möchte ich es mit Schiller sagen
          “ Ich sei, gewährt mir die Bitte,
          In eurem Bunde die Dritte!“

        • Maria Heidelberg

          Ich studiere den Edi noch, Angela. Ich kann mich erst nach weiteren Kommentaren „von ihm über ihn“ äussern, denn ich habe noch nicht so gecheckt, was er am Erhalt des ewigen Kaufrauschs der Globusbewohner auch Konsumenten genannt, so toll findet. Ich finde Kaufen Kaufen Kaufen ziemlich scheisse, weil ich dafür arbeite, arbeite und nochmals arbeite….Ich suche täglich nach Lösungen, um dem zu entfliehen, und Edi bietet Lösungen an, um den Kranken Apparat noch auszuweiten. :-)

    • In Norwegen und Island, wenn Sie mich fragen. In Island zB zieht man korrupte Bankster, Firmenschefs, Steuerhinterzieher und Staatsoberhäupter zur Verantwortung! In der EU lässt man die grossen Betrüger laufen und die kleinen Bürger müssen dafür bluten!

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